Vom Amt Blank bis zur NATO-Battlegroup Lithuania

Geschichte der Bundeswehr

von Otmar Steinbicker
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Die Geschichte der Bundesrepublik ist eng verbunden mit der Geschichte der Bundeswehr. Bereits ab 1947 orientierte die US-Besatzungsmacht zunehmend auf die Bildung eines westdeutschen Separatstaates mit einer politischen Frontstellung im beginnenden Kalten Krieg und der Option einer militärischen Beteiligung im Verbund des Westens.

Als das Grundgesetz am 23. Mai 1949 in Kraft trat, gab es noch keine deutschen Streitkräfte. Dennoch enthielt das Grundgesetz schon zu dieser Zeit eine Reihe von Bestimmungen, die sich auf sie bezogen. Dazu gehören u.a. Art. 4, Abs. 3: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“, das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges (Art. 26, Abs.1) und die Festlegung, dass „zur Kriegführung bestimmte Waffen … nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden“ dürfen (Art. 26, Abs. 2)

Für die Regierung Adenauer gehörte der Aufbau einer Armee mit zu den ersten Zielen. Bereits am 30. November 1949 dachte der Kanzler über die politische Durchsetzbarkeit eines deutschen Kontingentes für eine europäische Armee nach. Am 24. Mai 1950 ernannte Adenauer den Wehrmachtsgeneral Graf von Schwerin zu seinem ständigen Berater in militärischen und Sicherheitsfragen. Dieser General war noch am 13. September 1944 dafür verantwortlich gewesen, dass zwei vierzehnjährige Jungen in Aachen als angebliche Plünderer erschossen wurden. Der Auftrag Adenauers lautete anfangs Planung einer „mobilen Bundesgendarmerie“. Die Dienststelle Schwerin trug die Tarnbezeichnung „Zentrale für Heimatdienst“ (ZfH). Seit Beginn der Korea-Krise im Juni 1950 forderten vor allem die USA einen deutschen Militärbeitrag. Die Dienststelle Schwerins bearbeitete dazu systematisch alle Aspekte.

Aus Protest gegen die Ende August 1950 geführten Geheimverhandlungen, bei denen Adenauer eine westdeutsche „Bereitschaft zur Remilitarisierung“ signalisiert hatte, ohne das Kabinett und die deutsche Öffentlichkeit zu informieren, trat der damalige Bundesinnenminister und spätere Bundespräsident Gustav Heinemann am 9. Oktober 1950 zurück. Ende Oktober 1950 wurde Schwerin von Adenauer entlassen, nachdem dieser Journalist*innen gesagt hatte, dass die Bundesrepublik ein Wehrpflichtgesetz vorbereite.

Remilitarisierung Westdeutschlands
Am 26. Oktober 1950 folgte die Ernennung von Theodor Blank (CDU) zum Beauftragten des Bundeskanzlers. Blank berief die Wehrmachtsgeneräle Adolf Heusinger und Hans Speidel als militärische Berater. Das „Amt Blank“ wurde zur Keimzelle des späteren Verteidigungsministeriums.

Am 23. Januar 1951 gab der damalige Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte, Dwight D. Eisenhower, gegenüber Adenauer eine Ehrenerklärung für die Soldaten der Wehrmacht ab, die deren Wiedereingliederung in militärische Verbände ermöglichte. Daraufhin wurden ab 16. März 1951 militärische Verbände im paramilitärisch organisierten Bundesgrenzschutz (BGS) ausgebildet.

Nach dem Scheitern der ursprünglich geplanten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) wurde die Bundesrepublik im Mai 1955 in die NATO aufgenommen. Waren die ersten Bundeswehrsoldaten noch Freiwillige (oft ehemalige Wehrmachtssoldaten), so trat am 21. Juli das Wehrpflichtgesetz in Kraft. Ab 1957 traten die ersten Wehrpflichtigen ihren Dienst an.

Bei Gründung der Bundeswehr hatten deren Offiziere und Unteroffiziere fast ausnahmslos zuvor in der Wehrmacht, teilweise auch in der Waffen-SS, gekämpft. Noch 1959 waren von 14.900 Bundeswehroffizieren 12.360 bereits in der Reichswehr oder Wehrmacht zu Offizieren ernannt worden, 300 Offiziere hatten der Waffen-SS angehört.

War die rechtliche Grundlage der Wehrpflicht schon 1956 in Artikel 12a des Grundgesetzes formuliert worden, in dem es in Absatz 1 heißt: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften […] verpflichtet werden“, so wurde der militärische Auftrag der Bundeswehr 1968 erweitert. In der ursprünglichen Fassung hieß es in Art. 87a des Grundgesetzes „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ Im Zuge der Notstandsgesetze wurden dann neben der „Abwehr bewaffneter Kräfte von außen“ auch „vorbereitende Maßnahmen zur Verteidigung im Spannungs- und im Verteidigungsfall“, der „Einsatz zur Herstellung und Erhaltung der Inneren Sicherheit“ sowie der „Einsatz bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen“ festgeschrieben.

Demokratisierung des Militärs?
Umstritten war in der Bundeswehr lange Zeit das Konzept der Inneren Führung. Damit sollte die Truppe in die demokratischen Strukturen der Gesellschaft integriert werden und parlamentarischer Kontrolle unterliegen. Der Soldat wurde als Staatsbürger mit den gleichen, nur im militärisch begründeten Ausnahmefall eingeschränkten Rechten definiert. Die innere Ordnung und die Rolle der Streitkräfte im Staatswesen sollten demokratieverträglich sein. Dagegen gab es bis Ende der 1960er Jahre noch heftigen Widerstand in der aus der Wehrmacht stammenden Generalität.

Mit dem ersten Weißbuch begann die SPD/FDP-Regierung unter Willy Brandt 1970 eine Reform der Bundeswehr. Das Verteidigungsministerium wurde umgegliedert und zum 3. Februar 1971 sank die Dauer des Grundwehrdienstes von 18 auf 15 Monate. Mit der Entspannungspolitik sank zugleich die Gefahr eines Kriegseinsatzes der Bundeswehr.

Gab es 1962 ein Manöver („Fallex 62), bei dem ein sowjetischer atomarer Erstschlag und eine anschließende sowjetische Großoffensive auf Westeuropa simuliert wurden, so wurde auch noch November 1983 mit Able Archer 83 ein europaweites zehntägiges NATO-Manöver abgehalten, das einen Atomkrieg durchspielte. Auch der Warschauer Pakt entwickelte 1983 noch eine Planung für einen Präventivkrieg gegen die Bundesrepublik, um gegebenenfalls einem befürchteten NATO-Atomangriff zuvorzukommen.

Realistischeres Denken
Erst ab Mitte der 1980er Jahre breitete sich in NATO und Warschauer Pakt realistischeres militärisches Denken aus, das auf eine Sicherheitspartnerschaft orientierte. Im März 1987 nahmen so erstmals zwei Bundeswehroffiziere als Beobachter an einem Manöver des Warschauer Paktes in der DDR teil. Im Juni 1988 diskutierten Offiziere der Bundeswehr und der DDR-NVA bei einer Tagung in der Ev. Akademie Loccum miteinander und kamen zum gemeinsamen Schluss, dass ein großer, weiträumig geführter Krieg zum Ende der europäischen Zivilisation führen würde, selbst wenn es gelänge, ihn auf konventionelle (nichtatomare) Kriegführung zu begrenzen. Logischerweise gingen weiterführende Überlegungen in die Richtung, eine „strukturelle Nichtangriffsfähigkeit“ zu erreichen, die den jeweiligen Blöcken eine Möglichkeit zur Verteidigung, nicht aber zum Angriff bot. Bevor dazu brauchbare Konzepte erarbeitet wurden, endete jedoch die DDR und kurz darauf auch der Warschauer Pakt.

Nach der Wiedervereinigung wurde die NVA der DDR aufgelöst und die Standorte und Ausrüstung von der Bundeswehr übernommen. Ein großer Teil der Waffen wurde  im Rahmen der Vereinbarungen des KSE-Vertrages verschrottet, Schützenpanzer wurden an die Türkei, Pionierfahrzeuge an Schweden, Luftabwehrsysteme an Griechenland und Schiffe an Indonesien verkauft. Eine Auswahl von allen Waffensystemen wurde in die USA zum Test und für Manöver überführt. Ein großer Teil der Unteroffiziere sowie fast alle Offiziere der NVA wurden entlassen.

Die Bundeswehr in der Legitimationskrise
Die Bundeswehr geriet in eine Legitimationskrise, da sich der bisherige Feind, der Warschauer Pakt, aufgelöst hatte und eine „Verteidigung“ gegen ihn nicht mehr glaubhaft vermittelbar war. Als Ersatz wurden schon bald internationale Einsätze der Bundeswehr „out of area“ – also außerhalb des NATO-Gebietes durchgeführt. Fanden die ersten Einsätze noch überwiegend im Rahmen der UNO statt, so nahm die Bundeswehr im März 1999 an einem ersten Angriffskrieg der NATO gegen Serbien (Kosovokrieg) teil. 2001 begann der bis heute nicht beendete Afghanistankrieg, bei dem die Bundeswehr bis 2014 auch Kampftruppen stellte, danach bis heute Ausbildungskräfte.
Mit dem Ukrainekonflikt und der Annexion der Krim durch Russland 2014 wurde Russland wie einst die UdSSR als Bedrohung für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland angesehen. Seit 2016 führt die Bundeswehr in Litauen den multinationalen Kampfverband NATO-Battlegroup Lithuania mit rotierenden Truppenteilen aus verschiedenen NATO-Mitgliedsstaaten an.

Angesichts der Professionalisierung der Streitkräfte wurde zum 1. Juli 2011 die Wehrpflicht abgeschafft. Seither hat die Bundeswehr allerdings Probleme, die gewünschte Zahl an qualifiziertem Nachwuchs zu rekrutieren.
 

INFOKASTEN: NVA
Die DDR hatte mit der Nationalen Volksarmee (NVA) ihre eigene Armee, die in den Warschauer Pakt eingebunden war, so wie die Bundeswehr in die NATO. Ähnlich wie in Westdeutschland begann der Aufbau der Armee frühzeitig ab 1949 in paramilitärischen Formationen der Polizei, ab 1952 als „Kasernierte Volkspolizei“. Offiziell wurde die NVA am 1.3.1956 gegründet.
Im Traditionsverständnis suchte die NVA einen Bogen zu schlagen zwischen linken Traditionen der Novemberrevolution und des Spanischen Bürgerkrieges auf der einen und konservativen Traditionen aus der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon auf der anderen Seite.
Insgesamt ist die Geschichte der NVA von mehr inneren Widersprüchen gekennzeichnet als die der Bundeswehr. Diese Problematik wäre in einem ausführlichen Beitrag zu erläutern und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.
Bemerkenswert ist die bis in die 1980er Jahre vorherrschende Auffassung von der Führbarkeit eines Atomkrieges. Den relativ schnellen Sinneswandel zwischen 1983 und 1988 in Richtung auf die Nichtführbarkeit auch eines konventionellen Krieges am Ende der 1980er Jahre erläutert folgendes Interview:  „Von der Präventivkriegsplanung zur Erkenntnis, dass ein moderner Krieg nicht mehr gewonnen werden kann?", https://aixpaix.de/europa/lautsch-interview-20170408.html
Für die Bundeswehr kam eine Übernahme von Traditionen der NVA nicht in Frage, so dass dieses Kapitel der Geschichte in sich abgeschlossen ist.

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Otmar Steinbicker ist Redakteur des FriedensForums und von aixpaix.de