Peace Counts

Good news is good news

von Michael Gleich
Schwerpunkt
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Auf dem Weg zurück zum Frieden kommt AktivistInnen aus der Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle zu. Jedoch erfährt die deutsche Öffentlichkeit kaum etwas von ihnen. Das Projekt Peace Counts will das ändern.

„Über Frieden wollen Sie berichten? Das ist doch langweilig!“ So lautete die Reaktion eines Chefredakteurs im Jahr 2002, als wir mit Peace Counts anfingen. Ich war sprachlos. Dabei hätte ich darauf kommen können: Immer noch zählen Medien darauf, mit spektakulären Nachrichten Quote und Auflage zu steigern. „It leads if it bleads“, übersetzt: Wenn Blut fließt, bringen wir es auf der Titelseite. Mittlerweile ist auch wissenschaftlich vielfach belegt, dass es eine kollektive Negativ-Neigung in der Medienlandschaft gibt; wobei das Ausmaß natürlich sehr unterschiedlich ist.

Es hat uns später sehr gefreut, dass selbst das Magazin besagten Chefredakteurs einige große Reportagen von Peace Counts abgedruckt hat. Was hat ihn überzeugt? Es wurde deutlich, dass die Arbeit von FriedensmacherInnen mehr als spannend ist. Charismatische Persönlichkeiten, die mit großem Mut, Organisationstalent und außergewöhnlichen Ideen vorgehen. Krieg ist ja, rein „handwerklich“ betrachtet, eine eher primitive Angelegenheit. Friedensarbeit ist komplex und braucht große Kreativität. Es sind in neue Kulturtechniken, über die wir berichten: Wie bringt man bewaffnete Gruppen an den Verhandlungstisch? Wie organisiert man eine Wahrheits- und Versöhnungskommission so, dass sie nicht neue Konflikte erzeugt? Wie verhindert man, dass junge Erwachsene in extremistische Gruppierungen abdriften? Was wirkt am besten, damit kriegstraumatisierte Kinder wieder Vertrauen ins Leben fassen? Es geht um soziale Erfindungen, die genauso bedeutsam sind wie technische Fortschritte.

Seit 15 Jahren widmen wir uns der Friedensberichterstattung. Mittlerweile waren unsere Teams in mehr als 60 Postkonflikt- und Krisenregionen weltweit. Eine ungewöhnliche Allianz ist da entstanden: ReporterInnen und FotografInnen arbeiten in diesem mit PädagogInnen und KonfliktforscherInnen zusammen. Das alles selbstorganisiert, ohne große Verwaltung, oft ehrenamtlich, manchmal unterstützt vom Förderprogramm zivik oder von Stiftungen. Dass dieses lose, aber effektive Netzwerk schon so lange hält, hat mit viel gegenseitigem Vertrauen zu tun. Und damit, dass der Kontakt mit diesen außergewöhnlichen Menschen uns immer wieder energetisch auflädt. Wir spüren eine starke Resonanz zwischen unserem Konzept des „konstruktiven Journalismus“ und der nimmermüden Suche der FriedensstifterInnen nach Lösungen.

Beispiele gefällig?
Dishani Jayaweera aus Sri Lanka hat die Gabe, Muslime, Tamilen und Singhalesen in Dialog zu bringen. Drei ethnische Gruppen, die im Bürgerkrieg erbittert gegeneinander gekämpft haben. Tiefe, wenn auch nicht gleich sichtbare Gräben trennen sie voneinander. Dishani und ihr Team konzentrieren sich derzeit auf den Nachwuchs, junge Menschen, die in ihrer jeweiligen Gemeinschaft bereits Führungsaufgaben wahrnehmen. Sie bekommen Kameras und dokumentieren damit ihren Alltag. Der sieht in einem Stadtviertel der buddhistisch dominierten Hauptstadt Colombo völlig anders aus als im tamilischen Norden, der im Bürgerkrieg stark zerstört worden ist. In Workshops zeigen sich die Jugendlichen gegenseitig ihre Bilder. Ein Dialog beginnt. Unterschiedliche Perspektiven werden sichtbar, auf den Konflikt, auf Täter-Opfer-Beziehungen, auf die Zukunft des Landes. Gute Moderation sorgt dafür, dass die Sichtweisen der anderen akzeptiert und wertgeschätzt werden.

Der Menschenrechtsanwalt Babloo Loitongbam tritt im Nordosten Indiens gegen einen schier übermächtigen Staatsapparat an. Die Region, bestehend aus acht Bundesstaaten mit insgesamt 45 Millionen Einwohnern, lebt in einer Art Ausnahmezustand. Weil verschiedene Rebellengruppen für Unabhängigkeit und Minderheitenrechte kämpfen, wurde der Armee mit einem Sondergesetz fast unbeschränkte Macht übertragen. Menschen können auf den bloßen Verdacht terroristischer Aktivität hin getötet werden. Täter genießen Immunität und werden mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet. Babloo konnte in über 1500 Fällen beweisen, dass Unschuldige ermordet wurden. Manchmal einfach nur, weil sie Geld dabei hatten. Babloos Organisation nutzt die internationale Öffentlichkeit, indem sie immer wieder über unmenschlichen Praktiken informiert. Sie erreichte, dass die Zahl dieser „außergerichtlichen Tötungen“ in den vergangenen Jahren stark zurückging. Das Gesetz besteht jedoch weiter, und immer noch wird staatlich sanktioniert gemordet.

James Wuye und Muhammad Ashafa waren einst Erzfeinde. In ihrer Heimatstadt Kaduna, gelegen im „Middle Belt“ von Nigeria, wo der christlich dominierte Süden auf den muslimischen Norden trifft, führten sie als junge Männer bewaffnete Milizen an. Wuye auf christlicher, Ashafa auf muslimischer Seite. Was sie sich gegenseitig angetan haben, könnte schmerzhafter nicht sein. Ashafa befahl eine Attacke, bei der James´ bester Freund, gleichzeitig sein Leibwächter, getötet und ihm selbst der rechte Unterarm abgehackt wurde; er behilft sich heute mit einer Prothese. James wiederum ließ zwei Cousins von Ashafa töten; dessen spirituellen Lehrer, einen alten Sufi-Weisen, zerrten sie aus dem Haus, warfen ihn in einen Brunnen und steinigten ihn zu Tode. Die beiden Ex-Milizionäre hatten also genügend Gründe, einander zu hassen.

Das taten sie auch. Jahrelang. Doch dann geschah etwas, das wie ein kleines Wunder wirkt. Über einen Journalisten, dem sie beide vertrauten, wurde der Kontakt hergestellt. Es gab erste Treffen, voller Misstrauen gegeneinander, unter dem nigerianischen Langgewand schwerbewaffnet – für den Fall des Falles. Doch die Gespräche verliefen friedlich. Gleichzeitig vertrauten sie sich Menschen an, die für sie religiöse Autoritäten darstellten. Ein Imam redete Ashafa ins Gewissen: Frieden sei die Kernbotschaft des Koran. Und ein Bischof, den James verehrte, sagte ihm eindringlich: „Du wirst nur frei sein, wenn du deinen Hass aufgibst.“ Ein innerer Prozess begann, mit Rückschlägen von Wut und Feindseligkeit, in dem sich aber langsam zeigt, welche transformatorische Kraft Vergebung hat. Heute reisen die beiden gemeinsam, vermitteln gemeinsam in Konflikten zwischen Christen und Muslimen, nicht nur in Nigeria.

Frieden ist langweilig? Das würde heute kein Chefredakteur so sagen. Reportagen von Peace Counts erschienen in großen Magazinen wie stern, brand eins, Bild der Wissenschaft, in Zeitungen wie der Süddeutschen, als 18-teilige Feature Serie im Westdeutschen Rundfunk, Titel: „Frieden zählt“. Was uns als Journalisten noch mehr freut: Unsere Dokumentationen überdauern die Zeit. Dafür sorgt die Zusammenarbeit mit den Friedenspädagogen der Berghof Foundation in Tübingen. Sie waren von Anfang mit dabei. Sie sehen in den aktuellen, biografisch erzählten Geschichten aus Krisenregionen eine große Chance für zeitgemäßes Lernen zu der Frage: „Wie macht man eigentlich Frieden?“ So entwickelten sie Poster, Ausstellungen, Lernzirkel und didaktisches Begleitmaterial für LehrerInnen. An vielen Schulen in ganz Deutschland lernen SchülerInnen anhand von unseren Reportagen.

Peace Counts on Tour
Und auch in Krisenregionen. Das Projekt „Peace Counts on Tour“ bringt die gesammelten Erkenntnisse über zivilgesellschaftliche Lösungen in einige jener Länder, aus denen auch die Reportagen stammen. Das macht uns als JournalistInnen deshalb Freude, weil ein Ausgleich stattfindet: Wir haben Informationen und Fotos bekommen, jetzt können wir Lehrmaterial und Inspirationen zurückgeben.

Jüngste Früchte sind zwei innovative Projekte:

  • „MUT – magazin für lösungen“, das wir schon zweimal veröffentlichen konnten, zuletzt mit dem Titel „Glaube Kriege Hoffnung“, es ging um Best Practices im Bereich Deradikalisierung. Wir konnten das ermutigende Magazin in einer Auflage von 620.000 Exemplaren publizieren.
  • Mit dem Global Peacebuilders Summit bringen wir FriedensstifterInnen aus Konfliktregionen weltweit zusammen. Dieses Jahr zum dritten Mal. Sie nutzen die Zusammenkunft, um sich über wirksame Methoden auszutauschen, neue Kooperationen einzugehen und um sich unter Gleichgesinnten zu regenerieren. Für sie ist der Gipfel ein Retreat von ihrem belasteten und bedrohten Alltag.

Beides wird von der gemeinnützigen Culture Counts Foundation angestoßen und organisiert. Wir sehen uns als JournalistInnen, die sich der gesellschaftlichen Verantwortung von Medien bewusst sind, und nicht – unter dem Vorwand vermeintlicher „Objektivität“ einfach nur zuschauen.

Weblinks
www.peace-counts.de
www.global-peacebuilders.org
www.mutmagazin.de  

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Michael Gleich ist Publizist und Initiator von Peace Counts.