Klimawandel und Konflikt im Südpazifik

von Volker Böge

Im Südpazifik sind die ökologischen und sozialen Folgen des Klimawandels bereits heute allgegenwärtig. Menschen wird ihre Lebensgrundlage entzogen, sie werden zum Hungern und zur Migration gezwungen, und sie müssen Konflikte austragen, für die sie nicht verantwortlich sind.

Der Klimawandel hat im Südpazifik Meeresspiegelanstieg und eine Häufung extremer Wetterereignisse zur Folge. Auf extrem flachen Inseln und Atollen geht Boden durch den Meeresspiegelanstieg verloren, Salzwasser dringt ein und kontaminiert die Süßwasserlinsen der Inseln, Gärten, aus denen sich die von der Subsistenzlandwirtschaft lebende Bevölkerung ernährt, bringen keinen oder nur noch unzureichenden Ertrag; das Ausbleichen der Korallenriffe führt zur Verminderung der Fischbestände und damit zur Reduzierung des Fischfangs. Ernährung und Versorgung mit Frischwasser sind gefährdet. Mittlerweile gibt es die ersten Fälle, in denen Inseln nicht mehr bewohnbar sind und Migration der einzige Ausweg ist.

Klimawandel und erzwungene Migration: Das Beispiel der Carterets-Inseln
So müssen die Bewohner der Carteret-Inseln, einer zur autonomen Region Bougainville in Papua-Neuguinea gehörenden Gruppe von Atollen, wegen des Meeresspiegelanstiegs auf die Hauptinsel Bougainville umgesiedelt werden. Eine Insel der Carteret-Gruppe ist bereits versunken, eine andere durch das Meer zweigeteilt. 60% der Landfläche gingen in den letzten Jahren verloren. Salzwasser zerstört die Gärten. Süßwasser wird knapp. Taro, das Hauptnahrungsmittel, kann nicht mehr angebaut werden wegen der Versalzung des Bodens. Und so mussten die rund 4.000 Bewohner der Inseln sich entschließen, nach Bougainville umzusiedeln. Auf Bougainville selber ist die Lage nach einem langdauernden Krieg nach wie vor instabil.

Im April 2009 kamen die ersten Umsiedler von den Carterets auf Bougainville an, fünf Familien. Sie sollten den Boden bereiten für die Anderen. Die katholische Kirche hat im Norden Bougainvilles Land für die Umsiedler bereit gestellt. Es stellte sich heraus, dass das Land nicht reichen wird, dass die von der Regierung zugesagte Unterstützung nicht oder erst mit Verzögerung kommen wird und dass die Einheimischen die Umsiedler nicht mit offenen Armen aufnehmen. Schon im Juli 2009 verließen drei Familien Bougainville wieder und gingen auf die Carterets zurück mit der Begründung, dass sie auf Bougainville nicht in Frieden leben könnten. Es war zu Konflikten über Land mit den neuen Nachbarn gekommen. Zur Zeit sind einige Familien dabei, sich auf dem von der Kirche zur Verfügung gestellten Land einzurichten; sie bauen Häuser und legen Gärten für ihre Versorgung an. Es ist allerdings absehbar, dass die Umsiedlung aller Menschen von den Carterets nicht wie ursprünglich geplant bis 2012 abgeschlossen werden kann.

Die Leute von den Carterets haben Ende 2006 eine eigene NGO gegründet (Tulele Peisa, das heißt soviel wie ‚Selbstbestimmt Wellen reiten‘/Sailing the waves on our own), die auf ihr Schicksal als „erste Klimaflüchtlinge der Welt“ aufmerksam macht und internationale Solidarität und materielle Unterstützung einfordert. VertreterInnen von Tulele Peisa sind auf speaking tour in Australien gewesen und haben die australische Regierung um Hilfe ersucht, ohne Erfolg. Sie haben auch schon Deutschland bereist und dort vor (kleinen) Versammlungen gesprochen. In den letzten Jahren sind die Carterets sage und schreibe 15 Mal von Filmteams, Journalisten und anderen Medienleuten besucht worden, die die story von den ersten Klimaflüchtlingen in die weite Welt tragen wollten. Genützt hat das den Menschen vor Ort bisher nichts. Internationale Aufmerksamkeit ist gut, bringt allein aber keine Lösung für die Betroffenen.

Die Carterets sind im Südpazifik nicht der einzige Fall dieser Art. In Vanuatu, Salomonen, Palau, Kiribati und Tuvalu kommt es ebenfalls zu Umsiedlungen und daraus resultierenden Konflikten. Ein Gemeindevorsteher aus Tuvalu beschreibt das Problem so: „Die Leute, die am Rand der Insel leben, haben Landprobleme. Das Land an der Küste wird weggefressen, die Leute wollen daher umsiedeln und sagen: ‚Wir verlieren unser Land, wir müssen ein wenig ins Inselinnere rücken’. Dann aber antworten andere Familien: ‚Das ist unser Land hier; bis hierher und nicht weiter’. Und auf diese Weise entstehen Konflikte zwischen den Gemeinden in Tuvalu. Land auf Tuvalu ist Gemeineigentum, also handelt es sich nicht um Konflikte zwischen einzelnen Personen, sondern um Konflikte zwischen Familien (bzw. größeren Gemeinschaften)“ (zit. n. The future is here: climate change in the Pacific. Oxfam Briefing Paper 2009. Carlton, Vic: Oxfam, S. 33). Auf Kiribati ist es zu Konflikten zwischen benachbarten Gemeinden über Zugang zu Süßwasser gekommen wegen der sich verschärfenden Wasserknappheit. Besonders konfliktträchtig ist die Situation auf den Salomonen. Dieser Inselstaat befindet sich ebenso wie Bougainville in einer prekären Nachkriegssituation, und gegenwärtig sind Menschen gezwungen, von kleineren Inseln auf die größere Insel Malaita umzusiedeln, die mit im Zentrum des Gewaltkonfliktes gestanden hat und die an Übervölkerung leidet. Auch hier kommt es zu Landkonflikten.

Land ist dabei im Kontext der südpazifischen Gesellschaften nicht nur von rein ökonomischer Bedeutung; es ist kein Privateigentum, keine Ware, die gekauft und verkauft werden kann. Vielmehr ist das Land im kollektiven Besitz der lokalen Gemeinschaften, inklusive der Ahnen und der ungeborenen Generationen, Land und Gemeinschaften bilden eine untrennbare Einheit. Land ist von zentraler kultureller und spiritueller Bedeutung. Verlust von Land ist für die Betroffenen die größte vorstellbare Katastrophe. Ein Bewohner von Babaga Island in den Salomonen drückt das so aus: „Sie sagen, wir sollen umsiedeln. Aber wir gehören diesem Land. Können wir etwa unsere Gräber mitnehmen? Wir sind ein Nichts ohne unser Land und unsere Ahnen“ (zit. n. ebd., S. 36.). Wenn die Inselstaaten Tuvalu oder Kiribati  im Meer versinken, dann geht nicht nur Land unter, sondern Kulturen werden zerstört.

Klimawandel und Sicherheit – ein problematischer Zusammenhang
Aufgrund ihrer unmittelbaren massiven Betroffenheit sind die pazifischen Inselstaaten besonders aktiv, um bei den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen das Thema Klimawandel ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Zusammen mit den anderen kleinen Inselstaaten der Welt, mit denen sie sich in der Alliance of Small Islands States – AOSIS – zusammengeschlossen haben, drängen sie auf einschneidende und nachhaltige Maßnahmen zum Klimaschutz und auf Unterstützung bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Sie sind allerdings schwache player auf dem internationalen Feld, und, wie bekannt, sind die starken player auch die Hauptverursacher der Klimakatastrophe und die klimapolitischen Bremser. Eine zweischneidige Strategie der Inselstaaten ist es, den Klimawandel als Sicherheitsproblem zu präsentieren. Sie erhoffen sich dadurch verstärkte Aufmerksamkeit und intensiviertes Engagement der internationalen Staatengemeinschaft. Sie waren mit dieser Strategie in gewissem Maße erfolgreich: Auf ihre Initiative hin nahm im Juni 2009 die UN-Generalversammlung eine Resolution zum Thema ‚Klimawandel und mögliche sicherheitspolitische Folgen’ an, und auf Grundlage dieser Resolution legte der UN-Generalsekretär im September 2009 einen umfassenden Bericht zum Thema vor.

Während die Inselstaaten die Folgen des Klimawandels im Kontext des Konzepts umfassender ‚menschlicher Sicherheit’ (und damit in entmilitarisierter Form) behandelt wissen wollen, machen sich andere Akteure allerdings den Zusammenhang von Klimawandel und Sicherheit zunutze, um damit ihre Anstrengungen zur Stärkung ‚nationaler Sicherheit’ (und damit eine Militarisierung der Klimafrage) zu begründen und zu verstärken. Ein Beispiel hierfür bietet das jüngste australische Verteidigungsweißbuch, in dem es heißt: „Pazifische Inselstaaten sind bedroht von schweren Klimaereignissen wie Zyklonen und anderen extremen Wetterereignissen. Einige südpazifische Nationen werden als Folge des Klimawandels in schweren Stress geraten. (...) Sollten sie bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels scheitern, müsste die australische Regierung die ADF (= die australischen Streitkräfte) als ein Mittel nutzen, um mit daraus resultierenden Bedrohungen unserer Interessen fertig zu werden“ (Australian Government Department of Defence: Defending Australia in the Asia Pacific Century: Force 2030. Defence White Paper 2009. Canberra: Department of Defence, S. 40). Klimawandel muss hier also als Begründung für Aufrüstung und Vorhaltung militärischer Mittel herhalten.

Klimawandel und Migration – Konfliktpotential der Zukunft
Das Beispiel der Pazifik-Atolle zeigt, dass in den ökologisch sensitiven Armutsregionen des Globalen Südens jene Konflikte, die auf die Auswirkungen des Klimawandels zurückzuführen sind, im lokalen und regionalen Rahmen zwischen den Opfern einer Entwicklung ausgetragen werden, für die die Ökonomien und Gesellschaften des Globalen Nordens die Hauptverantwortung tragen (als Information sei nachgetragen: auf den Carteret-Inseln gibt es keine Autos und keinen Strom aus der Steckdose). Dabei handelt es sich bei den angeführten Fällen aus dem Pazifik gegenwärtig (noch) um relativ kleine Konflikte, die jeweils nur wenige Hundert oder wenige Tausend Menschen betreffen. Doch künftig kann das Problem ganz andere Dimensionen annehmen. Vor allem durch Klimawandel erzwungene Migration kann zu Gewaltkonflikten führen. Bei ungebremstem Klimawandel kann in den nächsten Jahrzehnten nach Schätzungen des IPCC die Zahl der ‚Klimaflüchtlinge’ auf 150 bis 200 Millionen steigen. Diese Klimaflüchtlinge werden oft gezwungen sein, in Regionen auszuweichen, in denen sie nicht willkommen sind, wie das Beispiel der Familien von den Carterets Inseln zeigt. (Gewalt-)Konflikte zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen werden die Folge sein. Die Verursacher der Krise hingegen werden sich in militärisch abgesicherten Festungen verschanzen. Das militarisierte EU-Grenzregime im Mittelmeer gibt darauf ebenso einen Vorgeschmack wie die australische Abschottungspolitik gegen Bootsflüchtlinge.

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