Vor der eigenen Türe kehren

Jericho in der Eifel

von Matthias Engelke
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Es war die bislang größte und farbenprächtigste Demonstration gegen die Nukleare Teilhabe, die Deutschland bis dahin gesehen hat: am 30. August 2008 am Atomwaffenlager in Büchel. Etwas mehr als 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland, unterstützt durch Friedensfreunde aus Belgien, den Niederlanden, England und Schweden, kamen hier zusammen.

Seit 2002 rief der Initiativkreis gegen Atomwaffen dazu auf, jährlich einmal das Atomwaffenlager zu umrunden. Auf gewaltfreie Weise – wie in der Erzählung vom Fall der Mauern von Jericho – dient dies dem Ziel, dass die deutsche Bundesregierung die nukleare Teilhabe beendet. Das Volk Israel – so in der Erzählung in Josua 6 – umrundete täglich die Mauern und am letzten, siebten Tag siebenmal. Das legte der Initiativkreis auf sieben Jahre um. So wurde im siebten Jahr vom 24. August an das Atomwaffenlager täglich umrundet. Zur – im doppelten Sinne – abschließenden siebten Umrundung kamen noch Fahrradfahrer hinzu, die als „Schrittmacher für den Frieden“, Pace-Maker gleichfalls siebenmal des Lager umrundeten.

In diesen vergangenen sieben Jahren hat sich einiges verändert:

  • die örtliche Presse verheimlicht nicht mehr die Lagerung der Atomwaffen vor Ort auch wenn sie weiterhin versucht zu verharmlosen: Rheinzeitung vom 30.8. d. J.: „Eifeler können gut mit Atomwaffen leben“;
  • es entstand Kontakt zum katholischen Pfarrer vor Ort; seit vor einigen Jahren in wenigen Monaten mehrere junge Männer, die auf dem Fliegerhorst Dienst taten, an Krebs starben, setzte ein Stimmungsumschwung ein:
  • die Bevölkerung vor Ort reagierte nicht mehr so abweisend und aggressiv wie noch im ersten Jahr;
  • die Verbandsgemeinde erstellte Auflagen ohne Gebühren zu erheben;
  • die örtliche Polizeiinspektion legte bei der Bundeswehr für die Demonstranten ein gutes Wort ein;
  • der jetzige Commodore verzichtete darauf, die den Zaun bewachenden Soldaten mit Schusswaffen auszurüsten und erwies sich damit als weise im Vergleich mit dem Innenministerium, das mit einem noch nie gesehenen Polizeiaufgebot schon Wochen vor den Veranstaltungen Unsummen ausgab;
  • die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten ist für die Beendigung der nuklearen Teilhabe, nur die C-Parteien sind – zur Schande für dieses Kürzel – noch dafür.

Schon zwei Woche zuvor kamen Jugendliche aus Korea, Japan, Russland, Türkei, USA, Israel, Schweden und Deutschland zum Camp auf einer Wiese in der Nähe des Atomwaffenlagers zusammen. Sie halfen mit, die Strukturen für ein Camp aufzubauen, das zum Ende mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufnahm. Eine holländische Gruppe, Rampenplan, die sehr schmackhaft vegetarisch kochte, sorgte für die Verpflegung. Da es ein „Mitmach-Camp“ war, gab es immer genug für alle zu tun. All die Tage immer unter der Obhut von Polizei und Kriminalpolizei in Zivil.

Am Sonntag, den 24.8. ging es mit der ersten Wochenumrundung los:
Ca. 50 Teilnehmerinnern und Teilnehmer aus der Region trafen sich an diesem Sonntag am Haupttor vor dem Atomwaffenlager. Anfangs waren die Vertreter der Polizei noch aufgeregt und angespannt – das sollte sich in den kommenden Tagen schnell legen und zu einer guten Zusammenarbeit mit der Polizei führen. Nur wenn Friedensaktivisten mit dabei waren, die von zurückliegenden Go-In-Aktionen her bekannt waren, gab es „erhöhte Aufmerksamkeit“, sprich waren Polizeihunde mit dabei.

An jedem der folgenden Wochentage trafen andere Gruppen ein: Die Bürgermeister für den Frieden, Mayors for Peace erinnerten an ihre eigenen Erfahrungen, wie sie z. T. vor 25 Jahren gegen die Demonstranten eingestellt waren und nun ausdrücklich diese Aktionen unterstützen. Der Internationale Versöhnungsbund, Ordensleute für den Frieden, Pax Christi, DFG-VK fanden zusammen. Es ergaben sich zahlreiche Gespräche, alte Freundschaften wurden gepflegt, neue geknüpft; ein Aspekt der für die Friedensarbeit in Deutschland nicht zu unterschätzen ist. Die längste Umrundung dauerte mit drei inhaltsreichen Zwischenstationen 6½, die kürzeste mit Campteilnehmerinnen und –teilnehmern 3 ½ Stunden.

Der abschließenden Umrundung am 30.8. ging eine Andacht am Haupttor und eine kleine Begrüßung voraus. Ca. 300 Demonstranten setzten sich pünktlich gegen 10.15 Uhr in Bewegung. Da alle Verkehrswege abgesperrt worden waren übernahm die Bereitschaftspolizei willig den Transport von Teilnehmerinnen und Teilnehmern die nicht mehr ganz so gut zu Fuß waren.

Inzwischen trafen über 20 Busse aus dem ganzen Bundesgebiet an der vorletzten Station ein und wurden mit einer Auftaktkundgebung begrüßt. Besonders das Statement eines jungen US-Veterans aus dem Irakkrieg ging unter die Haut. Ein Oberstleutnant aus der Bundeswehr, Jürgen Rose, rief in Zivil seine Kameraden dazu auf, dem Recht zu folgen und den Dienst an den Atomwaffen zu verweigern.

Begleitet von einer Samba-Band setzte sich der auf gut 1650 angeschwollene Zug langsam entlang dem Bundeswehrzaun in Bewegung. Am Haupttor angekommen begann die Hauptkundgebung mit Reden u.a. von Horst Eberhard Richter und europäischen Friedensaktivisten. Sie wiesen darauf hin, wie wichtig es ist, sich europaweit für die Atomwaffenfreiheit einzusetzen. Inzwischen erreichte das Podium die Meldung, dass drei belgische Aktivisten in das Lager eingedrungen waren. Trotz größter Bewachung zeigte sich: Es gibt keinen ungestörten Ablauf des Unrechts im Atomwaffenlager. Dies  kündigten die Verantwortlichen dieser Aktionen nach Abschluss der siebten Umrundung an, wenn die Bundesregierung nicht zweifelsfrei erklärt, dass Deutschland spätestens bis 2010 atomwaffenfrei sein wird. 2010 findet die nächste Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages, NVV, statt. Dabei behalten sich die bisherigen Verantwortlichen im einzelnen vor, was es heißt, dass es „keinen ungestörten Ablauf dieses Unrechts mehr geben wird“.

Noch am Abend wurden mindestens weitere 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei dem Versuch ins Lager einzudringen festgenommen.

Als Pfarrer erhielt ich noch in der Nacht Einlass in die Fahrzeughalle, in der in drei großen Metallkäfigen vier Frauen und elf Männer auf nacktem Betonboden festgehalten wurden, in der Nacht ausgerüstet allein mit Iso-Matten und mit Bettbezügen. Der verantwortliche Kriminalpolizist erwies sich als umsichtig und kooperativ.  Ein Demonstrant wurde sofort freigelassen, weil man vergessen hatte, den Grund für seine Festnahme anzugeben. Einen anderen nahm ich aus gesundheitlichen Gründen noch in der Nacht ins Camp zurück. Dennoch konnten erst am folgenden Morgen um 7.30 Uhr alle abgeholt werden: Wir begrüßten sie mit Sonnenblumen.

Derweil verfolgten noch einige Fans die ortsansässigen Bands in der Nähe des Haupttores und warteten auf Nina Hagen, die leider erst sehr spät auftrat – zu spät für die meisten der Bus-Gruppen.

Nur durch die gute Zusammenarbeit vieler Verantwortlicher der im Trägerkreis gegen Atomwaffen zusammen geschlossenen Organisationen, dem Bündnis ZUGABE sowie der Unterstützung vieler freiwilliger Helferinnen und Helfer vom Camp und aus der Umgebung war diese Aktionsserie möglich geworden. Von Art und Charakter, gewaltfrei, gewissenhaft, leidenschaftlich und hierarchiearm nahm sie auch etwas von dem vorweg, wie eine Gesellschaft im Ganzen strukturiert sein kann.

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Dr. Matthias Engelke ist Gemeindepfarrer am Niederhein und aktiv beim Initiativkreis gegen Atomwaffen und in der Internationale Fastenkampagne