KDV in Italien

von Birgitta Meier

Am 16.6. wurde das neue Zivildienstgesetz gegen die Stimmen der Neofaschisten und bei Enthaltung der Lega vom italienischen Senat mit überwältigender Mehrheit angenommen. Damit das Gesetz in kraft tritt, fehlt nur noch die Unterschrift des Staatspräsidenten Scalfaro.

Das neue Gesetz hat folgende wesentlichen Verbesserungen, nachdem das alte als verfassungswidrig, weil diskriminierend, aufgehoben wurde:

- KDV ist ein Recht des Bürgers, nicht ein
  Gnadenrecht des Staates.

- Der Ersatzdienst kann als ziviler Friedensdienst
  im Ausland geleistet werden ("Weisshelme" - in der
  Diktion der ital. Friedensbewegung).

Bisher, d.h. auch während des langen de-facto gesetzesfreien Zustands mußten KDV besonders "würdig" sein, um in den Genuss der staatlichen Gnade zu gelangen, d.h., sie durften nicht nur keine (legalen) Waffen besitzen, sondern auch nicht vorbestraft sein und nichts mit Drogen zu tun haben (d.h., alle Kriminellen, Junkies usw. waren für die Armee ausersehen). Leider wurde der "gute Leumund" auch auf politische Aktionen, wie z.B. Unibesetzungen ohne nachfolgendes Strafverfahren, ausgedehnt, was ein Kommilitone von mir zu spüren bekam. Der Zivildienst war bisher nur im Inland möglich. Die bisherigen "Auslandsfriedensdienstler", davon gibt es in Ex-Jugoslawien einige, hatten entweder Glück - dann wurde ihr Friedensdienst als Zivildienst anerkannt - oder Pech - dann wurden sie als Deserteure angeklagt und in einigen Fällen auch verurteilt.

Das neue Gesetz legalisiert ausdrücklich den Einsatz im Ausland. worauf es der ital. Friedensbewegung besonders ankam. Ueber die "Weisshelme" selbst gibt es verschiedene Positionen. Der Mainstream der Friedensbewegung sieht sie transformatorisch - zunächst durchaus im Zusammenhang mit UNO-Einsätzen des italienischen Militär (Militär kann ja bekanntlich keinen Frieden schaffen), dann, durch die Kraft des Faktischen das Militär zurückdrängend, die Kultur der Gewalt durch die Kultur des Friedens ersetzend... In diesem Zusammenhang stehen Forderungen, das ital. Militär Schritt für Schritt der UNO zu unterstellen, die in der ital. Friedensbewegung recht populär sind. Daneben gibt es - minoritär - die Position, dass diese Sichtweise auf eine Legitimation des Militärs hinausläuft und die UNO auf absehbare Zeit nicht demokratisch-friedliebend zu reformieren ist.

Beide Positionen treffen sich natürlich in der Forderung nach dem Zivildienst im Ausland, wobei die Stellung zum jetzt beschlossenen Gesetz der Antwort auf die Frage gleicht, ob das Glas halb voll oder halb leer sei.

Thesen
1. Es ist ein Sieg der ital. Friedensbewegung. Er ist
   ziemlich komplett: Nur die Neofaschisten der AN
   waren dagegen (DIE wollte ja nun wirklich niemand
   im Boot), die Lega (DIE wollte auch niemand)
   enthält sich, weil sie zur italienischen Armee ein
   speziell negatives Verhältnis pflegt, wenn auch
   nicht aus pazifistischen Motiven.

2. Die beiden unterschiedlichen Wurzeln der ital.
   Friedensbewegung - die christliche
   (links-katholische) und die laizistische
   (italo-kommunistische bis italo-libertäre) - d.h.,
   die Wurzeln der regierenden Koalition - haben
   zusammengearbeitet, was nicht weiter
   verwunderlich wäre. Interessant ist, dass dieses
   Beispiel bis weit in die Rechte unangreifbar ist!
   Die Rechtskatholiken, die Kohl so stark fördert,
   dass es eine Verstimmung mit Prodi gibt - sie
   mussten zustimmen!

3. Das alles geschieht vor dem Hintergrund rasant
   wachsender KDV-Zahlen in Italien - wobei die
   legale Flucht ins Ausland noch nicht erfasst ist.

4. Eine Diskussion in der BRD (oder anderswo), ob die
   italienische Armee jetzt durch die "Weisshelme"
   ihre Legitimationsschwieriegkeiten lößt, ist recht
   differenziert zu sehen:

 a) sind die Carabinieri Armee, nicht Polizei, auch wenn jedeR UrlauberIn das anders wahrnimmt. Die Vermischung von Armee- und Polizeiaufgaben hat in Italien halt Tradition, die aus der Staatsgründung erklärt werden kann und gegen die nicht mal die Linke opponiert.

 b) Kann auch der Rest der Armee (d.h. also z.B.
 Wehrpflichtige) ohne große Debatte "im Innneren"
 eingesetzt werden. Zum Beispiel Anfang 98 in
 Neapel, als sich dort camorristischen "Familien"
 gegenseitig umbrachten, wurden dort Wehrpflichtige
 auf bewaffnete Streifengänge geschickt, um die
 Polizei zu entlasten. (Und alle meine napolitaner
 Friedens-FreundInnen fanden das richtig!)

5. Was sich in der BRD rausschält, ist ein
   Friedensfachdienst. Was in Italien "legalisiert"
   wird, ist ein "Friedens-Spontan-Dienst". Er wird
   primär männlich sein - und sehr jung. Statt
   nutzlos über Ansätze zu debattieren - vielleicht
   könnten wir sie zusammen nutzen? Uns fehlen (ganz
   ehrlich) die Leute. Möglicherweise kann das
   "spontanistische" italienische Modell helfen.

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Rubrik

Friedensbewegung international
Birgitta Meier engagiert sich im Friedensmuseum Nürnberg.