Friedensbewegung

Ist die Friedensbewegung „uncool“?

von Stefan Schwarz
Schwerpunkt
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"Warum ist die Friedensbewegung für junge Leute uncool / nicht populär?" Als mir dieser Arbeitstitel für einen Beitrag im FriedensForum gegeben wurde, war ich zunächst überrascht. Entweder ich gehöre mit meinen 25 Jahren nicht mehr zu den „jungen Leuten“ oder ich habe nicht mitbekommen, dass Frieden mittlerweile etwas Uncooles ist. Erst bei genauerer Überlegung ist mir aufgefallen, dass „die Friedensbewegung“ und Frieden als politisches Thema natürlich zwei Paar Schuhe sind. Ein politisches Thema mag Zuspruch unter jungen Menschen finden, aber das muss nicht zwangsweise in der Teilnahme an einer politischen Bewegung münden. Und doch scheint es einen Zusammenhang zu geben. Denn wenn ein politisches Thema tatsächlich „cool“ ist, dann ist die politische Beteiligung auch unter jungen Menschen immens, wie jüngst Demonstrationen und Proteste zu Europapolitik, Klima und Rassismus zeigten.

Warum scheint es also, als könne die Friedensbewegung seit Jahren nicht mehr eine vergleichbare Zahl junger Menschen mobilisieren? Etwa weil „Frieden“ einfach doch nicht mehr cool genug ist? Die Ursachen für mangelndes Interesse sind so zahlreich wie unterschiedlich. So spielt die Aktualität einer Thematik natürlich eine Rolle. Da wir in vergleichsweise friedlichen Zeiten aufgewachsen sind, wird die Friedensförderung möglicherweise nicht mehr als dringlich wahrgenommen. Auch die zunehmende Vernetzung kann ein Grund sein. Sie führt dazu, dass politische Bewegungen, ähnlich wie Werbeagenturen, gegeneinander um die begrenzte Freizeit und Aufmerksamkeit junger Menschen mit deren mit aktiven und mobilen Lebensstilen konkurrieren müssen. In der Vergangenheit entstanden und wuchsen dagegen politische Bewegungen nachhaltiger und natürlicher.
Doch dieser Artikel wäre nicht hilfreich, wenn das einzige Fazit ein Fingerzeig auf „die Jugend heutzutage“ wäre. Tatsächlich können viele der oben genannten Beobachtungen auch als Ansätze dienen, denn meiner Meinung nach liegt eben darin auch der Grund, warum „die Friedensbewegung für junge Leute uncool ist“. Sie ist für junge Menschen nicht mehr attraktiv, weil ihre Methoden sich seit vielen Jahren nicht mehr entwickelt haben. Dazu gehört einerseits die Mobilisierung für aktuelle Themen, die im Vergleich zu modernen politischen Bewegungen zuletzt mit Beginn des Irakkriegs 2003 ähnlich hoch war. Andererseits, und damit auch einhergehend, sind Friedensbewegungen nicht im Zeitgeist involviert und lassen sich nur in geringem Maße darauf ein, was für junge Menschen außerhalb des politischen Engagements interessiert. 

Es ist kaum verwunderlich, dass die Friedensbewegung gegen den Vietnamkrieg einen fast schon mythischen Status eingenommen hat, mit Protesten von Studierenden, der Schaffung neuer Kunst- und Musikgenres, die im Festival von Woodstock mündeten sowie zahlreiche Hollywoodverfilmungen, die sich tiefgründig mit der Natur von Gewalt und Krieg befassen. Diese Verarbeitung des Vietnamkriegs ist noch heute und selbst in Europa spürbar, da sie über Popkultur für junge Menschen aller nachfolgenden Generationen greifbar gemacht wurde. Junge Menschen wurden nicht nur über die Medien ihrer Zeit angesprochen, sie mobilisierten sich auch selbst darüber. Wahrscheinlich wären sie in den 60ern ebenso desinteressiert gewesen, wenn sich die kulturelle Verarbeitung und Mobilisierungsmethoden auf Opernaufführungen und Telegramme beschränkt hätten.

In einem vergleichbaren Zustand befindet sich nach meinem Ermessen aber die heutige Friedensbewegung, die sich, wie viele andere traditionsreiche politische Bewegungen, seit vielen Jahren methodisch und strukturell nicht schnell genug weiterentwickelt hat. Junge Menschen lesen keine Rundmails. Sie verpflichten sich ungerne mit Anmeldungsformularen und festen Zusagen. In Deutschland sind auf Facebook mittlerweile fast ebenso viele über 35-Jährige wie unter 35-Jährige (1). Die Nutzung neuer Plattformen wie Instagram, TikTok oder Streamingplattformen ist seitens der Friedensbewegung kaum existent.

Neue Medien
Auch die Instrumentalisierung von und der Bezug zu neuen Medien ist gering, obwohl es eine Bandbreite von interessanten Werken gibt, die man mit der Friedensbewegung verbinden könnte. Die erfolgreichen Jugendromanreihe „Die Tribute von Panem“ bieten genügend thematische Anschlusspunkte, um Friedensbotschaften zu amplifizieren. Friedensthemen werden weiterhin durch Popmusik verarbeitet, wie beispielsweise in Lana Del Rey’s „Woodstock In My Mind“ (2017), Christina Aguilera’s „Cease Fire“ (2012) oder in Deutschland von K.I.Z ft. Henning May „Hurra die Welt geht unter“ (2015) und Alligatoah‘s „Musik ist keine Lösung“ (2015).

Auch interaktive Medien werden zunehmend inhaltlich reflektierter. Obwohl bekannte Vertreter des First Person Shooter-Genres wie „Call of Duty“ häufig als Killerspiele abgestempelt werden, bearbeitet beispielsweise „Spec-Ops: The Line“ (2012) selbstkritisch Gewaltdarstellung in diesem Genre. In „This War Of Mine“ (2014) steuert man eine Handvoll Zivilist*innen in einer vom Krieg zerstörten Stadt, die an Sarajevo im Bosnienkrieg angelehnt ist. Ziel des Spiels ist es, Vorräte und Nahrungen in den Ruinen der Stadt zu suchen und sich vor Gewalt zu schützen - eine Seite von Kriegen, die selten in gewaltverherrlichenden Spielen thematisiert und durch die Interaktivität des Mediums zu einer personalisierten Erfahrung wird.

Der 2017 produzierte Film „Dunkirk“ ist einer von vielen modernen Filmen, der Krieg brutal, realistisch und alles andere als glorreich darstellt, was in sich selbst als Botschaft für den Frieden gesehen werden kann. „Hacksaw Ridge – die Entscheidung“ (2016) folgt dem Aufbau eines regulären Militärdramas, jedoch aus der Sicht des Pazifisten und Sanitäters im Zweiten Weltkrieg Desmond T. Doss. Weiterhin ist die Schwelle für die Produktion von Live-Aufnahmen oder Indie-Dokumentarfilmen im Zeitalter von Handykameras, kostenloser Editingsoftware und Online Streaming so niedrig wie nie zuvor. Schockierende Livestreams aus Konfliktgebieten und persönliche Dokumentarfilme wie „Für Sama“ (2019) oder „Yemen: The Silent War“ (2018) helfen es, das Leiden von Menschen in den Vordergrund von Kriegen zu stellen.

Es mangelt also nicht an möglichen Anschlusspunkten, um die Friedensbewegung cool zu machen. Falls der Leserin oder dem Leser keine der genannten Beispiele moderner Medien etwas gesagt haben, ist das vielleicht ein Anlass, über die Methoden und Strategien der Friedenbewegung nachzudenken. Natürlich ist das einfacher gesagt als getan. Es erfordert Mut und Motivation, Neues zu probieren. Es erfordert auch, dass man sich auf „die Jugend heutzutage“ einlässt, mit jungen Menschen kommuniziert und kooperiert. Die Friedensbewegung ist eine multigenerationale Bemühung. Aber junge Menschen werden sich nicht angesprochen fühlen, wenn man sich nicht auf sie einlässt. Frieden ist nämlich cool, aber es wird eben nichts Cooles damit von der Friedenbewegung gemacht. Erfolgreiche und moderne politische Bewegungen sind an die Anforderungen und Wünsche junger Menschen angepasst und können für die Friedenbewegung als Vorbild dienen. Letztendlich wissen junge Leute selbst am besten, was für sie cool ist. Daher sollte die Friedensbewegung auf die Jugend, die sie bereits für sich gewinnen konnte, eingehen und sie mobilisieren, motivieren und fördern.

Anmerkung
https://www.statista.com/statistics/867622/number-of-facebook-users-in-g...

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Stefan Schwarz ist Student an der Phillips-Universität Marburg im Masterstudiengang Politikwissenschaft und bei den Jungen Europäischen Föderalisten politisch aktiv. Zurzeit absolviert er ein Praktikum beim Bund für Soziale Verteidigung e.V.