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Grundremmingen: ein Standort der Bewegung?
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Standort der Bewegung, ist das grausliches Deutsch oder mehr? Der Unterschied zwischen dem Siedewasserreaktor XY und der demogerechten Zufahrt, oder gibt es regionale Unterschiede? Kommt man in Mutlangen gewaltloser drauf als im Wendland? Doch, es gibt einen Standort, sogar eine Standzeit: Sonntags um 15 Uhr sammelt sich ein Häufchen Menschen am Haupttor vor der steilen Kulisse von drei Reaktorblöcken und zwei Kühltürmen, ein Bild für die Ohnmacht des Einzelnen unter der Hybris der Technologie und des Energiehungers unserer Wirtschaftsform.
Anfang 1989 waren die Erfahrungen der Mutlanger Blockaden-Kampagne, die Wunschvorstellung, das könne als Modell überall funktionieren, und auch der Optimismus nach dem Kalten Krieg, jetzt käme die Zeit einer rationalen Politik, eines Paradigmenwechsels zum Vorrang der Ökologie vor der Ökonomie das Szenario für die Gründung der Mahnwache Gundremmingen.
Als Aktionsformen gab es neben den Sonntagen unter dem Transparent "Tschernobyl mahnt" vor allem Blockaden; dazu kamen immer mehr auch andere Formen, die uns besser zu passen schienen (Die-in, Go-in), und ab 1993 Schienendemontagen. Die Bilanz weist etwa 240 Festnahmen auf, etwa die Hälfte der Verfahren sind als Nötigung inzwischen eingestellt, dazu kommen ca. 190 Budgetgeldbescheide und eine Anzahl Selbstanzeigen. Also neben 350 Mahnwachen etwa 30 Aktionen Zivilen Ungehorsams, deren Folge bisher etwa ein Dutzend Prozesse waren und 360 Tagessätze Strafe, aber bisher gab es für die Mahnwache erst einmal Knast, und zwar saß Sigrid Birrenbach 3 Tage in Erzwingungshaft für ein Die-in 1991.
Im Unterschied zu Umweltverbänden, die mit sachverständigen Profis ihre Mitglieder als Betroffene entlasten und tendenziell entmündigen, hält die Mahnwache am moralischen Appell fest, der Gewissensfrage an den einzelnen Teilnehmer einer Aktion. Das setzt einen in Bezugsgruppen funktionierenden Diskurs voraus und weitgehenden Konsens, was der Mahnwache bis vor kurzem etwas Sektenhaftes gab, und etwas Regressives auf die Friedens- und Betroffenheitsschiene der 80er Jahre. Inzwischen bewähren sich Bezugsgruppen aber bei der Integration jüngerer AKW-Gegner, die "etwas härter drauf" sind.
Die Gruppe bemüht sich auch um einen Diskurs mit den AKW-Betreibern, allerdings ist der Dialog vor 3 Jahren, als die Geschäftsführung leugnete, in Tschernobyl sei mehr als eine psychische Belastung der Bevölkerung passiert, abgerissen. Dagegen funktioniert die Absprache mit Polizei und Ämtern sehr gut, auch wenn die oberen Etagen der bayerischen Regierung politisch und propagandistisch Druck machen.
Zwar spielt das AKW Gundremmingen eine Vorreiter-Rolle in der Atompolitik, von hier kamen die ersten Castor-Transporte in die noch nicht genehmigte WAA Sellafield, hier wurden die ersten MOX-Brennelemente eingesetzt, von hier soll auch der zweite Transport nach Gorleben fahren, trotzdem ist dieser Standort nur ein Ort der Entscheidung von vielen und kann deshalb wohl auch nicht der Ausgangpunkt einer Kampagne sein: anders als bei den Pershings, als es um die Rücknahme der Nachrüstungs-Waffe ging, spielt sich die Auseinandersetzung hier und anderswo an vielen Fronten gleichzeitig ab, wir bringen ein großes und sehr komplexes Thema auf die Tagesordnung, so gut es uns gelingt: die Rückkehr zum Leben, wie die relativ stark präsenten Christen in unserer Gruppe sagen, die Rechte der Natur, die Rechte der Nachgeborenen gegen die Interessen des Kapitals.
Auch vor dem Hintergrund, daß die AKW-Betreiber und die Politiker erstaunlich wenig souverän auf uns reagieren, ist der Ziviler Ungehorsam für uns die mögliche Haltung. Die Schienendemontage mit einfachen handwerklichen Mitteln ist im Moment unsere zentrale Widerstandsaktion. Sie wirft große Probleme der Rechtfertigung auf. Es kann sicher nicht vernünftig und moralisch sein, wenn viele Menschen an vielen Stellen Schienen abschrauben, im Gegenteil. So formuliert steht die kritische Prüfung gegen uns.
Wir können Schienenschrauben nicht einfach gut finden: man kann nicht friedlich zusammenleben, wenn man nicht mehr weiß, ob irgendjemand aus irgendeinem Grund die Bahnstrecke lahmlegt, mit der man gerade führt. Da rufen die meisten ganz zu Recht nach dem Staat und seinem Gewaltmonopol. Die Strecke in Gundremmingen gehört aber dem AKW. Dort werden ausschließlich Güter und außer dem Lokführer keine Menschen transportiert. Die Aktionen werden offen angekündigt und finden bei Tag statt. Auch die Demontage wird angekündigt. Jeder, der mitmacht, soll wissen, woran er ist, und auch der Gegner, hier die Polizei, soll es wissen.
Wir melden das jetzt nach dem Versammlungsrecht an: Menschen versammeln sich friedlich unter freiem Himmel, das ist ihr Recht. Sie kommen zusammen, um eine unvernünftige, weil gefährliche und deshalb unmoralische Handlung, den Transport von Atommüll von da nach dort zu behindern. Das könnte man ihre staatsbürgerliche Pflicht nennen. Eine Aufgabe, die eigentlich der Polizei zukommt, die aber versagt, weil die Politik gekauft ist, und das Atomrecht eine gezinkte Sache ist, eine Selbstermächtigung der Atomindustrie und des Staates zum Verfassungsbruch. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Rechtstaat nicht in der Lage ist, die drohende ökologische Katastrophe, zu der die Atomenergie beiträgt, abzuwenden oder verantwortlich zu bewältigen. In Anbetracht der radikalen Erweiterung der Folgen unseres Handelns wird der Begriff der Verantwortung auch juristisch korrigiert werden müssen. Wer sich an den Lebensgrundlagen der Menschen vergreift, um Gewinne zu erzielen, der muß bestraft werden, und zwar härter als etwa ein Ladendieb. Von besonderer Bedeutung ist es, den _ 34 StGB in einer der heutigen Situation angemessenen Weise anwenden zu können. Unter der Bedingung des rechtfertigenden Notstands ist es nicht rechtswidrig, ein Rechtsgut zu verletzen, wenn dies notwendig ist, um ein höheres zu retten. Eingriffe in fremdes Eigentum sind gestattet, wenn sie etwa zur Rettung menschlichen Lebens erforderlich sind. Nach demselben Prinzip sollten aber auch Handlungen gestattet sein, die, um zur Rettung der Umwelt beizutragen, nicht-zentrale Rechtsgüter verletzen. Die Frage, die wir unseren Richtern stellen: Dient nicht die Sensibilisierung für die Gefahren der Atomenergie und ihrer Entsorgung der Bewahrung eines höheren Rechtsgutes, als es etwa das Hausrecht einer Atomanlage ist? Sind nicht entsprechende Handlungen von Greenpeace, im Wendland, oder auch jetzt durch die Mahnwache Gundremmingen nicht nur als moralisch, sondern auch als rechtmäßig zu betrachten?
Der Rechtstaat legitimiert sich dadurch, daß er eine Ordnung und Verfahrensweise bildet, in denen die Menschenrechte überhaupt erst geschätzt und einklagbar werden. Die Durchsetzung des Rechts ist die Pflicht des Staats und seiner Organe, das Gemeinwohl sollte dabei als Suchnorm gelten. Wir denken, da_ im Sinne des Gemeinwohls in der demokratischen Auseinandersetzung der Zivile Ungehorsam, also die bewusste Übertretung von ganz bestimmten Regeln, eine Möglichkeit ist, das Recht zu verbessern und stark zu machen. Es geht dabei ja nicht um die Heroisierung der Normverletzuung, sondern um die Dramatisierung eines Unrechtszustandes, den abzustellen der Rechtstaat versagt, oder zu schwach ist.
Die Form wirkt zuerst, und nicht die Bedeutungen oder Wünsche, die wir damit verbinden. Deshalb müssen unsere Anliegen (Rechte und Würde von Mensch und Natur) in der Handlung, in den einzelnen Operationen abgebildet sein. Der Zivile Ungehorsam als eine anschauliche Sache, eine Erfahrung, lebt aus dem Handeln selbst, so wie die Demo von der gro_en Zahl. Er ist vielleicht als eine Tugend zu verstehen für soziales Handelns bei bestimmten existentiellen Konflikten in der Gesellschaft. Oder als eine Form der Mitbestimmung, der Mitarbeit in vielen kleinen Schritten auf eine ökologische Wende, hier auch auf den verantwortungsvollen Umgang mit der atomaren Erblast.