Rüstungsexporte

Kehrtwende oder „Rettung der Wehrtechnik“?

von Paul Russmann

Genau 100 Jahre nach dem Attentat von Sarajevo trafen sich rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ökumenischen Friedensschiffes in Friedrichshafen, der Partnerstadt von Sarajevo. Bevor es an Bord des Friedensschiffes ging, zog der bunte Demonstrationszug vor die Tore von Rolls Royce Power Systems im Herzen der Stadt. Die Firma stellt u. a. Motoren für Kampf- und Schützenpanzer, gepanzerte Spezialfahrzeuge, Haubitzen, Kriegsschiffe und U-Boote her. Rund um den Bodensee sind über 7.000 Menschen in Rüstungsbetrieben tätig.

Lothar Höfler von der Initiative „Keine Waffen vom Bodensee“ informierte während der Schifffahrt über die am Ufer vorbeiziehenden Rüstungsbetriebe. Höfler kritisierte vor allem, wie sehr die Rüstungsfirmen rund um den Bodensee vernetzt seien. Kirchen und Städte würden die Beziehungen zu Rüstungsbetrieben pflegen, da diese durch Sponsoring von Stadtfesten, Schulveranstaltungen u.a.m. viel Geld in der Region investieren würden.

Werner Langenbacher, katholischer Betriebsseelsorger aus Ravensburg, lenkte den Fokus vor allem auf die Beschäftigten in den Rüstung produzierenden Unternehmen: „Management, Forschung und Entwicklung, Produktion und Vertrieb stellen tödliche Güter her, die auch weltweit zum Einsatz kommen. Es betrifft uns alle, was hier in unserem Lande geschieht. Wir wollen und können nicht wegschauen.“

Langenbacher appellierte an die Beschäftigten, sich in Dialog mit den Geschäftsleitungen zu setzen und eine Umstellung auf zivile Produkte anzustreben. „Beteiligt euch an einem Dialogprozess, an dem alle – Unternehmen, Beschäftigte, Gewerkschaften, Friedensinitiativen und Kirchen – an einem runden Tisch Platz nehmen.“ Als Vorbild solle dabei die Aussage von Papst Franziskus aus einer Generalaudienz genommen werden: „Wer Waffen herstellt, ist ein Händler des Todes. Sie werden nicht glücklich sein. Werden Sie nicht weiter zu Händlern des Todes.“

Bereits 1981 erkannte der damalige katholische Bischof Georg Moser: „Ich fürchte, dass wir durch den Waffenhandel die armen Menschen in der Welt noch mehr schädigen und dass wir die militärischen Spannungen in einer unverantwortlichen Weise aufheizen. Wir sind alle politisch mitverantwortlich, und infolgedessen müssen wir alle unsere Stimme erheben.“

Doch die Lobbyisten für Rüstungsexporte in Industrie und Politik schweigen zu den negativen Folgen von Waffenlieferungen. Statt die jüngsten Ankündigungen von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zu begrüßen, Rüstungsexporte zu reduzieren, fordern die Lobbyisten „Runde Tische zur Rettung der Wehrtechnik“.

Schon länger drängt die Rüstungsindustrie massiv auf eine weitere Steigerung der Exporte. Nur so, argumentiert sie, würde ein umfassender Schutz für die Soldatinnen und Soldaten durch eine entsprechende Ausrüstung und die Existenz einer wettbewerbsfähigen nationalen Rüstungsindustrie gewährleistet. Nach unterschiedlichen Angaben werden schon heute zwischen 50 und 70 Prozent der in Deutschland produzierten Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgüter exportiert.

Doch wer Waffen und Rüstungsgüter exportiert, mit denen er die eigenen Soldatinnen und Soldaten ausstattet, setzt voraus, dass die Empfänger von Rüstungsexporten diese garantiert nie gegen die Streitkräfte ihrer Lieferanten einsetzen. Zusätzlich müssten die Empfänger den kontrollierbaren und sanktionierbaren Endverbleib in ihren jeweiligen Ländern garantieren können. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Heute schießen in Afghanistan Milizen mit Gewehren von Heckler & Koch auf Bundeswehrsoldaten mit Gewehren von Heckler & Koch.

Wer das Leben deutscher Soldaten schützen, Frieden und Freiheit verteidigen, Menschenrechte und Völkerrecht achten will, darf keine Waffen weltweit exportieren. Rüstungsexporte füllen auf Kosten der Lebensgrundlagen der Menschen in den Empfängerländern hierzulande die Geldbeutel der Aktionäre und Eigentümerfamilien von Rüstungsfirmen.

Selbst wenn man die Annahmen einer Studie des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) zugrundelegt, ergibt sich eine vergleichsweise geringe Bedeutung des Rüstungssektors für die deutsche Volkswirtschaft. Gesamtumsatz und Exportanteil liegen nach diesen nicht nachprüfbaren Angaben bei jeweils mehr als einem Prozent des Bruttoinlandproduktes und des Gesamtexportes, die Anzahl der direkt und indirekt Beschäftigten liegt um die 0,5 Prozent der Gesamtbeschäftigten.

Noch trägt Deutschland nach den USA und Russland als drittgrößter Waffenexporteur weiterhin „zu der Nichtfriedfertigkeit in der ganzen Welt bei, und zwar in einem unerhörten Ausmaß“ (Altkanzler Helmut Schmidt). Wenn es um den Export von Panzern geht, lag Deutschland in den letzten fünf Jahren sogar auf dem zweiten Platz. Und kein Land exportierte in diesem Zeitraum mehr U-Boote als die Bundesrepublik. Gut sechzig Prozent aller Genehmigungen für Kriegswaffen und sonstige Rüstungsexporte werden mittlerweile an Drittstaaten außerhalb der NATO und der EU erteilt.

Besonders skandalös ist der Export von sogenannten Kleinwaffen wie Gewehren, Maschinenpistolen oder Handgranaten aus Deutschland. Durch ihren Einsatz werden die meisten Menschen weltweit getötet: Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) sterben bei bewaffneten Konflikten rund um den Globus täglich 1000 Menschen durch Kleinwaffen. In den letzten zehn Jahren genehmigte die Bundesregierung den Export von Kleinwaffen, Kleinwaffenteile und Kleinwaffenmunition im Wert von 877 Millionen Euro. 2013 war Deutschland weltweit der zweitgrößte Exporteur von Kleinwaffen.

Ob es zu einer Kehrtwende in der deutschen Rüstungsexportpolitik kommt, können wir im Herbst 2014 sehen, wenn der 1. Halbjahresbericht zum Rüstungsexport der Großen Koalition veröffentlicht wird. Die notwendige Kehrtwende wird nicht ohne einen Perspektivwechsel gelingen. Der Export von Rüstungsgütern ist zuerst unter friedensethischen Kriterien zu bewerten, ähnlich wie die Anwendung von Gewalt selbst. Entwicklungs-, friedens- und sicherheitspolitische Erwägungen sind im „Gemeinsamen Standpunkt“ der EU vorgegeben, den die Bundesregierung in ihre Politischen Grundsätze aufgenommen hat. Es geht ausdrücklich nicht um Arbeitsplätze, um Standortfragen oder um den Erhalt einer wettbewerbsfähigen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie.

Niemand, der sich heute gegen Rüstungsproduktion und Waffenhandel engagiert, hat die Idylle einer konfliktfreien Welt vor Augen. Aber er wendet sich gegen einen Realismus, der einigen wenigen ein waffengeschütztes Paradies bringt und allen anderen die Hölle. Es geht um eine Welt, in der Konflikte auf andere als auf mörderische Weise ausgetragen werden.

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