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Widersprüche bei Sitzblockade-Verfahren
Hartnäckig bleiben lohnt sich!
vonSeit dem Bundesverfassungsgerichts(BVerfG)-Urteil vom 10.1.95, dem gemäß Sitzblockaden nicht dem Gewaltbegriff des Nötigungsparagraphen 240 des Strafgesetzbuches zugerechnet werden dürfen, hat es jede Menge Wiederaufnahmeverfahren gegeben. Diese Wiederaufnahmeverfahren werden gemäß 79 des BVerfG-Gesetzes geführt und haben in den allermeisten Fällen zu Freisprüchen geführt, die die Rückzahlung der Strafen, Gerichtsgebühren und etwaiger Anwaltskosten zur Folge hatten.
So teilte Klaus Vack im Januar 1997 mit, daß er nun in seinem letzten noch anhängigen Verfahren - er hatte insgesamt 17 Strafmandate wegen Sitzblockaden bzw. Aufrufen dazu erhalten - freigesprochen worden sei. Während alle früheren Freisprüche von Klaus Vack bereits bis Herbst 1995 erfolgt waren, hatte im letzten Fall das AG Euskirchen (stellvertretend für das AG Bonn) den Wiederaufnahmeantrag verworfen. Dabei ging es um den Aufruf zur Blockade des Cruise-Missiles-Geländes im Hunsrück im Mai 1987. Nach Einlegen einer Beschwerde gegen den AG-Beschluß kam die Sache vor das Bonner Landgericht, das dem BVerfG folgte und Klaus Vack auch in dieser Sache freisprach.
Ein weiteres Verfahren fand am 28.1.97 gegen den Bremer Senatsrat a.D. Klaus Marwitz statt. Hier hatte die Bonner Staatsanwaltschaft einem Freispruch im Wiederaufnahmeverfahren widersprochen, so daß es zu einer Verhandlung vor dem Landgericht Köln kam. Es ging ebenfalls um den Blockadeaufruf für das Cruise-Missiles-Gelände. Am Ende des Verfahrens, in dem Klaus Marwitz erneut seine Gründe für die Sitzblockade und den Aufruf dazu u.a. unter Verweis auf den jüngsten Beschluß des Internationalen Gerichtshofes zu Atomwaffen verdeutlichte, beantragte sogar die Staatsanwaltschaft Freispruch. Entsprechend sprach dann auch die Richterin frei.
Welche Hintergründe haben diese Einsprüche gegen Wiederaufnahmeverfahren bzw. Freisprüche, die erst in letzter Zeit erfolgten, während direkt nach dem BVErfG-Beschluß ständig freigesprochen wurde?
Zum einen argumentierten Richter damit, daß sich eine konkrete Sitzblockade vom Aufruf zu einer solchen unterscheide, da im letzteren Fall schwerer überblickt werden könne, was genau die Folgen des Aufrufes auch im Hinblick von psychisch/physischer Gewaltausübung sein könnten. Des weiteren wurde z.B. in einem anderen Fall in Trier seitens des Amtsgerichtes so argumentiert, daß der BVerfG-Beschluß nur Verfahren umfasse, die nach dem letzten anderslautenden Beschluß des BVerfG vorgefallen sind (also nach 1986 - Pattbeschluß - bzw. nach 1992, wo dieser Beschluß nochmals bestätigt wurde). Auch dieses Verfahren ist nun jedoch durch ein Urteil des Landgerichts Trier vom 14.2.97 durch Freispruch beendet worden!
Der wichtigste Grund für die Verweigerung von Freisprüchen ist jedoch ein BGH-Beschluß vom 20.7.95, mit dem eine Autobahnblockade von Kurden strafrechtlich geahndet werden sollte. In diesem Beschluß wird sehr seltsam argumentiert. Während beim ersten angehaltenen Fahrzeug noch von rein psychischer Gewalt die Rede sein könne, müsse beim zweiten, hinter dem ersten Auto anhaltenden Fahrzeug nun von einem physischen Gewaltzwang ausgegangen werden, der vermittelt durch die Sitzblockierenden entstanden sei. Somit liege dann wieder der Gewaltbegriff des Nötigungsparagraphen zugrunde. Der BGH folgte damit Darlegungen eines Prof. Volker Krey, Richter am OLG Trier/Koblenz, (Krey, Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe - ein Gericht läuft aus dem Ruder. Kritische Anmerkungen anläßlich des Sitzbolckadebeschlusses des Ersten Senats vom 10.1.1995; in: JR 1995, 221ff; 265ff), der das BGH-Urteil in der NStZ 1995, 541ff entsprechend wohlwollend kommentierte: "Sein (des BGH) Urteil ist insoweit ohne Übertreibung als aufsehenerregend zu bezeichnen, denn der bekannte Sitzblockaden-Beschluß des BVerfG (1. Senat) v. 10.1.1995 ist ja weitgehend dahin verstanden worden, die Bestrafung solcher Blockaden als Nötigung mit Gewalt sei verfassungswidrig. Gegenüber diesem Mißverständnis stellt der BGH - wie zuvor schon Verf. (= der Verfasser dieses Kommentars, also Krey) - klar: Straßenblockaden durch Personen, die sich auf die Fahrbahn stellten oder setzten, seien weiterhin als Nötigung mit Gewalt strafbar; das BVerfG habe nichts Gegenteiliges entschieden. Dieser Standpunkt des BGH ist im Ergebnis überzeugend, in der Begründung zumindest als plausibel und mithin gut vertretbar zu bewerten." Der BGH geht in seinem Beschluß davon aus, daß die jeweils dem ersten blockierten Auto folgenden Fahrzeuge immer den Nötigungsparagraphen für sich geltend machen können. Für den Fall des ersten Fahrzeuges läßt der BGH die Entscheidung offen. Evtl. könnten auch hier mit einem neuen, zwar eng gefaßten, jedoch über den vom BVerfG gemeinten rein vergeistigten Gewaltbegriff hinausgehenden anderen Begriff von Gewalt ebenfalls Verurteilungen erreicht werden - resümmiert Krey in seinem Kommentar.
Glücklicherweise folgen die meisten Gerichte dieser abstrusen BGH-Rechtsprechung nicht. Diese im einzelnen zu widerlegen, würde hier zu weit führen. Es ist eindeutig, daß es hierbei um einen politischen Streit geht und daß der BGH dem BVerfG-Beschluß sozusagen mit Breitseite vor den Bug fahren wollte.
Glücklicherweise gibt es inzwischen auch ein höchstinstanzliches Urteil, das der Auffassung des 1. Strafsenats voll widersprochen hat, und zwar ein Urteil des OLG Koblenz vom 24.06.96 (1 Ws 313/96). Hiermit heißt es u.a.: "Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann eine Differenzierung in psychisch gehemmte Kraftfahrer in vorderster Reihe und physisch an der Weiterfahrt gehinderte Fahrzeugführer ab der zweiten Reihe nicht entnommen werden. ... Die Unterschiedung zwischen durch unmittelbar vor ihnen sitzende Menschen psychisch gehinderte und durch vor ihnen stehende Kraftfahrzeuge physisch gehinderte Kraftfahrer erscheint ... vordergründig und kann nicht überzeugen." Wenn nun einzelne Amtsgerichte Wiederaufnahmeverfahren bzw. Freisprüche bzgl. alter Sitzblockade-Verurteilungen verweigern, dann muß dem entschieden widersprochen werden. In jedem Fall ist zu raten, Widerspruch gegen solche Bescheide einzulegen und den Instanzenweg zu beschreiten. Ein Anwalt teilte nach dem BGH-Beschluß mit, daß es des öfteren seitdem zu Schwierigkeiten bei Wiederaufnahmeverfahren gekommen sei. Wir rufen deshalb alle Betroffenen dazu auf, in diesen Verfahren nicht vorschnell zu resignieren, sondern das zustehende Recht zu erkämpfen. Die eingangs geschilderten Beispiele zeigen, daß die Gerichte in der Regel den BVerfG-Beschluß besser verstanden haben als der 1. Strafsenat des BGH.
Bitte teilt uns Fälle mit, in denen Wideraufnahmeverfahren noch nicht abgeschlossen sind, bzw. in denen einem Freispruch widersprochen worden ist. Evtl. können wir dann eine Dokumentation solcher Fälle erstellen, bzw. in aktuellen Verfahren konkret weiterhelfen und z.B. Freispruchsbegründungen zur Verfügung stellen. Kontakt: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Bismarckstr. 40, 50672 Köln, Tel.: 0221/523056, Fax: 0221/ 520559
e-mail: : Komitee für Grundrechte und Demokratie