GelöbNIX auch in diesem Jahr erfolgreich

von Ralf Siemens

Auch in diesem Jahr ist das zentrale Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin gestört worden. Mehr als 800 Menschen beteiligten sich an der GelöbNIX-Demonstration. Die Kundgebung am Rande des hermetisch abgesicherten militärischen Sperrgebiets war lautstark und deutlich hörbar auf dem rund 300 Meter entfernten Gelöbnisplatz zu vernehmen. Im Innenkreis stürmten zwei AktivistInnen genau in dem Augenblick in die Gelöbnisaufstellung, als die Rekruten den Gelöbnisschwur sprechen sollten.

Die Bundeswehr hat es mit ihren Gelöbnissen in der Hauptstadt schwer. Nach 1990 trauten sie sich fünf Jahre lang nicht aus den Kasernen. Erst 1996 sollte das erste "öffentliche" Gelöbnis vor der Kulisse des preußischen Schlosses in Charlottenburg "Normalität" signalisieren. Mehrere hundert Demonstranten brachen durch weiträumig angelegte Absperrungen und konnten erst vor der zweiten Barrikade gestoppt werden. Etwa 500 AntimilitaristInnen, die bereits nachts in den abgesperrten Kiez eingesickert waren, gaben dem Bundeswehrzeremoniell den verdienten Rahmen: Die Gelöbnisreden gingen in "Mörder"-Rufen unter, Pressebilder verschwammen im Rauch von Nebelbomben. Das für 1997 geplante Gelöbnis der Bundeswehr in Berlin wurde auf Grund dieser Proteste abgeblasen. 1998 unternahm die Bundeswehr ihren zweiten Versuch, Rekruten "öffentlich" geloben zu lassen. Für das Gelöbnis wurde ein "historisch unbelasteter" Termin gewählt, so der damalige CDU-Bürgermeister Diepgen. Es war der Jahrestag der Wehrmachts- und SS-Massakers in Lidice, Oradour-sur-Glane und Distomo. Nur das massive und brutale Vorgehen der Polizei und weiträumige Absperrungen konnten Störungen verhindern.

Als Konsequenz aus denDebatten um Gelöbnisse, die von Kritikern des militaristischen Aktes initiiert wurden, und auf Grund der Störungen finden seit 1999 die "öffentlichen" Gelöbnisse nicht mehr im öffentlichen Raum statt. Um Demonstrationen auf Abstand zu halten, wird seither dem Militär für den Tag des Gelöbnisses ein weiträumiges "Sondernutzungsrecht" eingeräumt - öffentlicher Raum wird privatisiert, das Hausrecht auf die Bundeswehr und das Kommando auf die Feldjäger übertragen. Auf der Suche nach einem geeigneten Tag und Ort für das Gelöbnis fiel die Wahl auf den 20. Juli und den Bendlerblock, dem Berliner Dienstsitz des Verteidigungsministers. Der Bendlerblock ist bereits seit wilhelminischen Zeiten fest in militärischen Händen, wurde während der Weimarer Republik durch das Reichswehrministerium und während der NS-Diktatur durch Spitzeneinrichtungen der Wehrmacht genutzt. Die Bundesregierung unter Schröder und Fischer, gestählt aus der Beteiligung der Bundeswehram Angriffskrieg gegen Jugoslawien, hat diesen Termin und Ort bewusst gewählt, um der "neuen" Bundeswehr einen positiven Bezug zur Wehrmacht zu geben. Der militärische Widerstand sei "Sinnbild und Symbol des deutschen Widerstands" gegen die NS-Diktatur. Das deutsche Militär soll von seiner verbrecherischen Geschichte befreit werden, um unbelastet weltweit eingesetzt werden zu können.

Folgerichtig steht seit 1999 nicht mehr die mittels Gelöbnissen bezweckte Militarisierung der Gesellschaft im Mittelpunkt der Kritik, sondern der Traditionsbezug zum 20. Juli und die Militarisierung der bundesdeutschen Politik. Mit der Inszenierung des Mythos 20. Juli wird nicht nur der Widerstand anderer ausgeblendet, sondern auch unterschlagen, dass es nicht zuletzt die Militärs waren, die die Machtübertragung auf Hitler im Januar 1933 ermöglicht haben. Ohne Militärs hätte es nicht nur den 20. Juli 1944 nicht gegeben, sondern auch nicht die Aufrüstung der Wehrmacht und nicht den Angriffs- und Vernichtungskrieg, der am 1. September 1939 begann. Die Attentäter haben über lange Jahre gehorsam gedient, den Krieg bejaht und, mehr als das, selbst Befehle im nationalsozialistischen Krieg erteilt. Und genaudies ist der eigentliche Grund, warum die Bundeswehr in ihnen Vorbilder sieht: Sie waren überzeugte Militaristen, bereit, für Deutschland Krieg zu führen, beseelt vom Nationalismus. Anders hingegen die Deserteure, Kriegsdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer und Kriegsverräter der Wehrmacht. Sie wollten sich nicht an den Verbrechen beteiligen und haben sich der Kriegsbeteiligung entzogen. Über 30.000 Todesurteile wurden gegen sie verhängt, 20.000 wurden vollstreckt. Ihnen zu Ehren führt die Kampagne seit 1994 am 20. Juli im Bendlerblock eine Gedenkveranstaltung durch, so auch in diesem Jahr erstmals gemeinsam mit dem Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein. Diese konnte auch ungestört durchgeführt werden, eine Kundgebung in der Nähe der Gedenkstätte hingegen, tags zuvor noch durch das Verwaltungsgericht Berlin bestätigt, wurde vor Ort durch die Polizei unterbunden.

In diesem Jahr, dem 60. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler, wollte die Bundeswehr nach dem Motto "größer, besser, sicherer" das militärische Zeremoniell unter den Blicken von Bundeskanzler und Bundespräsident feiern. Mehr als 500 Rekruten des Wachbataillons waren auf dem Appellplatz hinter einem meterhohen Metallzaun, abgeschirmt von 1.000 Polizisten und mehreren hundert Feldjägern, angetreten. Trotz höchster Sicherheitsstufe ist es drei AktivistInnen der Berliner Naturfreundejugend und der Brandenburger JungdemokratInnen/Jungen Linken gelungen, sich Zutritt zum Gelöbnis zu verschaffen. Unter dem Vorwand, an einer Studienarbeit zum Thema "Rituale und öffentlicher Raum" zu arbeiten, erhielten zwei von ihnen offiziell Zutritt und wurden auf der Pressetribüne platziert. Dadiese Tribüne durch Feldjäger nicht hermetisch umstellt ist, konnten sie ungestört im feierlichsten Moment des Gelöbnisses, beim Sprechen des ersten Satzes der Gelöbnisformel, auf den Platz rennen. Sie riefen antimilitaristische Parolen, sorgten für Verwirrung und für eine "ausgesprochen peinliche Unterbrechung" der Zeremonie, so der Berliner Tagesspiegel. Nachdem sie von Feldjägern eingefangen und abgeführt worden waren, wurde das Gelöbnis fortgesetzt. Ein dritter Aktivist wurde als "Mitarbeiter der Protokollabteilung des Bundespräsidialamtes" akzeptiert, konnte aber die Zuschauertribüne nicht verlassen.

Unter dem Motto "Deutschland abschwören - Europa einheizen! Radikal gegen Militarisierung und Krieg!" hatten mehr als 20 Gruppen und Organisationen zur Demonstration gegen das Gelöbnis der Bundeswehr aufgerufen. Trotz der in diesem Jahr wesentlich schlechteren und sehr kurzfristigen Mobilisierung kamen mehr als 800 DemonstrantInnen. Die Polizeivor Ort wurde nervös, da sie "von oben" mehrfach die Order erhalten hatte, dafür zu sorgen, dass die Kundgebung leiser werden müsse, da sie auf dem Gelöbnisplatz zu hören war. Sie drohte den Einsatz von Wasserwerfern und die Erstürmung desLautsprecherwagens an. Die DemonstrantInnen ließen sich nicht einschüchtern, trillerten weiter, skandierten Parolen und tanzten vor den Polizeiketten. (Fotos, Videos und Hintergrundinformationen zu Protesten, Gelöbnissen, zu den Attentätern des 20. Juli u.a.m. unter www.kampagne.de/GeloebNIX.php)

Ärgerlich ist aus antimilitaristischer Sicht die sichtbare Beteiligung von Gruppen wie der FDJ an der Gelöbnix-Demonstration. Sie führten ein Transparent mit der Losung "Gegen deutsche Landser helfen rote Panzer!" mit. Ebenfalls ärgerlich ist es, dass solche Gruppen mit dafür sorgten, dass der Berliner Landesverband der Jusos, der sich gegen Gelöbnisse und gegen die Militarisierung der BRD sowie Europas positionierte, vom Bündnis ausgeschlossen wurde.
 

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Ralf Siemens ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung in Berlin. http://www.asfrab.de