Globale Machtpolitik: Deutschland in der NATO

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Ende November 2006 trafen sich in Riga die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsstaaten. Die Presseberichterstattung über den NATO-Gipfel konzentrierte sich fast vollständig auf den Streit darum, welches Land wie viel Soldaten zum Sterben und Töten in den Süden Afghanistans schicken sollte. Diese Auseinandersetzung lenkt jedoch davon ab, dass der Konsens der Versammelten wesentlich größer ist, als der inszenierte Dissens vermuten lässt, Die NATO wurde in den letzten Jahren konsequent umgebaut von einem auf Verteidigung orientierten Bündnis zu einem globalen Kriegs- und Interventionsbündnis. Welche Motivationen hierbei zugrunde liegen und welche Gefahren von dieser aggressiven Machtpolitik ausgehen, soll im folgenden erläutert werden. Der Schwerpunkt wird dabei besonders auf der deutschen Militärpolitik liegen.

Militärische Interessenpolitik
Interessenspolitik ist nicht nur in Deutschland eng mit Militärpolitik verknüpft. Spätestens seit Ende der Blockkonfrontation arbeiteten deutsche Regierungen aller Farbschattierungen daran; Deutschland als globalen machtpolitischen Akteur zu etablieren. ,,Um seine Interessen und seinen internationalen Einfluss zu wahren, -( ... ) stellt Deutschland im angemessenen Umfang Streitkräfte bereit", wurde im Jahr 2003 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) der Bundeswehr festgeschrieben. Das Grundgesetz und die aktuelle deutsche Rechtsprechung verbieten aggressive nationale Alleingänge für deutsches Militär (noch). So ist die deutsche Regierung mehr als andere darauf angewiesen, ihre militärische Außenpolitik im Rahmen von Bündnisstrukturen zu organisieren. In den letzten Jahren konzentrierte sich die deutsche Politik dabei vor allem auf EU und NATO. Die deutsche Regierung scheint mit gleicher Entschlossenheit sowohl ihre Position innerhalb des militärischen Arms der EU als auch in der NATO aus¬zubauen. Recht selbstbewusst definieren deutsche Militärpolitiker ihren Anspruch auf Mitgestaltung der NATO. In den Verteidigungspolitischen Richtlinien würde festgestellt, Deutschland „fällt eine herausragende Rolle und Verantwortung für. den künftigen Kurs der NATO zu" Dass hier¬bei auch an eine knallharte militärische Machtausübung gedacht ist, machte Angela Merkel bereits 2004 auf der Münchner NATO-Sicherheitskonferenz deutlich, als sie die frühere US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright zitierte: „Die zentrale außenpolitische Zielsetzung lautet, Politik und Handeln anderer Nationen so zu beeinflussen, dass damit den Interessen und Werten der eigenen Nation gedient ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern." Frau Merkel bezog sich positiv auf dieses aggressive Ver¬ständnis von Außenpolitik und formulierte dann in eigenen Worten: ,,Im Grunde ist es eine verblüffend einfache Definition den Interessen und den Werten der eigenen Nation dienen und dabei alle Mittel in Betracht ziehen."

Überall und vorne mit dabei
Nur kurz dauerte die Orientierungslosig¬keit der NATO, ob dieses Bündnis nach Ende des Kalten Krieges überhaupt noch eine Existenzberechtigung habe. Gegen wen sollte die Sicherheit des Bündnisses nun verteidigt werden?" Mit welcher Bedrohung sollten die immensen Militärausgaben gerechtfertigt werden? 1992 zeichnete sich die weitere Entwicklung bereits ab: ,,Out-of-Area-Einsätze des Bündnisses" sollten bei entsprechenden Beschlüssen der UN möglich sein. ,,NATO will either .go ,out of area' or it will go ,out of business" erklärte der amerikani¬che Senator Richard Lukar 1993. Schon während des Golfkrieges 1991 haben AWACS-Flugzeuge der NATO die Operation ANCHOR GUARD durchgeführt. im- Februar 1994 schossen zwei amerikanische F-16 Bomber vier serbische Militärflugzeuge ab. Hierbei genauso wie bei der Übernahme der UNO-Mission Ende 1995 stützten sich die NATO-Militäraktionen noch auf entsprechende UN-Resolutionen. Am Rande bemerkt sei jedoch, dass die NATO·gegenüber der UN keine Rechenschaftspflicht hatte und weitgehend eigenständig agierte.

Doch spätestens seit die NATO im März 1999 ihren Angriffskrieg gegen Jugoslawien begann, wurde sichtbar, dass diverse Politiker in USA und Europa mehr wollten. Ohne jedes UN-Mandat, ohne ei-nen Angriff auf ein NATO-Mitgliedsland und außerhalb des eigenen Bündnisgebietes zerstörten NATO-Truppen mit aktiver Hilfe der Bundeswehr Infrastruktur und Industrie der Republik Jugoslawien. Was in Deutschland damals als Hilfe für die Menschen im Kosovo und als „einmalige Ausnahme" verkauft wurde, das wurde schnell zur Regel. Noch während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien wurde am 24. April1999 eine neue NATO-Strategie verabschiedet. Diese beinhaltet die Festlegung auf weltweite Interventionen, die Aufstellung' entsprechender Kampftruppen und die „Selbstmandatierunq" der NATO für Kampfeinsätze auch ohne einen entsprechenden UN-Beschluss. Trotz öffentlichen Drucks hielt die NATO in ihrer strategischen Neufestlegung auch am Ersteinsatz von Atomwaffen fest. In den letzten Jahren wurde das damalige Nebenthema brisant: durch die Entwicklung neuer Generationen von Atomwaffen in den USA, Frankreich und Großbritannien, besonders durch die sogenannten „Mini-Nukes", haben diese NATO-Staaten die Einsatzschwelle für Atomwaffen deutlich gesenkt. Damit verstoßen die NATO-Staaten (inklusive Deutschland über die nukleare Teilhabe) gegen den Atomwaffensperrvertrag.

Wenn möglich versuchen die NATO¬Staaten zwar, Legalität ihrer Aktivitäten zu erreichen. Wenn „nötig" spielt dies jedoch keine Rolle. Der gesamte Einsatz Enduring Freedom (OEF), .der nach den Anschlägen des 11. September .2001 als „Selbstverteidigung" ins Leben gerufen wurde, stützt sich auf ein extrem wackliges rechtliches Konstrukt. Er stützt sich auf das Recht auf „individuelle und kol¬lektive Selbstverteidigung" der USA, das in Resolution 1368 und 1373 der UN festgestellt wurde, und auf den Artikel 5 der Washingtoner Verträge (NATO-Verteidigungsfall). Von einem bis heute fortge¬setzten Angriff auf die USA kann zwar definitiv nicht die Rede sein, dennoch werden mit dieser Begründung sowohl der brutale Krieg in Afghanistan als auch der globale sogenannte Antiterrorkrieg durchgeführt. Für diesen gigantischen Feldzug werden zukünftig vermehrt Soldaten, Rüstungsgüter und finanzielle Ressourcen nötig sein. Ein zentrales Projekt in diesem Kontext ist die NATO-Response-Force (NRF).

NRF - Die NATO-Kampftruppe
Während des NATO-Gipfels in Riga 2006 wurde die nun völlig einsatzfähige neue NATO-Einreiftruppe präsentiert. Die NRF wurde auf dem NATO-Gipfel in Prag 2002 beschlossen und verdeutlicht den voll¬ständigen und schnellen Umbau der NATO zum Interventionsbündnis. ,,Anfänglich ist sie (die NRF) eine Untergliederung der NA TO-Streitkräftestruktur. Schlussendlich ist sie die zukünftige NATO-Streitkräftestruktur" (NATO-Homepage). Die kampforientierte ·NRF ist für die territoriale Verteidigung so ·gut wie nicht zu verwenden, dafür ist sie „schnell, agil, flexibel, einsetzbar innerhalb von fünf Tagen, wo immer sie gebraucht wird." (Die Welt; 16.10.2003).

Dass es hier um harte (neudeutsch: robuste) Kampfeinsätze überall auf der Welt geht, wird von der NATO nicht verschwiegen, sondern explizit betont: ,,Die NRF ist eine Truppe mit abgestufter Bereitschaft … fähig, die gesamte Spannbreite von Missionen auszuführen ... bis zu Kriegsführung hoher Intensität."(NATO-Homepage) Von zentraler Bedeutung . für das Einsatzspektrum der NRF ist ihre schnelle Verfügbarkeit. ,,Praktisch wer¬den sich die Einsätze der NRF auf solche (Missionen) konzentrieren, die die Fähig¬keit erfordern, mit den leistungsfähigs¬ten Truppen innerhalb sehr kurzer Zeit zu reagieren." Die Entsendung der NRF soll sowohl als Machtdemonstration fungieren können, als auch in konkreten Kampfeinsätzen, sogenanntes „Krisenmanagement" ermöglichen. Die NRF soll alleine aber auch als offensive Voraustruppe ei¬ner größeren Streitkraft agieren können.
Die NRF setzt sich zusammen aus Land-, Luft- und Seestreitkräften sowie verschiedenen Spezialeinheiten. Die Soldaten werden aus den einzelstaatlichen Armeen rekrutiert. Sie stehen jeweils für sechs Monate in erhöhter Bereitschaft für eventuelle Einsätze. Die intensive Ausbildung. und die moderne Ausrüstung ma¬chen die NRF zu einer ;,leistungsfähigen" Elitetruppe. Durch die gemeinsame Ausbildung ist außerdem gewährleistet, dass die einzelnen nationalen Truppen unter¬einander voll kompatibel sind, sich in konkreten Einsätzen abwechseln und unterstützen können.

Von den zur Zeit 25.000 Soldaten kommen 6.700 aus der Bundeswehr. Wo¬mit der Anspruch, in beiden Organisatio¬nen starken Einfluss ausüben zu wollen, mehr als deutlich wird.

Die NRF ist der sichtbare Ausdruck der neuen Doktrin des Interventionismus der reichen westlichen Staaten gegen den Rest der Welt. Sie ist mit den Worten des NATO-Oberbefehlshabers James Jones, ,,die ultimative und permanente Koalition der Willigen". (Die Welt, 16.10. 2003)

Wenn Angela Merkel fordert, „Es müssten die militärischen Fähigkeiten mit den Notwendigkeiten in Einklang gebracht werden, um politische Verantwortung zu übernehmen (FTD, 20.9.2006)", dann ist klar, was das bedeutet: Noch mehr Geld für immer noch unsinnigere Auslandseinsätze. Mehr Geld für Rüstung und weniger Geld für die Menschen, die wirklich Hilfe brauchen im Inland und im Ausland. Die NATO Politik ist durchaus konsequent: Sie ersetzt konsequent Völkerrecht durch Faustrecht und verursacht durch ihre brutale Interventionspolitik den Widerstand, den sie dann „konsequent" zu bekämpfen versucht Die Soldatinnen und Soldaten, die in diesen Kriegen verheizt werden, stammen in den meisten Ländern (auch in Deutschland) überwiegend aus wirtschaftlich benachteiligten Regionen und Schichten und sehen für sich beruflich keine Alternativen zur Armee. Entschiedener Protest ist die einzig denkbare Antwort auf diese menschenverachtende Politik.

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Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung