Gestern Frieden - heute Antifa?

von Kurt Faller

Die Wahlerfolge rechtsextremer und neofaschistischer Gruppen wie DVU-Liste D, NPD und vor allem der sogenannten Republikaner haben in Friedensinitiativen eine Diskussion ausgelöst, ob dies jetzt nicht der neue Schwerpunkt Sozialer Be­wegung sein müssen. Verbunden damit ist bei vielen die Hoffnung, damit auch wieder mehr Menschen zu Aktionen mobilisieren zu können. Einige Initiativen haben sich unbenannt, einige ihren Namen mit "... und Antifaschismus" erweitert.

Diese Diskussionen sind ernstzuneh­men. Und so sehr ich es persönlich be­grüße, wenn Menschen, die in der Friedensarbeit Erfahrungen gesam­melt haben, sich in der antifaschisti­schen und antirassistischen Bewegung engagieren, so sehr möchte ich vor ei­nem einfachen "Umsteigen auf das Antifa-Thema" warnen, Dies wäre eine Ausweichen vor den aktuellen Entwicklungsproblemen der Friedensbe­wegung mit längerfristig negativen po­litischen Folgen. Denn damit würden die Chancen vermindert, neue und ef­fektive Formen der Friedensarbeit zu finden.

Ein "Umsteigen" von schon lange ar­beitenden Friedensinitiativen entspricht auch nicht dem Stand der an­tifaschistischen Bewegung. Denn diese Bewegung, die stark auf die Auseinan­dersetzung mit den rechtsextremen und neofaschistischen Gruppen kon­zentriert ist, ist erst dabei, ihre Struk­turen zu entwickeln. An vielen Orten, in den meisten Bundesländern und auf Bundesebenen entstehen Bündnisse, die noch sehr unterschiedlich zusam­mengesetzt sind und unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Arbeit haben. Nicht "Umsteigen" ist daher angesagt, sondern lernen voneinander, gemein­same Gespräche und wenn möglich, auch Absprachen.

Dies gilt in erster Linie für die inhaltli­che Diskussion. So ist die inhaltliche Einigungslinie des "Bremer Prozesses", der bundesweiten Vernetzung nach der ersten bundesweiten Aktionskon­ferenz gegen Neofaschismus und Ras­sismus in Bremen im Januar 1989, die gemeinsame Suche nach einer moder­nen Konzeption antifaschistischer Ar­beit, die zwar aufbaut auf den bisheri­gen Erfahrungen des "traditionellen" Antifaschismus, aber jetzt stärker die aktuellen und zukünftigen Bedingun­gen in den Vordergrund stellt. In den letzten zwei Jahren ist vor allem bei den Wahlen überdeutlich geworden, daß Gegenaktionen nicht mehr ausrei­chen, sondern daß es notwendig ist, stärker politische Konzepte und Per­spektiven zur Veränderung der politi­schen Kultur zu entwickeln. Wichtig ist dabei die gemeinsame Erarbeitung po­sitiver Alternativen - die Forderung nach einem Kurs humaner Orientie­rung, Entwürfe für eine multikulturelle Gesellschaft, für eine Lösung sozialer Probleme und neuer Ansätze für die Jugendarbeit. Hier bieten sich viele Möglichkeiten, die Erfahrungen aus der kommunalen Friedensarbeit und der in Tübingen begonnenen Utopie-Debatte einzubringen. Ein Beispiel dafür ist der Aufruf für eine friedens­fähige Gesellschaft aus Anlaß der bundesweiten Friedenswoche vom 12. - 22. 11. 1989. Möglich wäre dies bei der geplanten zweiten bundesweiten Aktionskonferenz gegen Neofaschis­mus und Rassismus, die am 10. und 11. Februar 1990 in Frankfurt stattfinden wird. Wichtig wären auch Absprachen über mögliche gemeinsame Aktionen in den Wahlkämpfen des Jahres 1990, vor allem im November 1990, der heißen Phase des Bundestagswahl­kampfes. Die Kraft Sozialer Bewegung liegt vor allem in den dezentralen, in den unterschiedlichen Bereichen täti­gen Initiativen, die autonom arbeiten. Dabei entwickelt jede dieser Initiativen ihre eigenen Formen. Die antifaschi­stische Bewegung kann sich heute schneller entwickeln, da durch die Friedensbewegung eine politische Kultur der Zusammenarbeit geschaf­fen wurde. Aber: sowohl die Friedens­bewegung als auch die antifaschisti­sche Bewegung muß ihre jeweils spe­zifischen Strukturen finden. Schwer­punktverlagerungen oder "umsteigen" bringen uns nicht weiter.

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Kurt Faller ist Mitglied im Sekretariat der Vereinigung der Verfolgten des Nazi¬regimes-Bund der Antifaschisten.