Kampagne "Den Winter überleben"

von Karin Renneberg
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Friedens- und Menschenrechts­gruppen initiierten im Dezember 92 die Kampagne "Den Winter überleben". Einzelpersonen, Familien und Insti­tutionen sind aufgefordert, bosnische Flüchtlinge für einen bestimmten Zeitraum nach Deutschland einzuladen und ihnen Unterhalt und Obdach zu gewähren.

Die Initiative will auch gegenüber Par­teien und Regierung Druck für Auf­nahme von Menschen machen. Bisher sind of­fiziell 10.000 Menschen als Flüchtlinge aufgenommen worden; weitere kleine Kontingente wurden von einzelnen Bundesländern bzw. Kommu­nen aufge­nommen.

Diese offiziellen humanitären Aufnah­meaktionen muten geradezu zynisch an angesichts der Menschenschicksale im Kriegsgebiet: Allein 810.000 Flücht­linge irren in Bosnien-Herzegowina umher; in Kroatien leben bereits 627.000 registrierte Flüchtlinge. Nach An­gaben des UN-Flüchtlingskommissa­riats in Zagreb werden möglicherweise 500.000 Menschen im Bürgerkriegsge­biet den Winter 92/93 nicht überleben. Es mangelt ihnen an Medikamenten, Lebensmitteln, Brennstoff und winterfe­sten Wohnungen. Internationale Hilfs­lieferungen reichen bei weitem nicht aus und erreichen oft nicht ihre Ziele wegen Angriffen und Beschlagnahmungen durch bewaffnete Ver­bänden. Die Flucht nach Kroatien ist den Flüchtlin­gen mittlerweile ebenfalls versperrt: Die kroatischen Behörden erkennen keine Flüchtlinge mehr an.

Hier scheint in privater Initiative die einzige Möglichkeit zu bestehen, die ge­schlossene Grenze für Flüchtlinge aus Bosnien "aufzubrechen" und sie damit vor dem Tod durch Verfolgung, Hunger und Kälte zu retten. Dies ist bereits schon vielfach geschehen: Hier lebende Familien aus dem ehemaligen Jugosla­wien haben bereits über 100.000 Men­schen aus dem Bürgerkriegsgebiet EX-Jugoslawien aufgenommen. Es gilt nun die Kampagne zu verbreitern, so daß auch Menschen ohne Verwandte oder Bekannte im Ausland die Flucht mög­lich wird.

Bereits bis zu 1.000 Personen haben sich auf den Aufruf "Den Winter über­leben" gemeldet; ca. 200 davon haben sich schon  konkret bereit erkärt, bosni­sche Flüchtlinge einzuladen und für einen bestimmten Zeitraum zu versor­gen. Bereits 30 Personen sind auf diesen Weg schon im Dezember 92 in die Bun­desrepublik gelangt.

Die Einladung beinhaltet die Ver­pflichtung, die gegenüber der Auslän­derbehörde als Vorausssetzung für die Zustimmung zur Einreise gegeben wer­den muß, für einen begrenzten Zeitraum (z.B. 2 Monate), den Gästen Unterkunft und Verpflegung zu gewährleisten.

Diese Übernahme beinhaltet im Vorab für die Gastgeber einige Gänge zu deut­schen Behörden, um Verpflichtungser­klärungen und Vorabzustimmungen für die Gäste ausstellen zu lassen. Es zeigt sich inzwischen, daß die deutsche Büro­kratie sich nicht unbedingt immer ko­operativ verhält. Ist es in einigen Kom­munen möglich, die Verpflichtungser­klärung zur Gewährung von Obdach und Lebensunterhalt auf einen begrenz­ten Zeitraum zu beschrän­ken, so wird dies in anderen Kommunen nicht ak­zeptiert. Dort soll der/die Gast­geberInnen finanziell sowie räumlich für die gesamte Aufenthaltsdauer der Eingeladenen aufkommen. Vor dem Hintergrund, daß der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien leider nicht nach der dreimonatigen Visaerteilung (bis Ende März) beendet ist und danach die Flüchtlinge aufgrund ihres Dul­dungsstatus sowie der Situation in ihrem Heimatland nicht abgeschoben werden können, würde dies für die Gastgeber u.a. eine immense finanzielle Last darstel­len.

Hier zeigt sich einmal mehr die Auswir­kung der Flüchtlings- und Asyl­suchendenpolitik der dt. Regierung, de­ren Handhabung in den einzelnen Bun­desländern bzw. die konkrete Umset­zung vor Ort in Kommunen und Ge­meinden. Denn eigentlich haben privat aufgenommene Flüchtlinge, nachdem ihre EinladerInnen nicht mehr die Möglich­keit sehen, ihrer Verpflichtung nachzukommen, Anspruch auf Hilfe zum Lebensunter­halt und stehen sozial­hilferechtlich Asylbewerbern gleich. Dies wurde u.a. auf der Innenminister­konferenz vom 22. Mai 1992 beschlos­sen. Doch anschei­nend ist der Inhalt dieser Erklärung noch nicht bis in alle Büros dt. Auslän­der- und Bezirksämter vorgedrungen. Ebenfalls wird die Emp­fehlung jener Innenministerkonferenz zur Übernahme möglicher Krankenko­sten von Sozialhil­feträgern erst in eini­gen Bundesländern umgesetzt. Es ist von daher nicht ver­wunderlich, daß trotz guten Willens es vielen Menschen un­möglich erscheint, privat Flüchtlinge aufzunehmen, wenn nicht für gewisse Bereiche (z.B. Krankenkosten) die Soli­dargemeinschaft dafür eintritt.

Politischer Druck, der von unserer Seite wie auch anderen Organisationen z.B. Cap Anamur, Caritas usw. ausgeübt wird, ist dringend notwendig, um die Unterstützung von dt. Behörden als aus­führende Organe der Entscheidungsträ­ger einzufordern.

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Karin Renneberg koordiniert die Kam­pagne "Den Krieg überleben".