6x jährlich informiert unsere Zeitschrift, das FriedensForum, über Aktionen und Kampagnen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu.
Kirche in Brandenburg: Ziviler Friedensdienst
Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg hat im Oktober 1991 vorgeschlagen, daß für friedensfördernde und gewalthemmende Einsätze im In-und Ausland ein "Ziviler Friedensdienst" gebildet werden solle. Um diesen Plan zu befördern, hat Bischof Dr. Martin Kruse sich im März 1992 an die Gemeinden und Kirchenkreise, die Jugendorganisationen der Kirche und an kirchliche und nichtkirchliche Friedensorganisationen gewandt und um Stellungnahmen gebeten.
In seinem Schreiben hatte er darauf hingewiesen, daß es hier um eine "Alternative zum Einsatz bewaffneter Gruppen in Konfliktsituationen und Krisengebieten" gehe. Damit dieser Dienst mit Aussicht auf Erfolg geleistet werden könne, sei "eine gründliche Ausbildung in gewaltfreier Konfliktaustragung im allgemeinen und in Sozialer Verteidigung im besonderen" erforderlich.
Das Schreiben versuchte deutlich zu machen, daß es hier nicht um eine Variante des zivilen Ersatzdienstes für Kriegsdienstverweigerer und auch nicht nur um einen weiteren freiwilligen sozialen Dienst, sondern um einen gefahrvollen Dienst handle, der an Stelle von bewaffneten Einsätzen Frieden stiften und Bedrohten helfen solle. Es gehe um eine verläßliche Organisation, die im In-und Ausland zu Einsätzen bereit sei.
Das Schreiben des Bischofs fand vielfältig Antwort. Die Kirchenleitung wird sich bemühen, die Antworten zu dokumentieren und detailliert auszuwerten. Dies wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, da auch noch laufend weitere Zuschriften eingehen und die öffentliche Diskussion breitere Kreise zieht.
Bisher waren alle Antworten sich darin einig, daß es sinnvoll sei, zum gewaltfreien Handeln auszubilden, und daß es wichtige, vielfältige Aufgaben für solchermaßen Ausgebildete gebe.
Die Kirchenleitung hatte es in ihrem Beschluß vom Oktober 1991 und dem Anschreiben vom März 1992 noch offen gelassen, welche organisatorische Form der Zivile Friedensdienst annehmen und in welchem rechtlichen Verhältnis er zur allgemeinen Wehrpflicht stehen solle. Einige Schreiben haben auch zu diesen organisatorischen Fragen praktische Vorschläge gemacht, andere haben die Kirchenleitung um Präzisierung gebeten. Kritiker der allgemeinen Wehrpflicht haben vor einem neuen "Zwangsdienst" gewarnt und auf der Freiwilligkeit der Ausbildung und der Einsätze bestanden. Die Kirchenleitung geht davon aus, daß die Entscheidung für eine Ausbildung zur gewaltfreien Konfliktaustragung freiwillig ist, daß es jedoch für die Ausgebildeten eine verlässliche Verpflichtung zur Einsatzbereitschaft gibt.
In mehreren Schreiben wurde darum gebeten, daß die Kirche selbst (Mit-)Träger des Zivilen Friedensdienstes werde und möglichst rasch mit der Ausbildung beginne.
Die Kirchenleitung ist für alle bislang eingegangenen Einwände und Vorschläge dankbar und sie hofft, daß auch diejenigen, welche abweichende Vorstellungen entwickelt haben, nach der folgenden Präzisierung zumindest deutlicher sehen, warum die Kirchenleitung sich den Zivilen Friedensdienst so und nicht anders wünscht, wobei sie allerdings auch die politische Durchsetzung und Finanzierung im Auge behalten muß. Manche Fragen müssen noch offen bleiben. Auch zur (Um)benennung des Zivilen Friedensdienstes wurden Vorschläge gemacht, doch die meisten Schreiben haben die zunächst versuchsweise gewählte Bezeichnung übernommen.
Hier wie in anderen Fragen kann weiter beraten werden, und die Kirchenleitung wird ihre Vorstellungen auch nicht offiziell an die Evangelische Kirche in Deutschland weiterleiten, ohne zuvor all denjenigen, die ihr geschrieben haben, erneut die Möglichkeit zu einer Stellungnahme zu geben.
Die folgenden Überlegungen haben in der Kirchenleitung Zustimmung gefunden. Die Kirchenleitung lädt die Synode und alle Interessierten ein, die Erörterung fortzusetzen unter Einbeziehung dieser Überlegungen.
Der Zivile Friedensdienst soll zunächst in kleineren Versuchseinheiten aufgebaut werden und aus beruflichen Mitgliedern und für diesen Dienst optierenden Wehrpflichtigen bestehen. In einigen Jahren könnte der Zivile Friedensdienst in seinem Umfang einer Armee von Berufssoldaten, Wehrpflichtigen und Reservisten durchaus vergleichbar sein. Das demokratische Interesse an gewaltfreier Konfliktbearbeitung und solidarische Hilfeleistung läßt sich nicht an wenige Spezialisten delegieren, so wichtig diese für bestimmte Aufgabengebiete im In-und Ausland auch sein mögen.
Der Zivile Friedensdienst soll aus einem Kern von hauptamtlichen Männern und Frauen bestehen. Diese Aufbauorganisation soll möglichst bald in der Lage sein, sich in einigen Konfliktfeldern einzusetzen, um Erfahrungen zu sammeln. Sie soll aber auch damit beginnen, Wehrpflichtige und Freiwillige, die sich für einen einjährigen Dienst melden, so auszubilden, daß sie vornehmlich im Inland aktiv werden können. Den "Einjährigen" soll aber ähnlich wie Soldaten die Möglichkeit offen stehen, sich nach Bedarf auch für einen länger dauernden Dienst zu verpflichten. Bei den Freiwilligen kann es sich um Männer und Frauen handeln. Die "Einjährigen" sollen nach Ablauf ihrer Dienstzeit nur eingeschränkt - bei dringendem Bedarf und in der Nähe ihres Wohnorts - zu Fortbildungskursen und Einsätzen verpflichtet sein - bei entsprechender Aufwandsentschädigung.
Solange es die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland gibt, sollen alle Wehrpflichtigen die Wahl haben zwischen der militärischen Ausbildung und der Ausbildung für den Zivilen Friedensdienst. Wehrpflichtige, die sich für den Zivilen Friedensdienst entscheiden, sollen keiner besonderen Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bedürfen, weil sich die Verweigerung des Militärdienstes aus einer Ausbildung zum verlässlichen gewaltfreien Handeln von selbst ergibt. Der Einsatz von militärischen Einheiten und Einheiten des Zivilen Friedensdienstes muß deutlich getrennt sein.
Der Zivile Friedensdienst von Wehrpflichtigen darf nicht länger dauern als der Militärdienst, da er nicht weniger anstrengend ist als der Militärdienst und beim Zivilen Friedensdienst mit Fortbildungskursen und Einsätzen zu rechnen ist.
Neben dem Zivilen Friedensdienst muß es auch weiterhin die Möglichkeiten der Kriegsdienstverweigerung und des Zivilen Ersatzdienstes geben, weil wahrscheinlich einer noch nicht abschätzbaren Zahl von Kriegsdienstverweigerern ein karitatives Engagement näher liegen wird als eine Ausbildung zur gewaltfreien Konfliktaustragung, zu der niemand genötigt werden kann und soll.
Träger des Zivilen Friedensdienstes sollen staatliche Einrichtungen sein. In einigen Konfliktsituationen könnten jedoch auch freie Träger - vergleichbar den Wohlfahrtsverbänden - sich mit Aussicht auf Erfolg engagieren. Die Modalitäten einer solchen Zusammenarbeit sind noch zu untersuchen.
Da der Zivile Friedensdienst im Ausland und im Inland, auf der Ebene des Bundes und der Länder zum Einsatz kommen soll, dürfte es Schwierigkeiten bereiten, den Zivilen Friedensdienst klassischen Ministerien zuzuordnen. Denkbar wäre z.B. den Zivilen Friedensdienst dirket dem Bundeskanzler und den Ministerpräsidenten der Länder zuzuordnen, wodurch auch der besondere Auftrag, in Krisensituationen schnell und unbürokratisch tätig zu werden, unterstrichen würde. Die staatlichen Träger müßten sich dann mit den (eventuellen) nichtstaatlichen Trägern des Zivilen Friedensdienstes bei den Einsätzen abstimmen bzw. die Aufgabengebiete unter sich aufteilen.
Der Zivile Friedensdienst soll im Blick auf seine geistigen und praktischen Grundlagen auf einer breiten "Alphabetisierung in gewaltfreier Konfliktaustragung" aufbauen, die Teil des Schulunterrichts werden sollte.
Das Ziel der Ausbildung für den Zivilen Friedensdienst soll es sein, vielfältige Einsätze zu ermöglichen, weil die künftigen Konflikte sich nicht vorhersehen lassen. Im Blick auf die augenblickliche Eskalation von Gewalttaten gegen Ausländer könnte eine Form des Einsatzes des Zivilen Friedensdienstes sein, daß er in Flüchtlingsheimen und ihrer Umgebung tätig wird, um Spannungen im Vorfeld abzubauen und im Notfall zu gewaltfreier Selbstbehauptung und Solidarität anzuleiten.
Im Ausland könnten erfahrene und vornehmlich hauptamtliche Angehörige des Zivilen Friedensdienstes in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen Aufgaben übernehmen, für die bisher nur bewaffnete "Blauhelme" zur Verfügung standen. Eine spezielle Ausbildung im aktiven Vermitteln und in der Deeskalation von Konflikten könnte z.B. bei der Überwachung des demokratischen Charakters von Wahlen wichtig werden. Auch zrückkehrenden Flüchtlingen könnte der Zivile Friedensdienst zu Seite stehen.
Obwohl Deutschland zur Zeit und in absehbarer Zukunft weder von außen durch eine Aggression, noch von innen durch einen Staatsstreich bedroht ist, soll der Zivile Friedensdienst im Rahmen der Entwicklung und Einübung der Sozialen Verteidigung gegen solche militärischen Bedrohungen auch diejenigen Konfliktfälle berücksichtigen, die im Vordergrund der militärischen Ausbildung stehen. solche Konzepte und Ausbildungsgänge könnten anderen Demokratien, die von außen oder innen akut bedroht sind, zugute kommen.