Alternativen

„Gewaltfreie Kommunikation mit Nazis?“

von Mine Röber

Seit einer Weile stelle ich mir die Frage nach dem Wie. Wie wollen wir Menschen begegnen, die andere beleidigen, hassen, verletzen, ausschließen? Wie können wir menschenverachtendes Denken und Verhalten stoppen und einen respektvollen Umgang der Menschen untereinander fördern? Ist die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) Antwort auf die Frage? Oder schüren wir damit die Gefahr, rechtsaffine Menschen in ihrem Denken und Handeln gewähren zu lassen oder gar ungewollt zu bestärken? Helfen ein klares „Stopp!“, Widerstand, Widerspruch besser, um in unserer Gesellschaft menschenrechtliche Standards zu stärken? Um diesen scheinbaren „entweder oder“ besser auf die Spur zu kommen, habe ich mich aufgemacht, die GFK im Umgang mit rechten Menschen zu untersuchen und andere Ansätze dem gegenüber zu stellen.

Meine Ausführungen mit dem Stand März 2017 beziehen sich nicht auf den rechten Kader oder AktivistInnen, sondern auf MitläuferInnen und SympathisantInnen. Mit Gegenüber meine ich Menschen im eigenen Umfeld, die soziale Gruppen und die ihr zugeordneten Personen abwerten und ausgrenzen.

Die GFK bezeichnet sich als bedürfnisorientierte Sprache. Ihre Grundannahmen sind: Jede Handlung ist der Versuch, sich damit ein Bedürfnis zu erfüllen. Hinter jedem aggressiven Verhalten steckt (mindestens) ein unerfülltes Bedürfnis. Jeder Konflikt ist lösbar, wenn die Beteiligten schauen, welche Bedürfnisse hinter ihren Handlungen stecken. Wenn sie darüber ohne Vorwurf, Kritik und Bewertungen miteinander kommunizieren und klar formulieren, was sie brauchen und um was sie bitten, steigt die Chance, dass die Bedürfnisse Aller erfüllt werden.

Angewandt auf mein Interesse, hieße das: Rechts agierende Personen haben unbefriedigte Bedürfnisse, u.a. nach Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Bedeutsamkeit. Diese würden verstärkt, wenn sie Etikettierung (als Nazi), Ablehnung und Ausschluss/Kommunikationsabbruch erleben. Laut der GFK greifen sie auf Diskriminierung und Gewalt zurück, um ihre Bedürfnisse auszudrücken bzw. sie sich zu erfüllen, weil ihnen keine besseren Strategien zur Verfügung stehen. Sie verändern zu wollen und dabei auf Diskutieren, Überzeugenwollen und Argumentieren zu setzen, bliebe erfolglos. Nur mit der Absicht, sie zu verstehen und zu unterstützen, könne ich meinem Ziel, die Gewalt zu beenden, näher kommen. Verstehen meint, ihnen mit ehrlichem Interesse gegenüber zu treten (Wer bist du? Was brauchst du?) und sie als Person bedingungslos anzunehmen. Unterstützen in dem Sinne, dass sie durch das empathische Gespräch ihren eigentlichen Bedürfnissen auf die Spur kommen und Wege finden, diese zu befriedigen bzw. aggressive Energie heraus zu lassen, ohne Andere zu schädigen. Dafür kann ich ihnen Fragen zu ihrem Erleben und Empfinden stellen, aufmerksam zuhören, mich mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen verbinden und mich selbst reflektieren.

Von der Konfliktforschung erfahre ich, dass Gewalt in verbaler oder physischer Form durchaus auf frustrierte Bedürfnisse und die Unfähigkeit, mit dieser Situation konstruktiv umzugehen, zurück zu führen ist. Dabei kann es passieren, dass sich das anfängliche Ziel (die eigenen Interessen vertreten) verlagert zum Willen, sie unbedingt durchzusetzen, bis hin zu der Absicht, Andere zu verletzen (Eskalation). Konfliktakteure unterschätzen nicht selten die Härte der selbst ausgeführten Verletzungen und empfinden Vergeltungen als unverhältnismäßig hart, was sie zu aggressiven Gegenreaktionen veranlasst. Wenn ich nur meine Intention kenne, und nicht die Handlungshintergründe des/der Anderen, gibt es quasi keine Möglichkeit, sich in seine/ ihre in Lage hinein zu versetzen. Der Konflikt nimmt an Intensität zu. Diese Ausführungen stützen die Annahme, dass Ausschluss und Verurteilung von Personen, von denen selbst Abwertung und Ausgrenzung ausgeht, konfliktverstärkend und damit nicht zielführend ist.

Einleuchtend finde ich jedoch ebenso die Theorie, dass rechtem Verhalten ein menschenfeindliches Weltbild und rassistische, diskriminierende Vorstellungen zugrunde liegen. Hass und Gewalt brauchen nicht nur unbefriedigte Bedürfnisse und Unkenntnis hilfreicher Umgangsmöglichkeiten, um zu erblühen, sondern eben auch das Denken in Vorurteilen und/oder das Anhängen einer menschenverachtenden Ideologie.

Die Praxis
Bei aller Zuwendung zu den emotionalen Anteilen eines Konfliktes darf m.E. dieser rationale Anteil nicht vernachlässigt werden. Für die Praxis schlägt die Anti-Rassismus-Arbeit daher vor, rechten Personen entschieden und fundiert gegenüber zu treten, d.h. menschenfeindliche Haltungen zu benennen, zu verurteilen und sich davon abzugrenzen, ein auf den Inhalt bezogenes In-die-Schranken-Weisen.

Forschungen zur aktiver Gewaltfreiheit haben herausgefunden, wie beides, emotionaler und rationaler Anteil, in den Prozess erfolgreicher Konflikttransformation eingebunden werden kann.

Paroli-Bieten (1) in Kombination mit Vertrauensaufbau (2) heißt die Devise. Dies kann erreichen, dass mein Gegenüber von meiner Überzeugtheit beeindruckt ist, sich dabei sicher fühlt, emotional betroffen ist und in den Hintergrund gerückte Werte wieder wichtig werden. Alles dies sind notwendige Voraussetzungen für eine konstruktive Konfliktbearbeitung auf der interpersonalen Ebene.

Stütze ich mich aufs Argumentieren und Grenzen setzen, erwirkt dies alleinig ein Beeindruckt-Sein von meiner Überzeugtheit. Emotionale Faktoren werden nicht berührt und mein Gegenüber verharrt im Verhalten. Eine Konfliktverhärtung ist wahrscheinlich.

Stütze ich mich auf eine empathische Gesprächsführung à la GFK, fühlt sich mein Gegenüber wahrscheinlich sicher, nimmt mich aber nicht in meinem Überzeugt-Sein wahr. Dies bestärkt ihn in seiner Machtposition, und in seinem destruktiven Verhalten ändert sich so schnell vermutlich nichts.

Hilfreich in der persönlichen Interaktion scheint meiner Recherche zufolge eine Kombination folgender Elemente:

  • ein empathischer und respektvoller Dialog (3), inklusive Selbstreflexion (auch der eigenen rassistischen Prägungen)
  • die eigene menschenrechtsbewusste Haltung klar zu erkennen geben, inklusive Leben und Verteidigen humanistischer, demokratischer Werte
  • fundierte Informationen besitzen und falschen Argumenten und Gerüchten gegenüber setzen
  • authentisches und ehrliches  Auftreten, inklusive Nicht-Verschweigen eigener Unsicherheiten.

Menschen, die sich gehört/gesehen und als Person ernst genommen fühlen, können sich eher auf eine sachlich-inhaltliche Auseinandersetzung einlassen, abweichende Vorstellungen anhören und auf sich wirken lassen.

Einige Fragen bleiben dabei offen.

Menschenverachtendes Denken ist eingebunden in institutionelle Strukturen und die gesellschaftliche Kultur. Wie schaffen wir es, den Blick auf die Individuen nicht überzubetonen, sondern auf allen Ebenen zu arbeiten?

Für einen gesellschaftlichen Wandeln müssen alle Beteiligten eingebunden werden. Wie gelingt es, die „Zuschauenden“, die Stillen, die unbeteiligt Beteiligten zu bestärken und ein Signal zu geben: „Nicht in meinem Namen!“. Wie diejenigen, die der Diskriminierung von Rechten ausgesetzt sind, mit einzubeziehen und ihnen zu ermöglichen, sich zu vertreten?

Generell ist es wichtig zu differenzieren – den Kontext, das Ziel, mein Gegenüber, meine eigene Verfassung und Rolle. Gilt die oben formulierte Erkenntnis für all die verschiedenen Situationen?

In der Akutsituation braucht es zumeist erst Deeskalation, z.B. durch ein deutliches Stopp-Signal. Wie schaffe ich es, mit meinem Gegenüber dann in einen Dialog zu kommen, wenn er/sie dafür nicht bereit ist?

Wie kann ich, wie können wir das herausfinden? Vielleicht durch ausprobieren und reflektieren. Versuchen wir uns doch mal als ForscherInnen im eigenen Feld. Teilen wir unsere Erfahrungen mit Anderen und diskutieren sie.

Auf geht’s, aktive Gewaltfreiheit und gelebte Demokratie im Umgang mit rechtsaffinen Menschen. Lasst uns Erfolg haben und scheitern, lernen und weiterkommen. Und wissen, dass wir nicht die Welt retten können, wohl aber das Gesicht der Welt verändern, wenn wir Alle unsere Handlungsspielräume nutzen.

 

Anmerkungen
(1) Kennzeichen dessen sind: Vorhandensein eines eigenen Standpunktes, Stellung beziehen, Präsenz, Bestimmtheit, Beharrlichkeit, Inkaufnahme von Nachteilen für die eigene Person (Bläsi 2001).

(2) Gekennzeichnet durch: Nicht-verletzendes Verhalten/Respekt, Empathie, Ermunterung zum Perspektivenwechsel, Aufzeigen von Gemeinsamkeiten, Offenheit, positive/beruhigende Atmosphäre (Bläsi 2001).

(3) Bin ich in der Situation stark betroffen, ist Empathie für den Anderen ggf. nicht erste Wahl. Sondern die eigene innerliche Klärung, Selbstsorge oder die Entscheidung für die Strategie der Grenzsetzung, Distanzierung, des deutlichen Stopps.

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Mine Röber ist Trainerin und Projektleiterin beim Friedenskreis Halle e.V.