Seminare zur Schulung in aktiver Gewaltfreiheit und Versöhnungsarbeit in Burundi, 10.-23. März 1996

Ist Versöhnung möglich?

von Hildegard Goss-Mayr
Schwerpunkt
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Auf Einladung von Mgr. Evariste Ngoyagoye, Bischof von Bubanza, besuchte ich im Dezember 1995 Burundi, um die Situation kennenzulernen und mit jenen Gruppen eine Vertrauensbasis aufzubauen, die sich bereits um Versöhnungsarbeit bemühen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Bujumbura von bewaffneten Gruppen angegriffen. Es gab weder Strom noch Wasser. Der Krieg zwischen extremistischen Kämpfern beider ethnischer Gruppen (Hutu und Tutsi) und der starken, einflußreichen Armee (vorwiegend Tutsi) verwüstet das Land, vertreibt hunderttausende ZivilistInnen von ihren Wohngebieten, schafft Elend, Leid und Haß. Seit der Ermordung des ersten freigewählten Hutu-Präsidenten Ndayadaye 1993 wurden über 100.000 Menschen Opfer von Massakern. Die Bevölkerung umfaßt etwa 80 % Hutu, 20 % Tutsi und eine geringe Anzahl von Twa. Die interethnische Regierung ist schwach, zerstritten und häufig operationsunfähig.

Sowohl in der Zivilgesellschaft wie in den Kirchen gibt es eine sich immer mehr festigende, wenn auch ständig bedrohte Bevölkerungsgruppe, die sich für einen Waffenstillstand, eine politische Lösung und für Versöhnung einsetzt. Versöhnungsarbeit wird von der Anglikanischen Kirche, der Quäkerkirche wie durch die katholische Kirche geleistet. Die Bischofskonferenz (vier Hutu, drei Tutsi) setzt durch ihr Zeugnis der Einigkeit ein wichtiges Zeichen, wenngleich ihre mutigen Pastoralschreiben nicht genügend beachtet und umgesetzt werden.

Zwei Gruppen, die bereits Versöhnungsarbeit leisten, luden uns (P. Alfred Bour, Herzjesumissionar aus Frankreich und die Autorin, d.Red.) ein, ihren Weg und Einsatz aus der Perspektive der aktiven Gewaltfreiheit zu vertiefen:

1. Die Konferenz der Priester und Ordensleute (USUMA/COSUMA) im Rahmen ihrer "Versöhnungstreffen", die sie seit 1995 durchführen.

2. CRID (Centre de Recherches pour l"inculturation et le dévéloppement), eine von der Bischofskonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe, die seit 1995 die Methode der Workshops des "gegenseitigen Akzeptierens (acceptation mutuelle) entwickelt hat.

Versöhnungstreffen der Priester und Ordensleute

Unter den 29 TeilnehmerInnen des Priesterseminars befanden sich Bischof Evariste Ngoyagoye, drei Generalvikare, Priester, Ordensfrauen und Ordensbrüder beider ethnischer Gruppen. Der ethnische Konflikt, obgleich politisch manipuliert, berührt zutiefst alle Gemeinschaften und Pfarren. Im Hintergrund steht, im gesamten Gebiet der Großen Seen, für alle ChristInnen die Schlüsselfrage: Wie kann es gelingen, die Taufe, die Zugehörigkeit zur Kirche, über die Zugehörigkeit zur ethnischen/lokalen Gruppe und deren Befehle (Chef, Tötungsmechanismen) zu stellen? Ein revolutionärer Schritt zur Eigenverantwortung ist gefordert, die Überwindung gewachsener Traditionen, die nur durch die Entdeckung einer neuen Gemeinsamkeit in Leben, Leid und Hoffnung und in einer neuen Solidarität gefunden werden kann. Aus diesem Grund ist die Vertrauensbildung ein wesentlicher Bestandteil unserer Seminare. Durch Körperübungen, Meditation und Liturgie, in Arbeitsgruppen und Vorträgen wird daran gearbeitet.

Aufbau des Seminars

Im Wechsel von Gruppenarbeit und Input gehen wir aus von der Gewalt, die jede/r erlebt, entlarven ihr Wesen und ihre Mechanismen und deren Unfähigkeit, Unrecht zu bewältigen; wir entdecken die Passivität als Pfeiler bestehenden Unrechts (die Angst und ihre Bewältigung!) und fragen nach der Alternative der aktiven Gewaltfreiheit.

In Gruppenarbeit erforschen wir die Ansätze der Gewaltfreiheit in der Tradition. Dadurch wird deutlich, daß aktive Gewaltfreiheit lebendige Gegenwart im Leben der Einzelnen und des Volkes ist; sie muß lediglich entfaltet und organisiert werden. Die Gruppen sammeln ihre eigenen Erfahrungen mit aktiver Gewaltfreiheit und bringen Beispiele wie: Einsatz für die Wiedereingliederung entschulter (Hutu-)Kinder, Widerstand gegen die Herausforderung zur Gewalt in Schulen, Errichtung eines "Sicherheitskomitees" in einem Kampfgebiet, das den Abzug der Zivilbevölkerung ermöglichte, usf. Danach stellen wir die Wesensmerkmale der aktiven Gewaltfreiheit heraus.

In Bibelarbeit stellen sich die TeilnehmerInnen der Neuentdeckung unseres gewaltfreien Gottes und dem Befreiungsweg Jesu, der die Einheit aller Menschen - auch der GegnerInnen - wiederherstellt, seiner Gerechtigkeit und grenzenlosen Vergebung, die Neu-werden, Auferstehung bewirkt. Für viele ist es eine radikal neue Dimension ihres Glaubens und Lebens, die viele Schritte der Umkehr erfordert.

Der zweite Teil des Seminars umfaßt Methodik und Strategie der aktiven Gewaltfreiheit und deren Umsetzung in konkrete Unrechtssituationen durch die TeilnehmerInnen des Seminars. In vier Gruppen wurden folgende Problemkreise aufgearbeitet und in Rollenspielen dargestellt: Einsatz für Ausgesiedelte und Vertriebene; Einsatz für das Recht auf Eigentum von Vertriebenen; Wiedereingliederung vertriebener SchülerInnen; Überwindung des Risikos der Spaltung in einer Ordensgemeinschaft. In der täglichen Eucharistiefeier wurden symbolische Akte der Buße, Vergebung und der Hoffnung gesetzt. Sie stellten Höhepunkte des Seminars dar. An den Abenden bekräftigten Filme von ZeugInnen der Gewaltfreiheit wie M.L. King und Jean Goss diesen Befreiungsweg.

Das Semianr für CRID

An diesem Seminar beteiligten sich rund 25 engagierte christliche Laien beider ethnischer Gruppen aus verschiedenen Teilen des Landes. Neben Bischof Evariste und dem Theologen Adrien Ntabona, dem Leiter des CRID, nahmen u. a. LeiterInnen der Katholischen Aktion, der Katechese, verschiedener NROs wie des Erziehungswesens teil.

Der bedeutendste Aspekt dieses Seminars war der Praxisteil. Am ersten Tag stellte CRID seine Arbeitsmethode der "Acceptation mutuelle" vor: ein Prozeß intensiven Zuhörens. Jeweils fünf Hutu und Tutsi aus verschiedenen professionellen Bereichen erzählen sich einige Tage gegenseitig ihre Lebensgeschichte, d. h., sie lernen so das Leid der jeweils anderen Seite kennen und sprengen damit den Rahmen der einseitigen Leidensinterpretation und Schuldzuweisung.

Eine Auswertung dessen, was TeilnehmerInnen dieser Workshops in die Praxis umgesetzt haben, brachte eine große Anzahl von Erfahrungen zutage, wie z. B. den Einsatz für Toleranz unter Jugendlichen verschiedener ethnischer Gruppen, Schritte zur Annäherung von Menschen aus Flüchtlingslagern mit der Bevölkerung der "Collines" (verschiedene ethnische Gruppen), Friedensmärsche, Feste, Friedensaktionen in Schulen während der Verfolgung von Hutu-SchülerInnen uswf.

Im Seminar konnten wir auf diesen Erfahrungen aufbauen. Für folgende konkrete Unrechtssituationen wurden gewaltfreie Lösungen gesucht und erarbeitet: Kampf gegen die Verbreitung von Gerüchten, Behinderung der Freizügigkeit (Straßensperren durch Bewaffnete, die ethnisch diskriminieren), das Recht der Rückkehr von Vertriebenen auf den Boden ihrer Vorfahren. Aus den sehr gelungenen Rollenspielen dieser Gruppen wurde ein tiefes Erfassen der Haltungen und Initiativen der aktiven Gewaltfreiheit deutlich.

In diesem Seminar arbeiteten wir auch an Alternativen für die Erneuerung der Gesellschaft. Beim Zusammentragen bereits vorhandener Initiativen, die auszubauen sind, wurde ein Hoffnungsschimmer deutlich: so das Suchen nach Gewaltfreiheit, Animation für Jugendliche, Vertriebene, die ihre Äcker bebauen, Bemühung um Begegnung zwischen ethnischen Gruppen, gemeinsamer Wiederaufbau von zerstörten Häusern, eine vorsichtige Öffnung der Politik in Richtung auf Dialog, Friedensarbeit der Frauen, besserer Schutz des Lebens in den Städten, Verantwortliche beginnen, Konflikte zwischen Armee und Bevölkerung durch Palaver zu regeln, wachsender Wille des Volkes, Frieden zu schaffen, geringere Verbitterung, durch all dies eine größere Chance für den Einsatz der Kirche.

Das staatliche Fernsehen übertrug die Eröffnung des Seminars, Aufnahmen für religiöse Radiosendungen wurden gemacht. Beim Abschlußgottesdienst verpflichteten sich viele TeilnehmerInnen zu beharrlichem, gewaltfreiem Einsatz.

Dieser Artikel wurde gekürzt der Zeitschrift "Spinnrad" 2/ Juli 1996 entnommen.

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