Dresden

“Ihr Deutsche seid komische Leute”

von Andrew Rigby

Ich bin kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs in einer Kleinstadt nahe Liverpool geboren worden. In Folge davon wuchs ich mit den Erzählungen meiner Mutter auf, an welchen verschiedenen Orten sie vor den deutschen Bombenangriffen Schutz zu suchen pflegte, und las Comics voll von bösen Nazis und barbarischen Japanern. Später, in den 1960er Jahren, erfuhr ich von der Bombardierung Dresdens, der Zerstörung der unschuldigen Stadt durch alliierte Bomber, also von etwas, was ganz klar ein Kriegsverbrechen war.

Ich erwähne diese autobiographischen Details nur, um zu illustrieren, wie Erinnerung beeinflusst wird. Die „Vergangenheit“ ist, was wir rekonstruieren. Was wir als Gedächtnis bezeichnen, was wir erinnern und in welchen Kontext wir es stellen, ist von Person zu Person und von Gruppe zu Gruppe unterschiedlich.

Dies wurde mir sehr deutlich im Februar 2005 bewusst, als ich in meiner Eigenschaft als Direktor eines Zentrums für Friedens- und Versöhnungs-Studien an der Universität Coventry eingeladen wurde, an einer Reihe von Veranstaltungen teilzunehmen, die in Dresden, der Schwesterstadt Coventrys, anlässlich des Gedenkens an den 60. Jahrestag der Bombardierung und daraus folgenden Zerstörung der Stadt und des Verlustes an Menschenleben, organisiert wurden.

Auf meinem Weg zum Veranstaltungsort, nachdem ich im Hotel eingecheckt hatte, war ich überrascht, etwas zu begegnen, das eine politische Demo zu sein schien. Einige der Protestierer trugen die rot-weiß-blauen Farben der Britischen Royal Air Force und riefen Slogans, die die Briten und Amerikanern für die Bombardierung loben und zu danken schienen. Eine Bombardierung, die den Protestierern zufolge die Deutschen selbst verschuldet hatten. „Keine Tränen für Nazis“ war einer der Slogans, die ich immer wieder hörte. Es schien, als ob sie die Bombardierung feierten, die die Niederlage des Nationalsozialismus in Deutschland beschleunigt hatte.

Am nächsten Tag, den 13. Februar, ging ich mit anderen zum Heidefriedhof am Rand der Stadt. Meine BegleiterInnen waren unglücklich darüber, dass am Friedhof Mitglieder der rechten nationalistischen Partei präsent waren, eine Partei, die in den Gemeinde- und regionalen Parlamenten vertreten war und deshalb an der offiziellen Gedenkfeier teilnehmen konnte, die dort stattfand.

Später an demselben Tag musste die Stadt eine Neo-Nazi Kundgebung mit anschließendem Demonstrationszug ertragen, an dem zwischen 3.000 und 5.000 Menschen teilnehmen, die den Slogan trugen „Alliierter Bombenterror – damals wie heute, Hiroshima, Nagasaki, Dresden und jetzt Bagdad. Keine Vergebung, kein Vergessen“. Mehrere Hundert Antifaschisten riefen „Nazis raus“ und warfen Papierflugzeuge mit RAF-Symbolen. Ich schaute nur zu, verwundert über die Intensität der Gefühle, die auf beiden Seiten geweckt worden waren.

Später an dem Tag wurde meine Verwunderung zu einer Stimmung der Traurigkeit. Als es dunkel wurde, ging ich zum Altmarkt, wo mehr als 10.000 DresdnerInnen, die weiße Rosen als Symbol der Versöhnung trugen, Kerzen in Erinnerung an alle Opfer des Krieges anzündeten, bevor sie Reden des Ministerpräsidenten, VertreterInnen der Coventry Kathedrale und anderen zuhörten. Kurz nach 22 Uhr an diesem kalten Winderabend schlugen die Glocken in der Stadt, wie sie es jedes Jahr seit dem Bombenangriff getan haben, um den Tag und die Stunde zu markieren, an dem die britischen Bomber ihren schrecklichen Angriff gestartet hatten.

Der Eindruck, den ich mitgenommen habe, war, dass der Raum, den die EinwohnerInnen Dresdens haben, um der Menschen zu gedenken, die sie an jener Nacht vor 60 Jahren verloren hatten, von Gruppen kolonisiert und angeeignet wurde, die den 13. Februar für ihre eigenen politischen Ziele zu instrumentalisieren suchen. Jede Seite, Linke und Rechte, drückten eine spezielle Interpretation der Bombardierung aus. Für die Antifaschisten war die Bombardierung nur ein Vergeltungsakt gegen ein Volk und ein Regime, das den Horror eines Krieges gegen die gesamte Welt gestartet hatte. Für die Rechten war die Bombardierung ein Kriegsverbrechen, dass die nicht zu rechtfertigende Niedermetzelung von unschuldigen Bürgern mit sich brachte. Beide Interpretationen haben genügend Kraft, Resonanz bei den verschiedenen Gruppen der Dresdner Bevölkerung zu finden.

Ich lernte von meinen Freunden in Dresden, dass diese Politisierung des Gedächtnisses des Februars 1945 nichts Neues war, sondern schon seit 1945 gab. Doch selbst so, als ich meinen Weg zum Hotel zurückfand, konnte ich nicht umhin, ein gewisses Mitgefühl für jene zu empfinden, für die der 13. Februar ein Anlass für das private und persönliche Andenken an Familienmitglieder und Freunde ist, die sie verloren haben. Ich fühlte, dass sie zwischen zwei politischen Kräften gefangen waren, von denen jede versucht, den Anlass zu benutzen, um die andere Seite mit einer Intensität an Gefühl und Ärger zu provozieren, die mich schockierte und traurig machte.

Ich flog den nächsten Tag nach Hause mit dem tiefen Eindruck, dass die Deutschen ein seltsames Volk sind!

Übersetzung: Redaktion

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Andrew Rigby ist emeritierter Professor für Friedensstudien und Gründungsdirektor des Zentrums für Frieden und Versöhnung an der Coventry Universität. Er war für viele Jahre mit der britischen pazifistischen Zeitung Peace News und mit den War Resisters‘ International verbunden.