Das Engagement der Vereinten Nationen in Sachen Frieden:

Haben Nichtregierungsorganisationen eine Chance?

von Heide Schütz
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Wer die Eingangshalle des Sitzes der Vereinten Nationen (VN/UN) in New York betritt, der begegnet der Menschheit in Form einer lebendigen und strahlend schönen Photogalerie: Männer und Frauen, alte und junge, Menschen aus allen Himmelsrichtungen und Kulturen der Welt: Hier ist das Motto der UN "Unity in Diversity - Einheit in der Vielfalt" verwirklicht. Nicht die Mühsal ist dargestellt, Elend, Krieg, Krankheit, sondern das leuchtend Menschliche - so könnte, so sollte es sein, für alle.

Diese Vision umzusetzen und die Menschheit von der Geißel des Krieges zu befreien, wie es in der Charta der UN heißt, waren die Vereinten Nationen 1945 von 51 Staaten gegründet worden, inzwischen nähert sich ihre Zahl den 200. Dass der Sicherheitsrat und die Blauhelme nicht das sind, was sie versprachen, dass viele Staaten sich keineswegs an die jeweils mühsam ausgehandelten Vereinbarungen halten, dass die USA und andere Staaten keinen Dollar zahlen, viele Bereiche höchst mittelmäßig bis parteiisch und korrupt sind, das alles fordert zurecht zu immer neuen Reformvorschlägen heraus. Dennoch gilt, was im Kern immer galt und gelten wird: die Sehnsucht der Menschheit nach Frieden lässt sich nicht mehr unterdrücken, ebenso wenig wie der Mut, die Expertise, die Kreativität und die globale Vernetzung der Menschen, die sich aktiv für den Frieden engagieren. Wie können sie aber Einfluss nehmen auf politische Strömungen und Entscheidungen in den Vereinten Nationen? Mit anderen Worten: welche Rolle spielen die Nichtregierungsorganisationen / Nongovernmental Organisations (NROs/NGOs) beim Engagement der Vereinten Nationen in Sachen Frieden?

Diese Frage halbwegs erschöpfend zu beantworten hieße eine Doktorarbeit schreiben, deshalb können hier nur einige Schlaglichter gegeben werden. Zudem sind viele Informationen nur als Insider-Kenntnisse erhältlich und können nicht aus offiziellen Dokumenten erschlossen werden. Entscheidend für eine Nichtregierungsorganisation ist zunächst, ob sie bei den Vereinten Nationen Berater- oder Beobachter-Status errungen hat. Ihre Vertreter und Vertreterinnen werden dann persönlich akkreditiert und haben Zugang zu den Vorbereitungspapieren und den Sitzungen der verschiedenen Kommissionen. In diesen offiziellen Plenums- oder Ausschusssitzungen, in denen die nach strengen Gesetzen speziell akkreditierten NGOs zugelassen sind, dürfen diese nach gebührend frühzeitiger Voranmeldung Statements, Stellungnahmen abgeben, als Organisationen der Zivilgesellschaft Position beziehen und sich auf diesem Wege Gehör verschaffen.
Der Ort, wo die eigentlichen Texte, Resolutionen, Empfehlungen ausdiskutiert und vorab zu Papier gebracht werden, heißt in der UN Sprache "informal meeting" oder sogar "informal informal meeting" und darüber werden keine Protokolle angefertigt. Manchmal dürfen Nichtregierungsorganisationen an diesen Sitzungen als ZuhörerInnen teilnehmen. Die Teilnahme ist wichtig für die Argumentationsfindung und die Kenntnisse, welche Regierungen ansprechbar sind und welche nicht. Denn da die Mitarbeit der NGOs zunehmend auch offiziell erwünscht ist, hat sich im Umfeld der Vereinten Nationen eine aktive bis hektische Lobbyarbeit der Nichtregierungsorganisationen entwickelt. Sie beginnt bei dem Versuch der Beeinflussung der heimischen Regierungen und endet bei dem Verteilen von Appellen und Formulierungsvorschlägen unmittelbar vor dem Saal, in dem die zahlreichen Regierungsvertretungen während der offiziellen Beratungen sitzen. Auch die Teilnahme an verschiedenen Empfängen kann für die Überzeugungsarbeit sehr nützlich sein.

Wichtig ist aber auch die Zusammenarbeit der Nichtregierungsorganisationen untereinander. Sie können örtliche, themenbezogene Komitees und natürlich auch internationale Koalitionen bilden. Es ist also für eine NGO nicht nur entscheidend, Berater-oder Beobachterstatus für Friedensrelevante Sitzungen, Kommissionen und sogen. Konferenzen bei den VN zu haben, sondern ebenso wichtig ist es, mit anderen NGOs vernetzt zu sein. So bilden z.B. nahezu 70 verschiedene Nichtregierungsorganisationen der UN in Wien ein Friedenskomitee (Committee on Peace), das auch einen Vorsitz wählt. Finanzieren müssen die NGOs die Teilnahme ihrer Vertretungen bei den Vereinten Nationen selbst, d.h. Anreise und Aufenthalt in NY, Wien oder Genf, es sei denn, sie haben das Glück, einmal in einer Regierungsdelegation die NGOs vertreten zu dürfen. Viele der NGO Vetreter und Vertreterinnen übernehmen jedoch ihre Kosten selbst. Der Zeitaufwand als solcher stellt ein riesiges Volumen an ehrenamtlich geleisteter Arbeit dar.

Was heißt nun "Frieden" in der Sprache der UN?
Er heißt z.B. "Abrüstungskommission" oder "Vorbereitende Kommission zum Atomstoppvertrag" oder "Sicherheit", auch "Anti-Minen-Konvention". In diesen Bereichen sind allerdings die Interessen und Hoheitsrechte der Staaten nach ihrem eigenen Verständnis so empfindlich betroffen, dass speziell akkreditierte NGOs nur als Zuhörer, wenn überhaupt, zugelassen sind, nicht aber mit Redebeiträgen (die oben beschriebene Lobby- Überzeugungsarbeit unbenommen). Dazu einige Beispiele:
 

  •  Sicherheitsrat (security council) in New York: off limits für NGOs, keine Zulassung.
     
  •  Abrüstungskonferenz in Genf: NGOs dürfen bei öffentlichen Sitzungen, die einmal pro Woche stattfinden, zuhören.
     
  •  Einmal jährlich, zum Internationalen Frauentag, am 8. März (!), bereitet WILPF, Women`s International League for Peace and Freedom, ein Statement der FrauenNGOs vor, das vom Sekretariat der Konferenz, von einer der Delegierten oder vom Vorsitzenden selbst während der Sitzung verlesen wird. Dieses Statement wird Wort für Wort im Vorfeld in zähem Ringen ausgehandelt - dennoch werden durchaus deutlich Rüstungs- und Friedensthemen angesprochen.
     
  •  I. Committee - Abrüstungskomitee der Generalversammlung, New York: NGOs dürfen nicht teilnehmen.
     
  •  Abrüstungskommission (Commission on Disarmament), New York: NGOs dürfen nicht teilnehmen.
     
  •  Test Ban Treaty Organisation (CTBTO) Atomteststopp, vorbereitende Kommission (PrepCom),Wien: Die Staaten haben es abgelehnt, NGOs zu beteiligen, da sich die Kommission noch im Vorbereitungsstadium befindet ( d.h. es müssen noch weitere Staaten unterzeichnen). Dennoch hat der deutsche Exekutivsekretär, Botschafter Hoffmann, durchgesetzt, dass Nichtregierungsorganisationen im Zusammenhang mit "external relations" und "public relations" im Budget genannt werden. In diesem Zusammenhang veranstaltet er regelmäßig NGO-Breakfasts, Frühstückstreffen.
     
  •  Bei der Art.14 Konferenz des Generalsekretärs der UN im September 2001 in New York, mit der das Inkrafttreten des Vertrages beschleunigt werden soll, dürfen NGOs zuhören und ein einziges Gesamtstatement abgeben.
     

 Vertragsverhandlungen über Landminen:
Obwohl, wie alle wissen, die weltweite Anti-Minenkampagne der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen ausschlaggebend für diese Vertragsentwicklung war, durften diese bei den Verhandlungen nicht teilnehmen. Es wurde aber eine sitzungsfreie Zeit beschlossen, in der die NGOs ihrerseits eine Sitzung veranstalteten, zu der die Delegierten eingeladen wurden. Bei dieser Gelegenheit konnten die NGOs den Regierungsvertretern ihre Stellungnahme übermitteln.
 

Diese Beispiele zeigen, dass es Spielräume unter den Beteiligten gibt und dass bei gutwilligem Entgegenkommen stets Wege gefunden werden können, die scharfe Abgrenzung zwischen Staaten und Nichtregierungsorganisationen für die gemeinsame Sache zu durchbrechen und Kontaktmöglichkeiten, auch halboffizieller Art, zu schaffen. Die politische Willensbildung auf Seiten der Regierungen und ihrer Vertreter kann dadurch in jedem Fall beeinflusst werden - wieweit, ist offiziell nicht messbar. Aber der Versuch lohnt sich und muss gewagt werden. Denn selbst wenn gemeinsame Absichtserklärungen oder Verträge nicht oder nicht von allen Staaten umgesetzt werden, so stellen sie doch eine Norm dar, die auch für die weitere Arbeit der Nichtregierungsorganisationen eine entscheidende Basis bei den Auseinandersetzungen mit den eigenen Regierungen abgeben. In der Sprache der NGOs hieße das:" bottom up - trickle down": von unten nach oben und wieder zurück! Denn die Umsetzung ist Sache der Staaten. Hier beginnt die Knochenarbeit für die Nichtregierungsorganisationen aber leider wird dieser Bereich der Politikbeeinflussung durch die Zivilgesellschaft oft viel zu wenig beachtet. Allerdings setzt das ungeheure Zähigkeit, einen großen Zeit- und Energieaufwand sowie den Mut zum Frust voraus.

"Frieden" taucht bei den Vereinten Nationen jedoch nicht nur im Abrüstungsbereich, sondern auch als Programm auf, z.B. in der Agenda für den Frieden (Agenda for Peace), die der Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali nach dem Ende des Kalten Krieges 1992 vorlegte und die leider viel zu wenig bekannt ist, auch bei NGOs. "Frieden" ist ferner seit 1975 eines der drei Schwerpunktthemen bei allen vier UN-Weltfrauenkonferenzen neben Gleichberechtigung und Entwicklung (Equality; Development and Peace), denn die Frauen wissen, dass es ohne Frieden weder Gleichberechtigung noch Entwicklung gibt, nicht für die Frauen und nicht für die Menschheit.

Wer hat Boutros-Ghali bei den Formulierungen der Agenda für den Frieden beraten? Ich kann es nicht sagen, aber wer die internationale Friedenswissenschaft und die Konzepte der internationalen Friedensszene kennt, der begegnet vertrauten Bausteinen, die dadurch nicht schlechter werden, dass sie in einem UN Dokument auftauchen - im Gegenteil. Das gleiche findet sich in den offiziellen Ergebnissen der Weltfrauenkonferenzen. Viele Ideen und Formulierungen gehen zurück auf den Peace Caucus, die ständig und intensiv arbeitende Gruppe der Peace NGOs. Natürlich fehlt auch vieles, was von diesen schmerzlich vermisst wird, aber wir wissen: der Fortschritt ist eine Schnecke.

Ein Höhepunkt in der Geschichte der Vereinten Nationen ist m.E. die Tatsache, dass die Jahrtausendwende als Internationales Jahr der Kultur des Friedens von der UN Generalversammlung beschlossen wurde, gefolgt ab 2001 von der Dekade für die Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder dieser Welt. Auf Nachfragen kann man erfahren, dass es zwei Menschen der IFOR, dem Internationalen Versöhnungsbund, waren, denen es gelang, für ihre Idee die Friedensnobelpreisträger ins Boot zu holen, mit deren Hilfe es gelang, den Chef der UNESCO zu überzeugen, der...usw.. Hildegard von Bingen sagte in einem solchen Fall: Wisse die Wege! Aber die Wege sind es nicht allein: es ist der Wunsch nach Frieden, und der ist zum Glück nicht nur bei Nichtregierungsorganisationen angesiedelt.

Zum Schluss die Lobby-Arbeit in eigener - aber keineswegs nur in eigener - Sache: Auf der Weltfrauenkonferenz in Peking und dem NRO-Forum in Huairou trugen 1995 Vertreterinnen der deutschen Arbeitsgruppe 11 zur Vorbereitung der 4. Weltfrauenkonferenz "Frauen und Frieden" zwei Initiativen vor, die sie für richtungsweisend, ja revolutionär hielten:

Sie machten den Vorschlag zu einer Folge von Weltfriedenskonferenzen für alle Regierungen unter gleichberechtigter Beteiligung von NRO Vertretern und sie forderten die Einrichtung eines dem UN Sicherheitsrat vorgeschalteten UN Konfliktrates (UN Council on Conflict Resolution) als einem neuen UN Gremium, das gemeinsam von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen besetzt werden und dem zu 50% Frauen angehören sollen. Dieser neu einzurichtende Konfliktrat soll völlig unabhängig vom Sicherheitsrat tätig werden, und zwar sowohl auf Anforderung von Staaten oder zivilen Akteuren als auch von sich aus. Die friedliche Streitbeilegung nach Artikel 2, Ziffer 3 der UN Charta sowie die Forderung der Gipfelkonferenz des Sicherheitsrates am 31. Januar 1992, Empfehlungen zur Friedensstiftung und Friedenssicherung auszuarbeiten erfordern aufgrund der Erfahrungen der Jahre seit der Gründung der UN ein zusätzliches Organ für Frühwarnung, Konfliktprävention, Angebote der vielfältigen Formen der Streitbeilegung sowie friedensschaffende und friedenssichernde Maßnahmen in der Konfliktfolgezeit (Friedenskonsolidierung). Der Aufgaben wären viele.

Die Überzeugungsarbeit hat erst begonnen und ist wohl ein lebensfüllendes Programm.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt