Zu den ersten Opfern des Krieges gehört immer die Wahrheit

Gewalt gegen Journalisten als Mittel der Zensur

von Kerstin Zyber und Margarete Jacob

Objektive Berichterstattung ist dann kaum noch möglich. Wer es dennoch wagt, das Ausmaß von Verwüstungen und die Zahl von toten Zivilisten zu veröffentlichen, gerät zwischen die Fronten und wird zum militärischen Ziel erklärt. Doch nicht nur bei kriegerischen Auseinandersetzungen sondern auch in Friedenszeiten wird die Presse- und Meinungsfreiheit zur Zielscheibe der Mächtigen. Diktatorische Regime zögern nicht, mittels versteckter oder offener Gewalt gegen Medien und Journalisten vorzugehen. Und auch demokratisch gewählte Regierungen greifen zu repressiven Mitteln und Zensur, um unliebsame Kritiker zum Schweigen zu bringen.

In Zeiten des "Kriegs gegen den Terror" haben Befürworter eines harten Kurses gegenüber kritischen Journalisten Aufwind bekommen. So wird im Namen der Sicherheit der Bürger die Gelegenheit verpasst, durch eine breit gefächerte öffentliche Meinung eine konstruktive Diskussion anzustoßen.

Journalisten, die es dennoch wagen, die politischen Geschehnisse in ihren Heimatländern zu hinterfragen, werden allzu oft eingeschüchtert, bedroht, verfolgt und ermordet. Unabhängige Redaktionen werden geschlossen oder es wird zum Boykott gegen sie aufgerufen. In den vergangenen zehn Jahren starben mehr als 500 Journalisten in Ausübung ihres Berufs. Nichtregierungsorganisationen wie amnesty international und Reporter ohne Grenzen dokumentieren seit Jahren Fälle von Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit. Oft können sie nur noch über den Tod eines Journalisten berichten.

Auch in Europa müssen Medienschaffende, die sich gegen die Obrigkeit stellen, mit Repressionen rechnen. Einer der bekanntesten Fälle ist der des russischen Umweltjournalisten Grigorij Pasko. Der Publizist, Umweltschützer und ehemalige Marineoffizier war im Jahr 1997 von den russischen Behörden verhaftet worden. Zuvor hatte er in einem Artikel in einer Marine-Zeitung öffentlich gemacht, dass die russische Pazifikflotte radioaktive und chemische Abfälle im japanischen Meer versenkt und dem Militärkommando Korruption vorgeworfen. Ein Video, das die illegalen Aktivitäten dokumentierte, spielte er dem japanischen Fernsehen zu. Pasko wurde des "Landesverrats" und der "Weitergabe militärischer Geheimnisse" angeklagt und zu drei Jahren Haft verurteilt. Er wies alle Vorwürfe zurück und ging in Berufung. Der erneute Prozess endete im Dezember 2001 mit der Verurteilung Paskos zu vier Jahren Arbeitslager.

Internationale Organisationen protestierten. Reporter ohne Grenzen verlieh ihm in Abwesenheit im vergangenen Jahr den Menschenrechtspreis ihrer Organisation. amnesty international setzte sich mit Eilaktionen, Mahnwachen und Petitionen nachdrücklich für seine Freilassung ein und konnte endlich Ende Januar 2003 von seiner vorzeitigen Freilassung wegen "guter Führung" berichten. Die verbleibenden 16 Monate seiner Haftstrafe muss er nun unter polizeilicher Überwachung zuhause verbringen. Die Verurteilung Paskos wurde von amnesty international und Reportern ohne Grenzen stets als eine politische Vergeltungsmaßnahme gewertet. In der Regierungszeit Putins ist eine zunehmende Gleichschaltung der Medien mit einhergehender Zensur zu beobachten.

In anderen Fällen bezahlen Journalisten ihren Einsatz für eine unabhängige Berichterstattung nicht nur mit Haftstrafen, sondern mit ihrem Leben. Ein Beispiel ist der Tod der kanadisch-iranischen Fotojournalistin Zahra Kazemi, die im Juli 2003 in iranischer Haft starb. Wenige Wochen zuvor war sie festgenommen worden, als sie Fotoaufnahmen einer Demonstration vor dem berüchtigten Teheraner Zentralgefängnis Evin machte. Ihr Tod erregte weltweites Aufsehen. Als Todesursache gab die iranische Justiz zunächst einen Schlaganfall an. Eine von Präsident Khatami offiziell angeordnete Untersuchung kam jedoch zu dem Schluss, dass Kazemi an einer Gehirnblutung, verursacht durch Schläge während ihres Verhörs, gestorben war. Doch die Festnahme und der Tod der ausländischen Journalistin ist nur der prominenteste Fall der Unterdrückung der Pressefreiheit im Iran. Auch der reformorientierte Khatami konnte oder wollte die Schließung von nahezu 100 unabhängigen Publikationen allein in den vergangenen drei Jahren nicht stoppen. Zahlreiche regimekritische Journalisten sind in den vergangenen Jahren in den Gefängnissen verschwunden.

Im mittelamerikanischen Guatemala führt in den Medien geäußerte Kritik zu Einschüchterungen bis hin zu Morddrohungen. Die Journalistin Carmen Judith Morán Cruz ist nur eine von vielen, die Morddrohungen für ihr Engagement erhalten hat. Als Regionalkorrespondentin der Stadt Salamá für die landesweite Nachrichtenagentur CERIGUA hat sie tagelang anonyme Morddrohungen per Telefon erhalten. Die Anrufer forderten sie auf, ihren Job unverzüglich zu kündigen, weil sie und ihre Familie sonst die Konsequenzen zu spüren bekommen würden. Bisher hat sich Morán Cruz jedoch geweigert, dieser Forderung nachzukommen. Die Zweigstelle von CERIGUA, in der Morán Cruz beschäftigt ist, hat sich in ihrer Berichterstattung auf politisch brisante Themen wie die Menschenrechtssituation spezialisiert. Sie veröffentlichte unter anderem Berichte über Exhumierungen von Opfern, die während der Militärdiktatur getötet wurden. Auch die Landkonflikte der indigenen Bevölkerung, die seit Jahren um ihre Rechte kämpfen, machte CERIGUA immer wieder zum Thema. Dass die Gefährdung für kritische Journalisten offenbar vor den im November anstehenden Wahlen in Guatemala größer wird, zeigt sich auch daran, dass amnesty international gerade in den vergangenen Monaten vermehrt Fälle verzeichnen musste, in denen Journalisten und ihre Familien massiv bedroht wurden. So hatten bereits im April Ileana Alamilla, die Direktorin von CERIGUA und weitere Mitarbeiter der Agentur anonyme Morddrohungen erhalten.

Menschenrechtsorganisationen nehmen diese Berichte mit großer Sorge zur Kenntnis. Auch hier muss davon ausgegangen werden, dass politische Interessensgruppen Journalisten, die über brisante Themen berichten, zum Schweigen bringen wollen.

Die Fälle aus Russland, dem Iran und Guatemala zeigen, dass Gewalt gegen Journalisten weder geografische noch politische Grenzen kennt. Beinahe überall und jeden Tag werden Journalisten zu Opfern. Hier nur einige Meldungen, die amnesty international in der ersten Hälfte dieses Jahres erreicht haben:

 
      März 2003 - Sudan: Edward Terso Lado, Journalist der Zeitung "Khartoum Monitor" wird von Sicherheitskräften in Gewahrsam genommen;  
      Mai 2003 - Indonesien: Muhammad Jamal, Mitarbeiter eines Fernsehsenders, wird verhaftet;  
      Juni 2003 - Bangladesch: Tipu Sultan, kritischer Journalist, wird überfallen und bedroht;  
       
      Juli 2003 - Peru: Andrés Béjar Torreblanca, Mitinhaber eines privaten Radiosenders, erhält Morddrohungen. Die Liste der weltweit verfolgten Journalisten ließe sich endlos fortsetzen.
 
 
    Die Rechte auf Presse- und Meinungsfreiheit gehören zu den unveräußerlichen Grundrechten eines jeden Menschen und sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgeschrieben. Werden sie in einem Staat eingeschränkt, so ist dies oft genug ein Indiz dafür, dass auch andere Grundrechte beschnitten werden. Wenn die öffentliche Meinung stirbt, so verschwindet damit auch die Möglichkeit zum gesellschaftlichen Diskurs.

Ob in Europa, Amerika, Asien oder Afrika: Gewalt gegen Journalisten, sei es von Seiten der Regierung oder anderer innerstaatlicher Interessensgruppen, muss immer und überall verurteilt und strafrechtlich verfolgt werden. Nur wenn die grundlegenden Rechte auf Presse- und Meinungsfreiheit gewährleistet sind, kann auf dieser Basis eine Gesellschaft entstehen, für die die Wahrung aller Menschenrechte oberste Priorität hat.

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Kerstin Zyber ist verantwortliche Redakteurin des Monatsmagazins "ai-JOURNAL" der deutschen Sektion von amnesty international (ai). Margarete Jacob ist Mitarbeiterin in der Pressestelle von ai.