Atomenergie

Illusionskraftwerke

von Armin Simon

Im Schatten der Klimadebatte wittert die Atom-Lobby wieder Morgenluft. Neuartige Wunder-Reaktoren, wirbt sie, könnten sogar Atommüll fressen. Stimmt bloß nicht.

 

Wer hat sie nicht schon gelesen in den letzten Monaten, die Geschichte vom angeblich ungefährlichen neuen AKW, das angeblich Energie im Überfluss liefert, nichts kostet und obendrauf noch Atommüll frisst – Ammenmärchen der Atom-Lobby, die so gut klingen, dass ihnen viele auf den Leim gehen, auch viele Medien. Die „Welt“ etwa lässt ihren Wissenschaftsredakteur ein Loblied auf einen sogenannten „Dual-Fluid-Reaktor“ singen, den eine Berliner GmbH erfunden haben will. In der „Zeit“ darf ein Atom-Lobby-Verein mit einem ganzseitigen Gastbeitrag für den massenhaften Bau von „schnellen Brütern“ werben, deren Prototyp in „Kalkar“ als größte Investitionsruine Deutschlands Geschichte schrieb. Und der „Spiegel“, der Geld von der Stiftung vondes Microsoft-Gründers Bill Gates bekommt, preist den von einem Gates-Unternehmen ersonnenen „Laufwellenreaktor“.

Die neuen Reaktoren, so die immer gleiche Mär in allen Artikeln, seien nicht nur ungefährlich und billig, sondern könnten obendrauf auch noch Atommüll fressen. Das klingt gut. Nur mit der Wirklichkeit hat es nichts zu tun.

 

      1. fressen?

Das „Dual-Fluid-Reaktor“-Konzept etwa, eine Abwandlung des Salzschmelzreaktors, wie er in den USA schon in den 1960er-Jahren konstruiert und wegen immenser technischer Probleme wenig später aufgegeben wurde, benötigt eine integrierte Wiederaufarbeitungsanlage (WAA), die kontinuierlich hochradioaktive und zum Teil hochgradig waffenfähige Stoffe aus der Brennstoffsuppe separiert. Diese Anlage müsste mit an die 1.000 Grad heißen hochradioaktiven Chlorverbindungen operieren – ein immenses Gefahrenpotenzial in jeder Hinsicht.

Hinter dem angeblichen „Atommüll fressen“ der neuen Reaktoren steht die Idee von „Partitionierung & Transmutation (P&T)“: den Atommüll sortenrein in seine Bestandteile aufzutrennen („Partitionierung“), um dann einen Teil davon in speziellen Reaktoren in kurzlebigere Stoffe umzuwandeln („Transmutation“). Zu den dafür nötigen Verfahren gibt es bisher nur theoretische Untersuchungen und kleine Versuche im Labormaßstab. Ob und unter welchen Bedingungen eine solche Anlage in der Praxis überhaupt funktionieren würde, ist ungeklärt. Klar ist, dass in den zum Auftrennen des Atommülls benötigten WAAs große Mengen radioaktiver Stoffen anfallen würden, die den Bau von Atomwaffen ermöglichen und sich leicht entwenden ließen.

Das Atommüll-Problem hingegen bliebe ungelöst. Denn der zweite Schritt, die Transmutation, kommt aus physikalischen Gründen nur für einen Teil des Atommülls überhaupt in Frage. Andere Teile, etwa die in Glaskokillen eingeschmolzenen hochradioaktiven Rückstände der Wiederaufarbeitung oder besonders langlebige Spaltprodukte, bleiben außen vor. Ein tiefengeologisches Atommülllager würde also durch P&T keinesfalls überflüssig. (1)

 

      1. Brüter

Auch die von der „Zeit“ propagierten Schnellen Brüter bringen immense Proliferationsprobleme mit sich, weil sie den Umgang mit großen Mengen waffenfähiger Stoffe (Plutonium …) voraussetzen. Daneben können sie besonders leicht außer Kontrolle geraten und verursachen sehr hohe Kosten. Nicht ohne Grund hat sich die seit den 1960er Jahren intensiv erforschte Technik nirgendwo durchgesetzt: Ob USA oder Großbritannien, Deutschland oder Indien, Kasachstan, Japan oder Frankreich – alle haben ihre Brutreaktoren längst abgeschaltet, zum Teil nach schweren Störfällen. Und die immer wieder (auch in der „Zeit“) zitierten Schnellbrüter im russischen Belojarsk nutzen als Brennstoff Uran- sowie Uran-Plutonium-Mischoxid (MOX), genau wie herkömmliche AKW auch. Atommüll fressen sie nicht. Selbst ein als Transmutationsreaktor arbeitender Brüter (den es noch nirgendwo gibt) würde das Atommüllproblem nicht lösen – siehe oben.

Der geplante Bau eines Laufwellenreaktors in China wiederum scheiterte vor einem Jahr, weil das US-Energieministerium mehr Zusicherungen verlangte, dass die Technologie nicht für militärische Zwecke genutzt werde – eine Anforderung, die Gates’ Reaktor offenbar nicht erfüllen konnte. In den USA stehen bisher Sicherheitsvorschriften und mangelnde Subventionen seinem Bau im Weg.

 

      1. fürs Klima

Bis, wenn überhaupt, aus den neuen Reaktorkonzepten Strom produzierende, funktionierende AKW entstanden sind, wird es noch Jahrzehnte dauern – von allen technischen, gesellschaftlichen, finanziellen und politischen Schwierigkeiten einmal abgesehen. Um das katastrophale Kippen des Weltklimas zu verhindern, muss der Ausstoß von Treibhausgasen aber schnell sinken. Ein Reaktor, den es theoretisch eventuell in einigen Jahrzehnten einmal geben könnte, hilft dabei keinen Deut weiter. Das Hoffen auf eine vermeintliche Wundermaschine verhindert vielmehr, dass wir die heute schon nötigen und längst möglichen echten Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Und wer schaut, aus welcher Ecke solche Atom-Phantastereien vor allem Beifall bekommen, kann sich durchaus fragen, ob „Klimaschutz verhindern“ nicht die eigentliche Intention dahinter ist.

 

Anmerkung

1 Nuklearexperte Dr. Christoph Pistner (Öko-Institut) über Propaganda und Realität neuartiger Reaktorkonzepte und warum auch Transmutation, selbst wenn sie je großtechnisch funktionieren sollte, das Atommüllproblem nicht löst. (Interview, 2019)
https://www.ausgestrahlt.de/informieren/akw-generation-iv/?tab=2

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Armin Simon ist Historiker, Journalist und Buchautor. Auszüge aus der Broschüre „Asse, Gorleben und andere Katastrophen. Fragen und Antworten zum Thema Atommüll“. Beziehbar über: www.ausgestrahlt.de