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Eine (fast) unmögliche Partnerschaft
Klimabewegung und Friedensbewegung
vonFriedensbewegung und Klimabewegung – das müsste doch zusammenpassen. Die Energie der Jugend und die Erfahrungen des Alters – welch eine Kombi, was für ein Bild für die Medien! Doch was sein könnte, ist nicht immer das, was ist.
Die Fakten sind klar. Der CO2-Ausstoß der Rüstungsindustrie liegt nach soliden Schätzungen bei 5 % der weltweiten Emissionen und damit auf Platz vier der größten Klimasünder. Im Falle von größeren Kriegen kommen sicher nochmals 3-4% dazu. Die Rauchschwaden in Gaza und in der Ukraine sprechen eine eindeutige Sprache. Aus internationalen Abkommen, z.B. dem Pariser Klimaschutzabkommen 2015, wurde die CO2-Bilanz des Militärs ausgeklammert. Ansonsten würden z.B. die USA und China noch deutlich schlechter abschneiden. Nach einem Krieg muss wieder aufgebaut werden. Das geschieht mit Zement. Die Zementindustrie ist mit 9% Anteil an der CO2-Emission beteiligt, noch vor dem Auto- und Luftverkehr. Die Bauindustrie global hat sogar 40% Anteil am CO2 Ausstoß – weltweit. Kriege sind Brandbeschleuniger der Bauindustrie.
Der Finanzen verschlingende Rüstungsmoloch ist bekannt. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ist erst der Anfang und das Geld fehlt anderswo, z.B. im sozialen Bereich, für die Klimatransformation, aber auch dem Klimaschutz. Ein oft unterschätzter Faktor ist die mentale gesellschaftliche Aufrüstung. Wer sich auf kriegerische Auseinandersetzung einstellt, dem sind alle anderen gesellschaftlichen Notwendigkeiten sekundär.
Die Fakten sind eindeutig. Und eigentlich könnte man erwarten, dass Klimaaktivisti bei den Friedensdemonstrationen mitmachen und dafür mobilisieren, wie es für Friedensbewegte eine Selbstverständlichkeit sein sollte, bei Klimaaktionen dabei zu sein. Doch auf den Friedensdemos ist die Altersgruppe Ü60 fast unter sich. Und bei den Klimaaktivitäten dominiert die Generation Z der 1995-2007 geborenen.
Woran liegt das? Warum tun wir uns mit der Verbindung so schwer? Oft sind kulturelle Faktoren stärker als Argumente. Bewegungsmilieus sind kulturell sehr unterschiedlich, auch wenn sie sich inhaltlich gar nicht so fernstehen. Die schon legendäre Zersplitterung der linken Bewegungen ist dafür ein bekanntes Beispiel. Es gilt: Cultur beats structur. Wo nun liegen kulturelle Unterschiede in der Friedens- und der Klimabewegung?
Beobachtungen aus Klima- und Friedensbewegung
- In der Klimabewegung (KB) spielen wissenschaftliche Grundlagen eine stabil verankerte Rolle. „Follow the Science“ ist eines ihrer Mottos. Die regelmäßigen evidenzbasierten Klimaberichte sprechen eine eindeutige Sprache. Demgegenüber finden sich z.B. im Zusammenhang mit dem Coronathema, aber auch bei esoterischen Friedenskonzepten oder Verschwörungserzählungen in der Friedensbewegung (FB) vielfach Einstellungen, die die Wissenschaft in Frage stellen oder ihr skeptisch gegenüberstehen. Aktivisti der KB sind davon zumindest irritiert.
- Immer wieder beobachte ich eine gewisse Konkurrenz um die Frage, was die größere apokalyptische Bedrohung darstellt: Ein möglicher (Atom-) Krieg oder die Kipppunkte des globalen Klimas. Die unterschiedlichen Dynamiken spielen hier eine Rolle. Kriege „brechen (in der Wahrnehmung Vieler) plötzlich aus“. Die Klima-Katastrophe hat global betrachtet, etwas Schleichendes. Einzelne Kipppunkte und allmähliche Prozesse lassen sich in der Wahrnehmung besser beeinflussen. Die schleichenden Prozesse, die zu Kriegen führen, werden hingegen wenig wahrgenommen.
- In der Konzeption für erfolgreiche Soziale Bewegungen von Bill Moyer werden vier Akteursgruppen genannt. Neben den Change Agents bzw. Organizer*innen, die Aktivisti, die aufgeschlossenen Bürger*innen und die Reformer*innen. Alle vier Rollen sind in der KB in relevanten Größen vorhanden und treiben das Thema tagtäglich öffentlich voran. In der FB sind alle vier Rollen nur begrenzt vorhanden, jedenfalls nicht so stark, dass sie öffentlich relevant sichtbar werden. Die KB ist als Bewegung aktiv und wahrnehmbar. Die FB ist hingegen weitgehend unsichtbar und bemüht sich in der Sprache von Bill Moyer um die „reifenden Bedingungen“ in Phase 1-3 sozialer Bewegungen, während die KB eher in den fortgeschrittenen Phasen 6-7 verortet wird. Die Disparität der Bewegungsphasen macht es schwierig für FB und KB, sich konzeptionell aufeinander zu beziehen.
- Im Mittelpunkt großer Teile der KB stehen aktuell Aktionen, Aktionen, Aktionen. Wo und wann können wir die nächste Aktion machen, was kann der nächste aktionistische Hotspot werden, Garzweiler, Hambach, Lützerath, Berlin, Kassel usw.? In der FB dominieren analytische und theoretische Debatten. Was ist aktuell das wichtigste Thema, z.B. wer ist schuld an der NATO-Osterweiterung: Der Imperialismus der USA oder das System Putin? Entsprechend zäh und langwierig gestaltet sich auch die Abstimmung über gemeinsame Aufrufe in der FB. Zu größeren öffentlichen Aktionen dringt die FB mit Ausnahmen der Ostermärsche und einzelnen Demonstrationen oftmals gar nicht vor.
- Störend sind auch interne Debatten der FB. Die vermeintliche oder reale Nähe zu rechten Gruppen, das Thema Waffenlieferungen Ja-Nein, die Pro-Putin- oder die Kontra-NATO-Haltung und das schwierige Thema Israel/Palästina. Kommt hinzu, wie diese Debatten intern ausgetragen werden. Von einer konstruktiven, nicht verletzenden Streitkultur ist die FB weit entfernt. Welchem jungen Menschen sollte man ernsthaft empfehlen, in diesen Debattensumpf einzusteigen? Klimabewegte halten sich da lieber raus, würde es doch ihre eigenen Mobilisierungsbemühungen eher behindern.
- Auf den Demos der KB gibt es Awareness-Personen (lila Westen), Safe Spaces werden angeboten, falls es zu Übergriffen kommt, Gebärdendolmetscher*innen und Übersetzungen sind obligatorisch. Die Musik ist zeitgemäß und mobilisierend. Eine Kultur, die bei Friedensdemonstrationen weitgehend fehlt. Liedgut a la „We shall overcome“ und Hannes Wader scheinen weiterhin unvermeidlich. Hier wird kulturelle Differenz überdeutlich. Die Generation Z ist durchaus bereit, kulturelle Elemente der 1970er und 1980er aufzugreifen (z.B. Popularität von Ton-Steine-Scherben, Punk usw.). Gilt das auch umgekehrt?
- Bei den Gruppen Extinction Rebellion (XR), Fridays for Future (FfF) und Letzte Generation (LG) ist der Bezug auf Gewaltfreiheit und den Zivilen Ungehorsam stabil verankert. Eine Debatte um Möglichkeiten und Grenzen gewaltfreier Proteste findet breit statt. Generell gilt: Alle Debatten werden auf Handlungs- und kreative Aktionsmöglichkeiten hin diskutiert. Da in der FB aktuell wenige, kreative und disruptive Aktionen stattfinden, gibt es auch keine vergleichbaren Debatten. In Gruppen der FB wird häufig um Positionen und Einschätzungen gerungen. Hier die Analyse, dort die Aktion. Für Aktivisti der KB ist die FB aktionistisch wenig attraktiv.
- In der KB wird immer auch nach der möglichen Perspektive für Betroffene oder Aktive im Globalen Süden gefragt. Die neo-kolonialistische Kritik ist immer präsent. Dieser Blick ist in der FB deutlich geringer ausgeprägt.
- Über die Gender-Debatte ist auch die Frage von Gendergerechtigkeit präsent und wird in der KB sensibel berücksichtigt. Eine Gender-Debatte, z.B. über toxische Männlichkeit, über Helden- und Soldatentum wäre in der FB möglich und notwendig, ist aber kaum hörbar. Genderthemen werden in den FB selten thematisiert. Theoretisch bestünde hier diskursive Anschlussfähigkeit. Doch immer noch dominieren „alte weiße Männer“ in der FB mit ihrem sprichwörtlichen Verhaltensrepertoire. Auch hier besteht nur eine begrenzte Attraktivität für genderbewusste Klimabewegte!In der KB gibt es, wie strittig und problematisch auch immer, den ökologischen Fußabdruck. Viele Aktivitäten im Alltag werden von vielen besonders jungen Menschen mittlerweile „automatisch“ auf ökologisches Verhalten hin beurteilt, veganes Essen, Autofahren, Fliegen, Plastik usw.. Etwas Vergleichbares, Alltagsrelevantes, wie einen „friedenslogischen Handabdruck“, gibt es (noch) nicht. Praktikable Alltagsbezüge fehlen in der FB weitgehend. Gerade für Menschen, die „direkt“ und „heute“ etwas ändern wollen, eine Hürde.
- Die KB diskutiert unzählige system-immanente Ansätze, z.B. die Energiewende. Die FB jedoch steht mit den meisten Themen in einer Art Fundamentalopposition zu den herrschenden Verhältnissen. Zu tödlichen Raketen gibt es eben keine „guten“ Alternativen. Mensch kann sie nur abschaffen. Jedoch auch theoretisch mögliche Alternativkonzepte wie „Soziale Verteidigung“, defensive Verteidigungskonzepte oder „Feministische Außenpolitik“ interessieren in der FB nur Randgruppen. Die KB kann in die Parlamente und Entscheidungsgremien, z.B. in der Wirtschaft, mit ihren pragmatischen Forderungen zur CO2-Reduktion hineinwirken. Dieser Weg ist der FB weitgehend verschlossen. Rheinmetall kann nur geschlossen und nicht transformiert werden.
Was also tun?
Am 14.09.2002 fand in Köln mit 40.000 Menschen eine große Demonstration statt. Das Motto damals war: „Her mit dem schönen Leben!“. Gewerkschaften, soziale Bewegungen und Zivilgesellschaft hatten, bei allen inhaltlichen Unterschieden, gemeinsam aufgerufen. Eine Woche später fand die Bundestagswahl statt. Organisiert wurde ein Sternmarsch mit verschiedenen thematischen „Fingern“, wie z.B. Umverteilung, Arbeitsplatzfragen, Verkehrspolitik, Rassismus, Friedensfragen u.v.a.m.. Vielfalt in der Einheit! Die Interessenunterschiede wurden durch die Sternform abgebildet, aber nicht aufgelöst! Redner waren damals u.a. Johan Galtung und Andreas Buro. Angesichts unterschiedlicher Bewegungskulturen braucht es strukturelle Ideen, die solidarisches und gemeinsames Handeln ermöglichen. Wie wäre es mit einem Sternmarsch nach der kommenden Bundestagswahl?