Kampagne: Fastenwelle - Abschiebehaft überwinden

von Detlev Beck
Initiativen
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Flucht wird es geben, solange es Krieg, Unterdrückung und Elend gibt. Weltweit sind nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes und der UN etwa 500 Millionen Menschen aus verschiedensten Gründen auf der Flucht. Die weitaus meisten Flüchtlinge fliehen dabei direkt in ihre Nachbarländer. Die immer noch reichen Länder in Europa und Nordamerika tragen so die geringste Last des Flüchtlingsaufkommens. Dennoch schottet sich die Europäische Union immer mehr gegen Menschen ab, die in West- und Mitteleuropa eine Perspektive suchen.

In diesem Zusammenhang hat auch die Bundesrepublik das Asylrecht dramatisch eingeschränkt. Mit einer gnadenlosen Politik macht die Bundesrepublik darüber hinaus den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, das Leben unerträglich und will damit einen Abschreckungseffekt erzielen. Ein Mittel dieser zynischen Politik ist die Abschiebehaft. Flüchtlinge, MigrantInnen und Asylsuchende, die nach den geltenden Gesetzen nicht in der Bundesrepublik bleiben dürfen, werden häufig in "Abschiebehaft" genommen, um ihre Abschiebung "sicherzustellen". Abschiebehaft bedeutet, daß unschuldige Menschen ins Gefängnis gesteckt werden, die weder straffällig geworden sind noch ein faires Gerichtsverfahren bekommen haben. Zum Teil werden sie durch die Staatsgewalt nur deshalb ihrer Freiheit beraubt, weil ihnen durch Behörden die für die Ausreise notwendigen Paßersatzpapiere nicht rechtzeitig ausgestellt wurden. Dies ist das Ergebnis einer Politik, die seit Jahren die Rechte von Flüchtlingen, MigrantInnen und Asylsuchenden verringert und das Asyl- und Zufluchtsrecht bis zur Unkenntlichkeit zerstört.

Seit längerer Zeit arbeitet die Gewaltfreie Aktionsgruppe DÜNE an der Idee, die verschiedenen konkreten Arbeiten von Gruppen, Initiativen, Gemeinden und Organisationen für Flüchtlinge und Asylsuchende durch eine politische Aktionsform zu unterstützen. Konkret werden soll diese Idee nun mit dem Start der Kampagne "Fastenwelle - Abschiebehaft überwinden".

Ausgangspunkt der Kampagne ist unsere Verantwortung hier in der Bundesrepublik. Es gibt vier zentrale Ursachenkomplexe, die zu Flucht und Migration führen und an denen die Menschen in unserem Land in unterschiedlicher Weise beteiligt sind. Die Bundesrepublik ist mitverantwortlich:

- als einer der führenden Rüstungsexporteure an
  Krieg und Bürgerkrieg,

- durch eine kapitalistische Wirtschaftspolitik, die
  Armut und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit in
  vielen Ländern erzeugt (auch hier bei uns),

- durch Unterstützung menschenrechtsverletzender
  Diktaturen,

- durch globale Belastung und Zerstörung der
  natürlichen Lebensgrundlagen.

Erstes Ziel der Kampagne Fastenwelle ist die Abschaffung der Abschiebehaft und damit der Abschiebeknäste. Damit verbunden ist die Forderung, ein allgemeines Recht auf Zuflucht zu diskutieren und zu entwickeln. Wir haben uns oft gefragt, ob nicht die eigentliche Forderung die Abschaffung der Abschiebungen sei und ob dies nicht als erste Forderung obenan stehen müsse. Dennoch sind wir bei dem Ziel zunächst die Abschiebehaft zu überwinden, geblieben. Dies hat zwei pragmatische Gründe: zum einen geht es uns darum, ein in absehbarer Zeit erreichbar erscheinendes Ziel zu formulieren, zum anderen wissen wir selbst auch (noch) nicht, wie denn eine Lösung der mit Flucht und Migration verbundenen Probleme aussehen könnte und wie die damit verbundenen Veränderungen - nicht nur finanzieller Art - zu bewältigen sind.

Deshalb auch die eher zurückhaltende Forderung, ein Recht auf Zuflucht erst mal zu diskutieren, zu durchdenken, auszugestalten und leider wohl erst langfristig in die politische und gesellschaftliche Realität der Bundesrepublik umzusetzen.

Grundsätzlich sind wir der Auffassung, daß jeder Mensch das Recht hat, aus ungerechten und elenden, aus ausbeuterischen und terrorisierenden Verhältnissen zu fliehen. Dieses Recht erhält aber erst dann einen Sinn, wenn die Fliehenden ein Land finden, in dem sie die Möglichkeit haben, ohne Angst und ohne Not menschlich zu leben. Daraus folgt, daß kein Land seine Grenzen für diese fliehenden Menschen verschließen darf. Trotzdem können wir in der realen Welt einer Forderung "Offene Grenzen für Alle" nach langen Diskussionen nicht viel abgewinnen, wenn nicht damit ein realisierbarer Plan verbunden ist, wie das dann in der Praxis aussehen soll.

Wir haben versucht, mit dieser Frage offen und ehrlich umzugehen; wir sind dabei an eigene Grenzen gestoßen: Schon die Frage, was wir selbst bereit sind abzugeben oder zu tun, um das (Über-)Leben der Flüchtlinge in unserer Nähe zu sichern, hat uns in unseren Forderungen bescheiden werden lassen. Aber die Tatsache, daß wir nicht wissen, wie wir die Probleme einer Politik der offenen (oder weiter geöffneten) Grenzen lösen können, heißt doch nicht, daß solche Lösungen überhaupt undenkbar sind. Sie heißt auch nicht, daß wir uns mit der existierenden Situation abfinden und an ihrer Ungerechtigkeit teilhaben müssen; wir halten es vielmehr für erforderlich, daß diese Probleme in unserer Gruppe und bei anderen Menschen bewußt gemacht und diskutiert werden mit dem Ziel, gerechte und realisierbare Lösungen zu erarbeiten und der Öffentlichkeit vorzuschlagen.

Als Aktionsform wurde das Fasten, jeweils verbunden mit anderen öffentlichen Aktionsformen gewählt. Öffentliche Fastenaktionen sind für uns ein Mittel, gewaltfrei auf das Unrecht von Abschiebehaft hinzuweisen und Ansätze zu seiner Überwindung zu fördern. Dem Fasten kann sich in der Regel jede und jeder anschließen. Fasten kann einen Tag, zwei Tage oder auch länger dauern und hat nach unserer Erfahrung konstruktive und verbindende Kraft. Fasten ist eine Möglichkeit innezuhalten und Zeit zum Nachdenken zu finden. Für uns ist Fasten ein Teil gewaltfreien Handelns und wir stellen uns vor, daß wir und andere Gruppen in Verbindung mit dem Fasten auch andere gewaltfreie Aktionen durchführen. Diese können vom Informationsstand vor den Ausländerbehörden oder Rathäusern bis zu Aktionen zivilen Ungehorsams an Abschiebeknästen reichen.

Unsere Kräfte und Mittel sind zur Zeit recht beschränkt, was bedeutet, daß die Fastenwelle vermutlich nur langsam anwachsen wird. Wir selbst führen seit einiger Zeit regelmäßige Informationsstände in der Düsseldorfer Innenstadt durch, werden mehrere Fastentage in der Zeit vom 6. bis 9. August 1998 mit thematischen Veranstaltungen zu Flucht und Asyl durchführen und hoffen, daß sich nach und nach andere Gruppen und Initiativen beteiligen. An regionale und überregionale Aktionen wollen wir erst denken, wenn sich für die Fastenwelle eine größere Anzahl von Menschen engagiert. Ein Rundbrief soll dann alle beteiligten Gruppen über die verschiedenen Aktivitäten informieren und in Verbindung bringen.

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Detlev Beck arbeitet beim Bildungswerk UMBRUCH in Köln