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Israel nach der Wahl
vonFragte man nach den Wahlen und der wenig aufschlussreichen Regierungserklärung in Israel nach dem friedenspolitischen Kurs des neuen Ministerpräsidenten Benyamin Netanyahu, so wurde - auch von offizieller diplomatischer Seite - auf den bevorstehenden Besuch des Überraschungssiegers in Washington verwiesen: Erst nach den Gesprächen mit US-Präsident Bill Clinton werde Genaueres von ihm zu erfahren sein, z.B. ob sich die israelischen Streitkräfte - wie von Schimon Peres versprochen - bald aus Hebron zurückziehen werden, ob es weitere Verhandlungen mit Syrien geben wird und wie die nächsten Verhandlungsschritte mit Yassir Arafats Autonomieregierung aussehen werden.
Dies zeigt nicht etwa, daß die israelische Politik in Washington gemacht wird. Es macht vielmehr deutlich, welche Hoffnungen von vielen Israelis in den mäßigenden Einfluss der amerikanischen Nahost-Politik auf den israelischen Regierungschef gesetzt werden. Die Entscheidung für _Bibi" Netanyahu war keine gegen den Friedensprozess mit den Palästinensern, sondern eine gegen Peres und seine Art und Weise, eine politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu suchen. Es war ein "Sieg der Angst", kein Votum gegen den Friedensprozess - obwohl es sich letztendlich als ein solches herausstellen könnte.
Der Wahlsieg Netanyahus markiert keineswegs einen Erdrutsch in der israelischen Wählerschaft. Der Sieg war hauchdünn - genauso wie der Wahlsieg Yitzchak Rabins 1992. 26.000 Stimmen mehr für Peres und er hätte die neue Regierung - z.T. mit den gleichen Koalitionspartnern wie Netanyahu - gebildet. Die Wahl
Shimon Peres startete in diesen Wahlkampf mit einem Vorsprung von etwa 16%. Als Friedensnobelpreisträger genoss er weltweit Anerkennung und galt als Garant für die Fortsetzung des sensiblen Friedensprozesses mit den Palästinensern. Mit Jordanien war ein Friedensvertrag zustande gekommen und das Verhältnis zu einigen arabischen Ländern konnte normalisiert werden. Peres hatte Israel aus seiner diplomatischen Isolation herausgeführt. Außerdem konnte er eine glänzende wirtschaftliche Bilanz vorweisen, um die ihn jeder andere Regierungschef beneiden mußte: Der Friedensprozess hatte in der israelischen Wirtschaft einen Boom ausgelöst, die Arbeitslosigkeit war gering, die Inflation hatte man im Griff.
Ein Schlüsselwort für die überraschende Wahlniederlage des Friedensnobelpreisträgers Shimon Peres lautet Sicherheit. Mit der Anerkennung der PLO, den Oslo I und Oslo II-Abkommen sowie dem palästinensischen Autonomieprozeß in den besetzten Gebieten war es Rabin und Peres in den vergangenen Jahren zwar gelungen, überraschende Fortschritte in Richtung auf eine politische Regelung des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu erzielen, doch die israelischen WählerInnen hatten nicht das Gefühl, daß durch diesen Friedensprozess ihre persönliche Sicherheit verbessert werde. Die Serie von Selbstmordanschlägen im Frühjahr ließ viele Israelis fragen: Was nützt uns der ganze Friedensprozess, wenn durch den zunehmenden Terror mein Leben unsicherer wird? Der verzweifelte Versuch von Peres, durch die Aktion _Früchte des Zorns", die Luftangriffe auf den Südlibanon, sein Image als harter Verfechter der nationalen Sicherheit aufzubessern, ging gründlich schief: militärisch hat die Aktion keinerlei Verbesserung der Situation an der nördlichen Grenze gebracht, politisch hat Israels Ansehen - besonders nach dem verheerenden Angriff auf den UN-Stützpunkt Kana - erheblich gelitten und diplomatisch hat die Aktion nur zu einer Aufwertung Syriens und des Iran geführt.
Da nützte es auch nichts mehr, daß sich Peres im Wahlkampf immer mehr als Hardliner zu profilieren versuchte, während sein Konkurrent bemüht war, immer wieder zu versichern, daß er den Friedensprozess fortführen werde - wenn auch anders. Netanyahu betonte einerseits seine Vertragstreue und seinen Verhandlungswillen, andererseits verkündete er, daß die Sicherheit der Israelis für ihn im Vordergrund stehen werde. Eine Likud-geführte Regierung werde nicht nur die Siedlungaktivitäten auf der Westbank und im Gaza-Streifen fortsetzen, sondern im Kampf gegen den Terrorismus unnachsichtig volle Handlungsfreiheit auch in den von israelischen Sicherheitskräften geräumten autonomen palästinensischen Gebieten beanspruchen. Eine Rückgabe der Golan-Höhen an Syrien verbietet sich nach Ansicht des neuen Ministerpräsidenten aus Sicherheitsgründen ohnehin.
Das Wahlergebnis zeigt darüber hinaus einen markanten Differenzierungsprozeß in der israelischen Gesellschaft. Aufschlußreich ist weniger der angebliche "Riss" in der Wählerschaft, der in dem knappen Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl zum Ausdruck kommt, als vielmehr die fortschreitende Zersplitterung des israelischen Parteienspektrums, in der sich eine zunehmende Fragmentierung der israelischen Gesellschaft manifestiert. Die beiden großen Parteien - die Arbeitspartei und der Likud-Block - verloren knapp ein Viertel ihrer Stimmen. Gewinner der Wahlen sind die kleinen Parteien, vor allem jene Klientelparteien, die sich -unabhängig von einer spezifischen friedenspolitischen Ausrichtung - die Interessenvertretung bestimmter Bevölkerungsgruppen zur primären politischen Aufgabe gemacht haben. Alle Versuche der großen Parteien, durch Integration von Vertretern z.B. der russischen Neueinwanderer, der orientalischen Juden und der palästinensischen Minderheit in ihre Wahllisten diesem Trend der drohenden politischen Fragmentierung entgegenzuwirken, sind kläglich gescheitert.
Viele Beobachter interpretieren diesen Aspekt des Wahlergebnisses als bedrohliches innenpolitisches Warnsignal. Zum einen hat der "Schmelztiegel Israel" an innerer Bindungs- und Integrationskraft verloren - eine Entwicklung, die nicht zuletzt auch eine Folge des Friedensprozesses darstellt. Zum anderen sehen viele in dieser Entwicklung Anzeichen einer grundlegenden Wachablösung: Verlierer sind insbesondere die westlich geprägten "Alt-Parteien". Die Arbeitspartei - vor allem auch Schimon Peres - gilt als Repräsentant der alten Pioniergeneration und der bürgerlichen Mittelschichten, kurz: zum aschkenasischen Establishment, ohne Affinität zur religiös geprägten Lebenswelt der orientalischen Juden und ohne Sensibilität für die sozialen Probleme der Einwanderergenerationen. Daß gerade mit "Bibi" Netanyahu ein Kandidat gewählt wurde, der in keiner Weise religiöse Bindungen hat, wie kein anderer eine amerikanische Sozialisation aufweist und einen extrem amerikanisierten Wahlkampf führte, ist nur eine der vielen Widersprüchlichkeiten dieses Wahlergebnisses.
Die Regierung
Von der starken Rolle eines direkt gewählten Ministerpräsidenten war bei der Regierungsbildung Netanyahus wenig zu spüren. Die Schwierigkeiten bereiteten ihm weniger die Koalitonspartner - die Einwandererpartei, die Partei des Dritten Weges, die Nationalreligiöse Partei, Shass, eine religiöse Partei orientalischer Juden, und die Thora-Liste, eine orthodoxe Partei aschkenasischer Juden, aber ohne Portefeuille in der Regierung - als die eigene Partei. Der Likud-Block ist keine gewachsene homogene Partei, sondern ein schwer beherrschbares Konglomerat aus kleineren Parteien und rivalisierenden Flügeln, ehemaligen früheren Abspaltungen und einzelnen Persönlichkeiten. Netanyahu mußte mit der Benennung des als gemäßigt geltenden David Levy zum Außenminister und des Rechtsauslegers Ariel Scharon - unter Menachem Begin als Verteidigungsminister Architekt des Libanon-Feldzugs 1982 - zum Infrastrukturminister Wahlschulden abzahlen - auch dies eine an amerikanische Usancen erinnernde Praxis. Gerade die Aufnahme Scharons in das Kabinett, gegen die sich Netanyahu bis zuletzt gewehrt hatte, hat noch einmal deutlich gemacht, welchen innenpolitischen Zwängen Netanyahu unterworfen ist.
Das Rätselraten über den künftigen Kurs der Regierung ist somit eher Ausdruck der Hoffnung auf realpolitische Zwänge, denen auch Netanyahu sich vielleicht nicht entziehen kann, als der Unklarheiten, die Netanyahus programmatische Erklärungen bisher hinterließen. Das Regierungsprogramm spricht eine klare Sprache: Frieden ja, aber zu unseren Bedingungen; Verhandlungen ja, aber nicht über das, worüber die Palästinenser verhandeln wollen.
Am 4. Mai noch wurden von Peres und Arafat formell die gemäß dem Oslo-Abkommen vorgesehenen Verhandlungen über den endgültigen Status der palästinensischen Gebiete eröffnet. Die Regelung der zentralen Fragen des israelisch-palästinensischen Konflikts steht auf der Tagesordnung. Netanyahu hat von seinen Verhandlungspartnern "Verhandlungen ohne Vorbedingungen" gefordert, allerdings hielt ihn dies nicht davon ab, die Verhandlungsergebnisse vorab zu definieren: Der endgültige Status der besetzten Gebiete? Auf jeden Fall kein palästinensischer Staat! Die Zukunft Jerusalems? Auf jeden Fall bleibt Jerusalem die ewige Hauptstaat des jüdischen Staates! Wie könnte eine Rückkehrregelung für die palästinensischen Flüchtlinge in die palästinensischen Gebiete aussehen? Israel wird sich "dem Recht auf Rückkehr" arabischer Bevölkerungsteile (Anführungsstriche im Original der neuen Regierungsleitlinien!) widersetzen. Was tun mit den israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten? Keine Aufgabe, sondern Ausbau! Frieden mit Syrien? Ja, aber kein Rückzug von den besetzten Golan-Höhen.
Dabei könnte sich die neue Regierung in Angelegenheiten der palästinensischen Selbstverwaltung durchaus flexibel erweisen. Das Selbstverwaltungskonzept für die besetzten Gebiete ist nämlich keineswegs ein Produkt der sozialdemokratischen Friedenspolitik der Rabin/Peres-Regierung. Vielmehr hat schon 1977 Menachem Begin vor den Camp-David-Verhandlungen einen ersten 26-Punkte-Plan vorgelegt: Die Autonomie-Regelung diente allen Likud-Regierungen nicht etwa als Übergangsstadium zu einem eigenständigen palästinensischen Staat, sondern immer als Ersatz dafür. Im Camp-David-Abkommen fand dieses Konzept dann seinen Niederschlag - als Preis (neben der Rückgabe der Sinai-Halbinsel)
für die Aufrechterhaltung der israelischen Souveränität über die besetzten Gebiete. Schon damals stieß diese Vorstellung einer palästinensischen Autonomie bei allen arabischen Staaten - außer Ägypten - und der PLO auf heftigen Widerstand und wurde als "Bantustan"-Konzept bezeichnet.
Die Perspektiven
Auch ein israelischer Ministerpräsident ist in ein Geflecht internationaler Politik eingebunden, das seine Handlungsspielräume begrenzen kann. Die USA-Reise Netanyahus Anfang Juli zeigte jedoch nicht - wie von vielen erhofft - konkrete Perspektiven für eine Fortsetzung des Friedensprozesses auf, sondern der neue ungeliebte israelische Regierungschef hat - sofern überhaupt vorhanden - amerikanischem Druck widerstanden und ist seiner Linie treu geblieben: Lippenbekenntnisse zum Friedensprozess, materiell-politisch eine kompromisslose Haltung. Der Friedensprozess wird deshalb wohl bald auf der Stelle treten. Gerade darin hat die neue israelische Regierung durchaus Erfahrung: Nachdem die Regierung des ehemaligen Likud-Premiers Yitzchak Schamir nach dem zweiten Golfkrieg 1991 unter großem internationalen Druck zur Teilnahme an der Madrider Friedenskonferenz gedrängt werden konnte, dümpelten die Folgeverhandlungen jahrelang ergebnislos vor sich hin. Schamir gab nach seiner Abwahl unumwunden zu, daß Israels Verhandlungsmaxime darin bestanden habe, jedwede Regelung so lang wie möglich hinauszuzögern. Der Außenminister hieß damals David Levy und der Verhandlungsführer Israels war ein politischer Newcomer: Benyamin Netanyahu.