Wo bleiben die jungen Menschen?

Generationenwechsel bei den Ostermärschen

von Marvin Mendyka

Die Ostermärsche in Deutschland werden in diesem Jahr 60 und kommen allmählich in die Jahre. In den Presseberichten zu den jährlich stattfindenden Aktionen wird regelmäßig auf das hohe Alter der Teilnehmenden verwiesen. Droht der traditionellsten Aktionsform der Friedensbewegung das baldige Aus, weil es keinen Nachwuchs mehr gibt?

 

Es lässt sich nur schwer leugnen: Das durchschnittliche Alter der Ostermarschierer*innen dürfte inzwischen bei 60+ liegen. Viele der Aktivist*innen organisieren oder beteiligen sich bereits seit Jahrzehnten an den Osteraktionen der Friedensbewegung. Nichtsdestotrotz zeichnet sich in den vergangenen Jahren ein erfreulicher Trend ab. Zum einen gibt es wieder in mehr Städten deutschlandweit Ostermärsche. In den letzten Jahren sind u.a. Ostermärsche in Göttingen, Siegen, Neuss und einer Reihe von Kleinstädten hinzukommen. Zum anderen steigt seit gut einem halben Jahrzehnt auch die Zahl der Teilnehmer*innen leicht, aber kontinuierlich an. Auch wenn die Friedensbewegung noch immer meilenweit davon entfernt ist, wieder eine breite Massenbewegung zu sein, bleibt dies eine bemerkenswerte Entwicklung. Dennoch scheint mit dieser Entwicklung eine Verjüngung der Ostermärsche nicht oder nur sehr schleppend einherzugehen. Daten darüber, wie sich die Teilnehmer*innen zusammensetzen, gibt es vermutlich nicht, aber dass die Ostermärsche von Best Agern dominiert werden, ist offenkundig.

Aber ist davon auszugehen, dass die Ostermärsche bald in den Ruhestand gehen werden? Nein. Zunächst einmal haben die Ostermärsche in ihrer nun 60-jährigen Geschichte schon mehr als einen Generationenwechsel erfolgreich überstanden. Das gibt Hoffnung, dass ein weiterer Generationenwechsel möglich ist. Denn das Thema Krieg ist nach wie vor bei jungen Menschen präsent. Das Komitee des Internationalen Roten Kreuzes (ICRC) veröffentlichte im Januar eine Studie, in deren Rahmen 16.000 Millennials, also die erste Generation der sogenannten Digital Natives (Menschen die zwischen 1981 und 1998 groß geworden sind), aus 16 Staaten befragt wurden. 47 Prozent der Befragten gaben an, dass sie befürchten, noch zu ihren Lebzeiten einen Dritten Weltkrieg zu erleben. Mehr als die Hälfte der Befragten geht sogar davon aus, dass es in den nächsten zehn Jahren zum erneuten Einsatz von Atomwaffen kommen wird. Knapp drei Viertel der Befragten gaben an, dass Kriege vermieden werden können. (1) Potential, um den Generationenwechsel bei den Ostermärschen erfolgreich meistern zu können, ist also vorhanden.

Es wäre unrealistisch davon auszugehen, dass diese jungen Menschen, die angesichts der derzeitigen weltpolitischen Lage zwar besorgt, aber generell der Meinung sind, dass Kriege nicht einfach so vom Himmel fallen, von ganz alleine zu den Ostermärschen kommen oder diese möglicherweise in Zukunft selbst organisieren. Friedensorganisationen müssen besser darin werden, Angebote für junge Menschen zu schaffen, um sie in der Friedensbewegung zu integrieren. Über viel zu viele Jahre hat das Thema Nachwuchsgewinnung jedoch keine Rolle bei den Friedensorganisationen gespielt. Erst in den letzten Jahren hat sich in diesem Bereich etwas getan. Als Beispiele für erfolgreiche Nachwuchs- bzw. Jugendarbeit lassen sich u.a. die U35-Vernetzungstreffen der DFG-VK, die Hochschulgruppen von IPPNW und ICAN oder das Projekt Friedensarbeiter*in des Netzwerk Friedenskooperative nennen. Projekte wie diese müssen in den kommenden Jahren noch deutlich ausgebaut werden, damit die Friedensbewegung insgesamt, aber auch die Ostermärsche, eine Zukunftsperspektive haben.

Es lohnt sich jedoch, auch einen Blick auf die vielen positiven Beispiele zu werfen, bei denen es bereits jetzt gelingt, junge Menschen in die Ostermärsche einzubinden. Fragen von Krieg und Frieden bieten zahlreiche inhaltliche Verbindungslinien zu anderen Themen, sei es Flucht und Vertreibung, Gender oder auch Klimawandel. Themen, bei denen es ebenfalls rege soziale Bewegungen gibt, in denen sich viele junge Menschen engagieren. Deutlich wurde dies zuletzt bei den Ostermärschen 2019. Bei etlichen Ostermärschen war das Thema Klimagerechtigkeit stark vertreten. In vielen Städten wurden Redner*innen der „Fridays for Future“-Bewegung zu den Ostermarschkundgebungen eingeladen und haben diese bereichert. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, dass sich auch junge Menschen zu Ostern zusammentun, um für eine friedlichere Welt auf die Straße zu gehen, stellt Kassel dar. Dort beteiligten sich mehr als 400 – hauptsächlich junge – Menschen an einem Oster-Rave unter dem Motto „Rüstungsindustrie? Wegbassen!“. Es mag sein, dass sich das Erscheinungsbild oder die inhaltlichen Schwerpunkte der Ostermärsche in Zukunft ändern werden, aber auch nach 60 Jahren sind und bleiben die Ostermärsche ein fester Bestandteil der Protestkultur in Deutschland!

 

Anmerkung

1 Die Kernergebnisse der Befragung des ICRC sind nachzulesen unter: https://www.icrc.org/en/document/majority-millennials-see-catastrophic-w...

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Referent für Social-Media und Öffentlichkeitsarbeit beim Netzwerk Friedenskooperative.