Iraks Flucht in die Aggression

von Bülent Ecevit

Als ich vor 12 Jahren nach Bagdad rei­ste fand ich eine Stadt vor, die zerstört war. Ich glaubte nun nach dem jahrelan­gen Krieg eine gänzlich zerstörte Stadt vorzufinden. Vor 12 Jahren fand ich eine recht militari­stische Atmosphäre in Bagdad, daß der Militarismus und der Orient noch mehr dominieren würden. Doch das Gegenteil war der Fall. In den vergangenen 12 Jahren ist aus Bagdad eine schöne Stadt mit breiten Straßen, ordentlichen und sauberen Bürgersteigen, harmonischen Bau­ten und viel Grün geworden.

 

Ich bin daran gewöhnt in der Türkei an jeder Straßenecke Polizisten und Sol­daten zu sehen. In den Straßen Bagdads haben wir außer den Verkehrspolizisten kaum Uniformierte gesehen. Ich habe es satt, im türkischen Fernsehen die langen Reden des Staatspräsidenten, des Mi­Ministerpräsidenten und mehrerer Minister Abend für Abend verfolgen zu müssen. Ich hatte mich auf betäubende Propa­gandasendungen im irakischen Fernse­hen eingestellt. Doch das Fernsehen in Bagdad brachte nur wenige Sekunden die Bilder Saddam Husseins, wenn er wichtige ausländische Gäste empfing. Westliche Zeitungen berichten, daß der irakische Präsident sich aus Angst vor einem Putsch oder einem Attentat ver­steckt hält und von einem Bunker aus regiert. Tatsächlich empfing uns Sad­dam Hussein mitten in der Stadt in ei­nem kleinem Haus mit Garten und mit Katzen.

 

Doch die Irakis haben keinen Sinn für das, was als "PR" bezeichnet wird. Ob­wohl seit der Krise sechs Wochen ver­gangen sind, weiß die Weltöffentlichkeit immer noch nicht, warum der Irak Ku­wait überfallen und besetzt hat und warum die irakischen Führer - obwohl die Kanonen, Panzer und Bomber der Großmächte auf sie gerichtet sind - sich weigern, aus Kuwait abzuziehen. Die Gründe für die Haltung des Irak mögen legitim oder illegitim sein. Aber falls wirklich eine politische Lösung der Krise gewünscht wird, ist es notwendig die Beweggründe des Irak genau zu kennen. Die Welt sieht in einem Wirt­schaftsembargo die einzige Möglichkeit, den Irak ohne Krieg zu einem Rückzug aus Kuwait zu zwingen. Man hofft, daß über kurz oder lang die irakische Wirt­schaft ruiniert wird und der Irak klein beigibt. Doch der Irak trieb ohnehin in den ökonomischen Ruin, selbst ohne den Überfall auf Kuwait und ohne Wirt­schaftsembargo. Der achtjährige Krieg mit dem Iran hatte der irakischen Öko­nomie schwere Schäden zugefügt. Man vermutet, daß die Auslandsverschul­dung des Landes mindestens 70 Milliar­den Dollar beträgt. Außerdem behauptet der Irak, daß die Golfstaaten in den Jah­ren 1981 - 1990 die von der Opec aufge­stellte Förderungsobergrenze ständig überschritten haben und dadurch die Öl­preise in den Keller trieben. 89 Milliar­den Dollar Verlust, sollen dem Irak da­durch entstanden sein. Es kommt hinzu, daß der Irak während des achtjährigen Krieges Waffen im Wert von 102 Milli­arden Dollar aufkaufte.

Nach Meinung des Irak hat Kuwait wäh­rend des irakisch-iranischen Krieges sei­ne Grenze zum Irak um 70 km ver­schoben. Dadurch konnte Kuwait im Süden des Irak die Erdölfelder von Ru­maila auf eigene Rechnung ausbeuten und erzielte Einkünfte von 2 Milliarden und 400 Millionen Dollar. Der Irak be­zeichnet dies als "Diebstahl". Kuwait und die anderen Golfstaaten haben sich nicht nur damit begnügt. Sie haben nicht nur die Forderung des Irak, den Ölpreis auf 25 Dollar festzusetzen, abgelehnt. Sie haben durch Mehrproduktion den von der Opec im Jahr 1987 auf 18 Dol­lar festgesetzten Ölpreis auf 11 Dollar gesenkt. All dies hat die irakische Öko­nomie an den Rand des Ruins gebracht. Seit Monaten suchte die irakische Füh­rung nach Auswegen und erwartete von den Golfstaaten Verständnis.

Der Irak hatte zwei Forderungen:

  1. Die erdölreichen Golfstaaten sollen sich an den Auslandsschulden, die der Irak we­gen des Krieges aufgenommen hat, be­teiligen.
  2. Der Erdölpreis der Opec sollte durch Senkung der Förderung, zumindest für bestimmte Zeit, auf 25 Dollar gesteigert werden.

Die Forderung des Irak nach gerechter Verteilung der Auslandschulden hatte folgenden Hintergrund. Der Irak hatte nicht nur in seinem Namen, sondern im Namen der ganzen arabischen Welt acht Jahre lang Krieg gegen den Iran gefhrt. Der Export der "Revolution" des Kho­menie-Regimes auf den ganzen Nahen Osten und die islamischen Länder be­drohte nicht nur den Irak, sondern auch die anderen Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien und Kuwait.

Schon aus diesem Grund erwartet der Irak, daß die erdölreichen Golfstaaten ihre Kredite als Hilfe ansehen. Diese Er­wartungshaltung konnte eigentlich nicht überraschen. In gewissem Sinn hatten die Golfstaaten mit "Bravo kapi­tano" den Irak in den Krieg getrieben. An­schließend ließen sie ihn fallen.

Sie hatten zudem reichlich am Krieg verdient. Die 106 Milliarden Dollar Verlust durch den kriegsbedingten Aus­fall der irakischen Erdölförderung ging in die Taschen der Herrscherclans am Golf. Die Golfstaaten haben durch ihre Politik, den Ölpreis auf 11 Dollar zu senken, den Irak vollends in die Ecke getrieben.

Der irakische Präsident Saddam Hussein warnte auf dem arabischen Gipfel in Bagdad am 30. Mai 1990, zwei Monate vor dem Überfall auf Kuwait: "Krieg wird manchmal mit Soldaten und Bom­ben betrieben. Doch wenn man der Wirtschaft solchen Schaden zufgt, kann es vergleichbare Auswirkungen haben. Diese Haltung ist eine Art Krieg gegen den Irak. Wenn wir noch die Kraft zum Stand­halten hätten, könnten wir Toleranz walten lassen. Doch wir können dem Druck nicht länger stand­halten." Als auf diese offene Warnung keine Reaktion seitens der Golfstaaten er­folgte, wurde Saddam Hus­sein bei dem Empfang des saudischen Ölmini­sters Hi­sam Naziri am 9. Juli noch deutlicher: "Ich kann es nicht zulassen, daß das ira­kische Volk hungert und die irakischen Frauen keine Kleidung ha­ben."

Als auch diese Warnung nicht fruchtet sprach Sad­dam Hussein am 16. Juli, also zwei Wochen vor der Besetzung Kuwaits eine of­fene Drohung aus. Er benutzt ein arabisches Sprichwort: "So sollen die K”pfe rollen, statt das unser täglich Brot rollt." Der Irak hat diese Warnungen und Drohungen ausgespro­chen, nachdem er sich mehrmals ver­geblich bemhte, die Probleme durch Gespräche zu l”sen. Wer glaubt schon angesichts dieser Situation, daß die Golfstaaten, die USA und die CIA keine Ahnung davon hatten, daß der Irak Ku­wait besetzen wrde. Saudi-Arabien, Kuwait und die USA wußten sehr wohl, daß der Irak sich in der "Ausweg­losigkeit" präsentierte und ent­schlossen war, die letzte "Lösung" an­zugehen. Doch diese Länder taten so als wüten sie von nichts. Weil sie den Irak und die irakische Führung nicht nur in die Ecke treiben, sondern vernichten wollten, lockten sie ihn in die Fall der kuwaiti­schen Besetzung. So sehr es vom Irak Gedankenlosigkeit und Roulett ist, in die Falle hineinzutappen, so sehr ist es Gedankenlosigkeit und Roulett den Irak in diese Falle zu treiben. Und heute ist es noch unklar, ob der Irak in die Falle getappt ist oder vielmehr die Ver­einigten Staaten und ihre Hunderttau­send amerikanischen Soldaten in der arabischen Wste.

Der türkische Sozialdemokrat und ehe­maliger Premier Blent Ecevit besuchte im Auftrag der türkischen Zeitung `Mil­liyet`den Irak und führte dort ein län­geres Gespräch mit Saddam Hussein.

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Der türkische Sozialdemokrat und ehemaliger Premier Bülent Ecevit besuchte im Auftrag der türkischen Zeitung `Milliyet`den Irak und führte dort ein längeres Gespräch mit Saddam Hussein.