Kirchenasyl in Augsburg

Von November 1989 bis August 1990 waren sieben von Abschiebung bedrohte Bengalen im Asyl einer Augsburger Kirchengemeinde. Die Do­kumentation der Vorgänge findet sich jetzt in einer beeindruckenden Schrift, die neben der Chronologie der Ereignisse, Presseausschnitten und rückblickenden Bewertungen vor allem auch ganz persönliche Ein­drücke festholt. Die Broschüre (76 S.) kann werden bei: Unterstützer­kreis Kirchenasyl, Kuratie St. Johannes, Bahnstr. 29, 8900 Augs­burg 22. Wir dokumentieren drei kurze persönliche Zeugnisse, die Eindrücke von Personen festhalten, die bei der Asylgewährung mitge­wirkt mit gewirkt haben:

 

"Wir sind Freunde geworden" An­dreas Schacht, 14, Schüler
Im Zeitraum zwischen dem 5. Novem­ber 1989 und dem 25. August 1990 wa­ren wir fast jeden Tag in der Kuratie. Wir waren dort zum Tischtennis-, Fe­derball-, Basketball- und Fußballspielen, zum Essen und Ratsachen mit den Ben­galen und mit den Leuten, die in die Ku­ratie kamen. In dieser Zeit lernten wir viele Leute kennen und schlossen viele Freundschaften mit denen, die man bis­her nur vom Sehen kannte. In den Weihnachtsferien hatten wir mehrmals Gelegenheit, in der Kuratie zu über­nachten. Dies war genauso ein Erlebnis wie das Zelten vor der Kuratie ihn den Sommerferien.

Ebenfalls hat sich mein Verhältnis zu allen Ausländern und Asylanten geän­dert. Als die Bengalen am 5. November vor dem Gottesdienst vor der Kirche standen und Flugblätter verteilten, war ich nicht sicher, wie ich über die Sache denken sollte, da ich mit Asylanten noch nie so direkten Kontakt hatte. Aber in diesem fast zehn Monaten sind wir gute Freunde geworden. Dadurch fielen die Vorurteile, die ich Ausländern ge­genüber hatte, sofort weg. Dagegen hat sich die Meinung über manche Politiker sehr verschlechtert. Als ich gesehen habe, wie im Landtag die Petitionen ganz einfach abgelehnt werden, war ich sehr enttäuscht und sauer.

Durch Filme, Vorträge, Veranstaltung und durch die Berichte der sieben Ben­galen wurden wir über Bangladesch und über die Probleme in diesem Land in­formiert. Bei den großen Festen und Feiern waren wir fast immer dabei und hatten viel Spaß. Darum sind wir sehr traurig, daß die Bengalen nun weg sind und daß es nun wieder ruhiger wird in der Kuratie. Trotzdem sind wir froh, daß sie in Niedersachsen erst einmal in Si­cherheit leben können.

"Kirchenasyl - eine Episode?", Maria Siegmund, 41, Hausfrau und Werner Siegmund, 46, Ltd. Regierungsdirek­tor
War das Kirchenasyl, das den sieben Männern aus Bangladesch fast zehn Mo­nate gewährt wurde, für uns und unsere Familie nur eine Episode in unserem Leben, die vorbei und erledigt ist? Oder hat sich in unserem Denken und Fühlen und der Einstellung anderen gegenüber etwas geändert und nachhaltig einge­prägt?

Ja, wir haben uns verändert, wir, die Erwachsenen und auch die Kinder. Die Duldung in Deutschland für die bengali­schen Freunde, zu denen "die Sieben" im Laufe der Zeit für uns geworden sind, dieses Ziel konnte der Unterstüt­zerkreis leider nicht erreichen. Wir ste­hen aber vor keinem Scherbenhaufen, aller Einsatz hat sich trotzdem gelohnt. Wir sind alle kritischer geworden, ins­besondere gegenüber den sogenannten "Staatstragenden Personen". Wir haben erfahren, welche Kräfte in uns stecken, wir haben erkannt, auf wen Verlaß ist. Durch die sehr intensive Beschäftigung mit dem Problem Asyl und den Lebens­bedingungen in der Dritten Welt haben wir die Zusammenhänge zwischen der dortigen Armut und dem Reichtum der Alten Welt entdeckt. Wir spürten einen Teil der Verantwortung und versuchten, ihr gerecht zu werden. Es wurde aus un­politischen Kirchengängern politisch denkende Bürger. Ja, wir haben uns ver­ändert.

"Wertvolle Erfahrungen" Stefan Hoiß, 38, Priester
Ein paar Bemerkungen aus der Sicht ei­nes Seelsorgers, in dessen Gemeinde "Kirchenasyl" stattgefunden hat. Ich lasse hier einmal beiseite, all die vielen wertvollen menschlichen Erfahrungen, die ich im Laufe von neun Monaten bei Essen, Spiel und Gespräch mit unsere bengalischen Gästen machen durfte. Ich lasse beiseite auch die bestürzenden Einblicke, die ich in den Alltag von Asylbewerbern bekommen habe. Ich möchte drei Punkte ansprechen, die mir bemerkenswert scheinen. Da ist zum einen die Erfahrung, die wir als Kir­chengemeinde machen durften. Wir ha­ben uns auf etwas eingelassen, wo wir nicht wußten, wie es weitergeht, und welche Chancen es für einen positiven Ausgang gibt. Wir haben darauf ver­traut, daß uns von Situation zu Situation die nötigen Kräfte zuwachsen, und sind nicht enttäuscht worden. Ich hoffe, daß dies uns und auch anderen Mut macht.

Ein zweiter Punkt. Trotz vieler positiver Stimmen und vieler spontaner Unter­stützung, mache ich mir keine Illusio­nen, daß der Großteil unserer Bevölke­rung in der Asylfrage gleichgültig bis ablehnend eingestellt ist. Viele sind er­schreckend dürftig informiert, bei man­chen werden tiefsitzende Ängste und Emotionen wach, die zum Teil auf ei­gene Erlebnisse zurückgehen, zum Teil das Ergebnis bewußter Stimmungsma­che sind. Für mich bleibt es eine wich­tige Frage, wie wir zu einem sachliche­ren Miteinander-Reden in diesem Punkt kommen können.

Ein Drittes. "Haltet euch da raus, Asyl ist Sache der Politik!" Mehr als einmal habe ich diese Bemerkung gehört. Mir ist in dieser Zeit immer klarer gewor­den, daß mein Christsein Auswirkungen hat auf jeden Lebensbereich, auch auf die Politik, für die ich mitverantwortlich bin. Auch sie muß sich an christlichen und biblischen Maßstüben messen las­sen. So sehr auch ich den Rechtsstaat befürworte, man darf ihn nicht so weit zum Götzen erheben, daß man blind wird für seine Auswüchse und seine Re­formbedürftigkeit. Kann es sein, daß ich als Christ auch in unserem Land in eine Lage komme, vom Gewissen her anders entscheiden zu müssen als die staatliche Obrigkeit Dieser Frage sollten wir in­tensiver nachgehen; als einzelne, aber auch als gesamte Kirche.

Pfarrer und Helfer im Visier
In Bayern ist ein Streit darüber entbrannt, daß immer wieder Kirchen abgelehnten Asylbewerbern, denen die Abschiebung droht, Zuflucht gewähren. Innenminister Edmund Stoiber (CSU) hat das Kirchenasyl scharf attackiert, die evangelische Kirche wies die Vorwürfe zurück. In Nürnberg wurde ein Pfarrer sogar mit einem Strafbefehl überzogen, weil er einen Flüchtling schätzte.

Vor zwei Wochen hatte Stoiber "Kirchenasyl" mit Hausbesetzungen verglichen und denen, die "Kirchenasyl" dulden oder initiieren, mangelndes Rechtsbewußtsein unterstellt. Er spreche den Verfechtern eines "Kirchenasyls" zwar nicht humanitäres Engagement ab, wehre sich aber "gegen ihre moralische Hybris und Rechtsblindheit". Auch Kir­chen seien "keine rechtsfreien Räume".

Bezug genommen hat der bayerische Innenminister auf den spektakulären Fall der vierköpfigen türkischen Familie Öztürk, der ein Pfarrer in einer unter­fränkischen Gemeinde vor drohender Abschiebung und Folter in der Türkei Asyl gewährte. Trotz einer mündlichen Zusicherung des Innenministeriums an den Evangelischen Landesbischof Jo­hann Hanselmann, die Familie dürfe bis zu einer Entscheidung des Landtags-Pe­titionsausschusses bleiben, wurden die Öztürks abgeschoben. Laut amnesty in­ternational wurden sie daraufhin drei Tage in türkischem Polizeigewahrsam festgehalten und geschlagen. Seinerzeit hatte vor allem eine Betreuerin des Dia­konischen Werks Schweinfurt den Un­terschlupf in der Kirche initiiert.

Den politischen Angriffen Stoibers im Landtag gegen die "Verfechter" von "Kirchenasyl" folgte eine Reaktion von höchster Kirchenseite. Münchens evan­gelischer Oberkirchenrat, Gerhard Strauß, verwahrte sich gegen Stoibers Absicht, kirchliche Initiativgruppen "in die Nähe von Rechtsbrechern zu rüc­ken". Stoibers Staatssekretär Günter Beckstein konterte: Wer den Vollzug einer richterlich bestätigten Entschei­dung boykottiere, stelle die Grundlagen des Rechtsstaats in Frage.

Bereits im vergangenen Jahr hat der Leiter des Bundesamts für die Anerken­nung ausländischer Flüchtlinge in Zirn­dorf, von Nieding, sich beim Präsiden­ten des Diakonischen Werks in Deutschland, Karl Heinz Neukamm, über die Asylbetreuerin des Diakoni­schen Werks in Schweinfurt, Christina Ziegler, beschwert. Sie habe wiederholt behauptet, weder beim Bundesamt noch beim Verwaltungsgericht in Ansbach sei der Fall Öztürk umfassend geprüft wor­den. Einer Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk sei es nicht dien­lich, schrieb von Nieding, wenn dessen Mitarbeiter die Behörden und Gerichte in ihrer Arbeitsweise herabsetzen. Neu­kamm bat jetzt das örtliche Diakonische Werk um Stellungnahme zu den Vor­würfen. Die liegt bereits seit längerer Zeit vor. Die Ausländerbetreuerin hatte wiederholt betont, sie habe keinesfalls "Rechtsbruch" im Sinn gehabt, sondern lediglich das von Folter bedrohte Schicksal der türkischen Familie.

Warum die Abschiebung ein so langes Nachspiel hat, erklärt sich wohl kaum aus der Anzahl der Fälle von "Kirchenasyl". In Bayern waren es im letzten Jahr lediglich drei. In Nürnberg mußten ein Mitglied eines Asyl-Ar­beitskreises und ein Pfarrer, der einem Bengalen Asyl in seiner Kirche gewährt hatte, gar einen Strafbefehl über sich er­gehen lassen. Nach dem neuen Auslän­dergesetz und dem Asylverfahrensge­setz wird strafrechtlich belangt, wer einen rechtskräftig abgelehnten und ab­zuschiebenden Asylbewerber dem Zu­griff der Exekutive entzieht oder ihn dazu anstiftet. Im Wiederholungsfall drohen bis zu drei Jahre Haft.

Daß viele abgelehnte Asylbewerber mit gutem Grund die Rückkehr in ihre "Heimat" fürchten und Schutz in den Räumen der Kirche suchen, belegt der Fall des 31jährigen jugoslawischen Staatsbürgers albanischer Herkunft, Anid Rushi. Er wurde Anfang Februar unmittelbar nach seiner Abschiebung von der serbischen Polizei in der Pro­vinz Kosovo zu Tode geprügelt. Anfang des Jahres hatte eine Gruppe von über 100 Asylsuchenden, vor allem Roma aus Jugoslawien und Rumänien, in der Tübinger Stiftskirche über eine Woche lang Zuflucht gesucht. Anid Rushi ge­hörte zu ihnen.

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