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(K)Eine Zeit für Großdemonstrationen?
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Es gibt viele Wege, um politisch Einfluss zu nehmen. Große Demonstrationen sind es aktuell nicht.
500.000 Menschen sollen es gewesen sein, die vor vierzig Jahren – am 22. Oktober 1983 – im Bonner Hofgarten gegen den so genannten NATO-Doppelbeschluss demonstrierten. Zu einer Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu-Ulm kamen am selben Tag weitere rund 250.000 Menschen. Auch in Hamburg und anderen Städten gab es große Friedensdemonstrationen. Zwanzig Jahre später gingen am 15. Februar 2003 in Berlin eine halbe Million Menschen gegen den Irak-Krieg auf die Straße. Und weitere neunzehn Jahre später war es der Krieg in der Ukraine, der am 27. Februar 2022 hunderttausende Menschen in der Bundeshauptstadt demonstrieren ließ.
Immer wieder gab es in den vergangenen Jahrzehnten große Antikriegs-Demonstrationen. Viele davon sind fester Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der deutschen „Friedensbewegung“ und wecken bei vielen Aktiven – gerade bei denjenigen, die bei den Aktionen dabei waren – Sehnsüchte: So viele Menschen für Frieden auf den Straßen!
Und immer wieder werden Versuche unternommen, an die damaligen Großdemonstrationen anzuknüpfen. Einige Einzelpersonen oder Gruppen erstellen einen Aufruf, es gibt Flugblätter, Plakate, eine Website – die Mobilisierung läuft. Und lokale Friedensgruppen setzen ihre Kapazitäten dafür ein, hinzufahren und organisieren Busse und Zugfahrten. Doch am Ende bleiben die Demonstrationen vergleichsweise klein. Wenn zehn- bis zwanzigtausend Menschen für Abrüstung und Verhandlungen im Ukraine-Krieg demonstrieren, wie etwa am 25. November 2023 geschehen, tangiert das die regierenden Politiker*innen – egal ob in Deutschland, der Ukraine oder Russland – nicht. Es zeigt vor allem die Schwäche der Mobilisierungsfähigkeit der „Friedensbewegung“.
Nostalgie ist der Antrieb, zu „Großdemonstrationen“ aufzurufen, die dann nicht wirklich groß werden. Emotionale Betroffenheit war es, die in der Vergangenheit zu den tatsächlichen Großdemonstrationen geführt hat: Atomraketen, die drohten, „im Hinterhof“ der Menschen stationiert werden, der schlicht völkerrechtswidrige und auf Lügen aufgebaute Irak-Krieg der USA und die großangelegte Invasion Russlands auf einen nicht weit von Deutschland entfernten Staat, dessen Bevölkerung sich zunehmend Richtung EU orientierte. Diese Emotionalität ist von der „Friedensbewegung“ – zumindest in ihrem aktuellen Zustand – kaum gezielt zu erzeugen (die Umwelt- und globalisierungskritische-Bewegung schaffte es beim vor vielen Jahren geplanten Freihandelsabkommen TTIP über das „Chlorhühnchen“, die „Friedensbewegung“ schafft dies nicht mal bei Atomwaffen).
Es braucht langfristige Arbeit
Wenn also keine Versuche von „Großdemonstrationen“ – was denn dann? Die Frage des Ziels sollte die des Mittels, um es zu erreichen, bestimmen. Möchte ich die Öffentlichkeit auf die massive Aufrüstung der Armee bei gleichzeitigen Sparmaßnahmen im sozialen Bereich aufmerksam machen, kann auch schon eine kleine, spektakuläre Aktion zu Aufmerksamkeit führen: Über Medien – sowohl die eingeladene Presse als auch die eigene Medienarbeit über Social Media – können viele Menschen erreicht werden. Möchte ich die Bundesregierung dazu bewegen, endlich die Waffenexporte an die Ukraine einzustellen, können direkte Gespräche mit Vertreter*innen der Regierungsparteien effektiv sein – ganz ohne eine breite Öffentlichkeit kann politisch Einfluss genommen werden (was am Ende vielleicht sogar mehr bewirkt als tausende Menschen zu mobilisieren). Und um „direkt“ etwas zu bewegen, kann Ziviler Ungehorsam ein Mittel sein: Warum nicht mal einen Panzertransport blockieren?
Politische Veränderungen lassen sich hingegen oft nur durch langfristige Arbeit erzielen. Die größeren (aber nicht großen) Friedensdemonstrationen der letzten Jahre waren oft kaum oder gar kein Bestandteil größerer Kampagnen – sie wurden organisiert, fanden statt und danach kam nichts mehr. Nicht selten gingen sogar die Organisator*innen wieder getrennter Wege und Gruppen arbeiteten nicht gemeinsam weiter. Statt langfristiger Kampagnen zum Erreichen politischer Ziele, in denen Demonstrationen ein Teil – aber eben auch nur ein Teil von vielen – sind, stand die Demonstration als Schlaglicht allein. Auch das sollte einmal überdacht werden.
Es gibt viele Möglichkeiten, etwas für eine bessere – gewaltfreie – Welt zu tun. Über zehntausend Menschen in Berlin zu einer Friedensdemonstration zu bewegen, ist eine respektable Leistung. Der politische Einfluss sollte dennoch kritisch analysiert und die Frage gestellt werden: Sind solche Demonstrationen aktuell eine gute Aktionsform, um etwas zu bewegen? Immerhin sollten sie keine „Selbstbespaßung“ sein. Daher: Großdemonstrationen, wenn es Zeit dafür ist und die Menschen emotional ergriffen sind. Ansonsten sollten andere Aktionsformen gewählt werden. Oder? Fight me!