Klötze statt Kanonen

von Walter Bursch

Die Überschrift dieses Artikels läßt vermuten, daß ich für Klötze als Spielzeug zur Erziehung zu weniger Gewalt sprechen will und damit ge­gen Kriegsspielzeug. Wer so vermutet, nimmt zugleich an, die Art des Spielzeugs sei entscheidend dafür, ob ein Kind aggressiv oder friedfer­tig wird. Wie ist das wirklich?

Was ist Kriegsspielzeug eigentlich? Das ist Spielzeug bzw. das sind Spiele, die das Thema "Krieg" aktualisieren durch Spielwaffen z.B. oder Kriegsszenen, und die von der Spielidee her aggressi­ves Verhalten provozieren. Kriegsspiel­zeug bzw. -spiele sind vornehmlich Spiele für Jungen (rd. 70 Prozent, dagegen nur rd. 30 Prozent Mädchen spielen da­mit).

Warum wird aber das Spielen der Kin­der mit Kriegsspielzeug so heftig, zum Teil sogar leidenschaftlich diskutiert? Man sagt: Durch das Spielen mit Kriegsspielzeug würden die Kinder ag­gressiv. Außerdem werde die Denkfigur "Krieg" als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte stabilisiert.

Dabei ist auffällig: Man thematisiert viel stärker das "Kriegsspielzeug" der Kinder als die Realität der Überrüstung in der Welt. Kann man wirklich die Denkfigur "Krieg" durch Abschaffung des Kriegsspielzeuges überwinden, oder ist der Kampf gegen dieses Spielzeug nur ein "Nebenkriegsschauplatz"?

Die entscheidende Frage ist: Wie wirkt das Spielen - und damit auch das Spiel­zeug - auf das Verhalten und die Ein­stellung der Kinder? Es gibt viele Theo­rien des Spielens. Die sollen nicht alle referiert werden. Nur drei wichtige Theorien sollen kurz skizziert werden:

"Doppelfunktion" des Spielens

Einmal spiegelt das Spielzeug und das Spielen die wesentlichen Selbstver­ständnisse einer Gesellschaft wider und ist damit eine Möglichkeit, diese Selbst­verständnisse den Kindern zu vermit­teln. Zum anderen bekommen die Kin­der die Gelegenheit, die von der Gesell­schaft erwarteten Fertigkeiten, Rollen­verhaltensweisen, Normen und Werte im eigenen aktiven Verhalten auszupro­bieren und letztlich zu verinnerlichen.

Verhältnis Spiel - Aggression

Grundsätzlich ist die Aggression eine dem Menschen angeborene Reaktions­bereitschaft. Sie dient zunächst kon­struktiv der Lebenssicherung. Sie kann aber auch destruktiv werden, wenn sie unkontrolliert in den Dienst der "Leidenschaften" des Menschen tritt. Ob das eine oder das andere geschieht, ist weitgehend von der Erziehung in Fami­lie und Gesellschaft abhängig.

Aggression kann aber auch Abwehr von Angst sein. Diese Aggression wird sehr oft zum Terror für die Mitmenschen.

Im Kinderspiel vermischen sich die ag­gressiv-konstruktive Auseinanderset­zung mit der Lebenssituation des Kindes mit der aggressiv-destruktiven Bewältigung der Unbewußten (und auch Be­wuten) Ängste und anderer negativer Gefühle.

Das Kinderspiel in Gruppen fordert die Selbstbehauptung und Durchsetzung be­sonders stark heraus. Damit werden aber auch Angstgefühle aktiviert, die zur Aggression als Abwehr der Angst führen.

Auf unser Thema bezogen heißt das: Je nach der inneren Situation des Kindes kann das Kind sowohl mit Klötzen als auch mit Kriegsspielzeug aggressiv spielen und auch umgekehrt.

Verführung zur Gewalt

Die entscheidende Verführung der Kin­der zu gewalttätigem Verhalten geht nicht vom Kriegsspielzeug (bzw. Überhaupt vom Spielzeug) aus. Kinder wer­den zur Gewalt durch die Gewaltpoten­tiale in Gesellschaft und Familie und auch durch die Akzeptanz des Denk­schemas "Gewalt" in der Gesellschaft verführt. Gewaltpotentiale umgeben das Kind in folgenden Formen:

  • Gewalt als Einschränkung der Entfal­tungs- und Entwicklungschancen des Kindes. Dazu gehören die oft zu klei­nen, hellhörigen und zu teuren Woh­nungen, die radikal eingeschränkten Spielmöglichkeiten im Wohnumfeld, der gefährliche Verkehr und die er­hebliche Ausgrenzung der Kinder und Jugendlichen durch die pädago­gischen Systeme mit ihrem gebro­chenen Verhältnis zur Wirklichkeit in der Welt und zur Lebenssituation der Kinder.
  • Gewalt als Handlungsanweisung zur Konfliktlösung. Dies wird den Kin­dern im öffentlichen und privaten Leben ständig vorgelebt, sie sehen es auch im Fernsehen, und sie lesen es in den Leseheftchen und Comics. Schließlich wird auch erheblich Wer­bung für das Militär gemacht.
  • Die gesellschaftlichen Gewaltpoten­tiale verdichten sich für viele Kinder besonders stark in der Familie. Da wird Gewalt zum Erziehungsmittel. Das praktizieren weit mehr als 50 Prozent der Eltern. Rund 15 Prozent geben sogar zu, ihre Kinder aus "erzieherischen" Gründen mit harten Gegenständen zu schlagen. Man muß auch von den Entartungen der Gewalt sprechen, von der körperlichen bzw. psychischem Mißhandlung und dem sexuellen Mißbrauch. Davon sind jährlich Hunderttausende von Kin­dern und Jugendlichen betroffen.

Dies alles besagt: Die Gewaltbereit­schaft bei Kindern ist primär die Folge der Wirkung von gesellschaftlichen und familiären Gewaltpotentialen. Das ag­gressive Spiel mit Kriegsspielzeug und das Spielen aggressiver Spiele ist ledig­lich ein Indikator für das Vorhandensein von Aggressionsbereitschaft, entstanden durch die gesellschaftlichen Gewaltpo­tentiale.

Also alles ganz harmlos?

Man darf aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten: Vollständig harmlos ist das Kriegsspielzeug nun auch wieder nicht. Auf der Grundlage der eben be­schriebenen Gewaltbereitschaft können Kriegsspielzeug bzw. Kriegsspiele mit folgenden Tendenzen verstärkend wir­ken:

  • Gewalt als legitimes Handlungskon­zept für die Durchsetzung eigener Belange und als Konfliktlösungsmit­tel wird zusätzlich internationalisiert.
  • Die Akzeptanz des Krieges und damit der Waffen als national und interna­tional sanktioniertes Mittel zur Auf­rechterhaltung des sog. Gleichge­wichtes der Kräfte wird stabilisiert. Das ist gleichbedeutend mit einer zu­sätzlichen Internationalisierungshilfe der gesellschaftlichen Ideologie "Krieg".
  • Es wird das Bewußtsein von Ge­schichte als Geschichte von Kriegen und ihren "Helden" aktiviert.
  • Die Technik fasziniert durch ihre Möglichkeiten, die Gewalt in ihrer Wirkung erheblich zu steigern. Damit kann der Mensch ohne persönlichen Einsatz seine Ohnmachtsgefühle kompensieren und sich weit über seine persönlichen Möglichkeiten hinaus als mächtig erleben.
  • Die "Männlichkeit" und damit väterli­che Ideologien erhalten ver­störte Priorität.
  • Es ist auch zu vermuten, da· die Hemmschwelle für den Gebrauch ei­ner echten Waffe durch das ständige üben der Bedienung an der Spiel­zeugwaffe herabgesetzt wird. Es gilt: Je realistischer und zugleich unge­fährlicher Kriegsspielzeug ist, desto intensiver geschieht die Einübung in den sachgerechten
  • Gebrauch einer echten Waffe. 

Erziehung gegen Gewalt

Es ist sicher schon hinreichend deutlich geworden, da· dies nicht durch die Al­ternative "Klötze statt Kanonen" zu lei­sten ist. Da muß umfassender angesetzt werden. Vorweg: Ein Verbot des Kriegsspielzeugs hilft nicht - weder das grundsätzliche Verbot für die gesamte Gesellschaft noch das in der Familie. Wegen der bereits diskutierten Verstär­kerwirkung sollte man aber derartiges Spielzeug nicht mehr kaufen.

Eine entscheidende Voraussetzung für die Erziehung gegen die Gewalt ist der Abbau der Gewaltpotentiale in der Ge­sellschaft. Das bedeutet im Einzelnen:

Im Umgang miteinander sollten wir uns alle verpflichten, im anderen vor allem den Mitmenschen zu sehen und nicht den Gegner, den Rivalen oder gar den Feind. Dies gilt ganz besonders für das politische Leben in unserer Gesellschaft. Diese Einstellung muß auch unser Ver­halten im Verkehr bestimmen, vor allem als Autofahrer. Notwendig ist es auch, die Ideologie vom Krieg als den alleini­gen Garanten für das sog. Gleichge­wicht der Kräfte kritisch aufzuarbeiten. Dazu gehört auch die Überwindung der negativen Vorurteile gegen andere Völker.

In den gesellschaftlichen Institutionen, so vor allem in der Schule, muß der ein­zelne Mensch mit seiner Würde und seinen Bedürfnissen sehr viel ernster genommen werden, als dies zur Zeit ge­schieht. Alle diese Institutionen müssen humaner werden. Das heißt: Es muß deutlich werden, da· in diesen Institu­tionen der Mensch immer wichtiger ist als die Institutionen selbst.

Ein sehr wesentliches Erziehungsfeld ist die Familie; auch in ihr müssen die noch sehr kräftig vorhandenen Gewaltpoten­tiale abgebaut werden. Im einzelnen heißt das:

Die Familienatmosphäre muß durch ge­genseitige Achtung und die Bereitschaft zu gegenseitiger Hilfe bestimmt sein. Man muß bereit sein, miteinander zu le­ben und nicht gegeneinander.

Der erzieherische Umgang mit den Kin­dern muß von der Verpflichtung be­stimmt sein, in jedem erzieherischen Akt vor allem die Würde des Kindes zu beachten. Sie ist von gleicher Qualität wie die der Erwachsenen. Wenn dies beachtet wird, kann Erziehung nicht zu einem Machtverhältnis werden, und Gewalt gegen Kinder - ob körperlich oder seelisch - ist dann nicht mehr möglich.

Sollten Konflikte entstanden sein, müssen sie miteinander, d.h. konstruktiv und argumentativ und nicht aggressiv gelöst werden.

Sehr wichtig für die Kinder ist das gute Beispiel der Eltern. Wenn Vater und Mutter miteinander menschlich und partnerschaftlich umgehen und beide dies auch mit ihren Kindern tun, dann werden auch die Kinder dieses Verhal­ten Übernehmen.

Es muß auch gelingen, alternative Spielmöglichkeiten anzubieten: Da ist es vorweg erst einmal nötig, da· sich die Eltern Überhaupt um das Spielen ih­rer Kinder kümmern, vor allem aber mit ihnen gemeinsam spielen.

Man kann davon ausgehen, da· die Kinder trotz günstiger Grundbedingun­gen doch immer wieder einmal den Wunsch haben, mit Kriegsspielzeug zu spielen. Dann ist es die erste Aufgabe der Eltern herauszufinden, welche Mo­tive dem Wunsch zugrunde liegen. Diese Motive müssen dann kritisch auf­gearbeitet werden. Anschließend muß mit den Kindern argumentativ das Für und Wider des Kriegsspielzeugs disku­tiert werden. Dabei müssen die Eltern natürlich Position beziehen. Alternative Spielmöglichkeiten findet man leichter, wenn man sich zunächst entschließt, auf alle Spiele zu verzich­ten, in denen Ge­walt gegen andere vor­kommt. Beson­ders gut geeignet sind Spiele, bei denen es keine Sieger bzw. Besiegte gibt. Als alternative Spiele kämen auch solche in Frage, bei denen man gemeinsam eine Aufgabe löst oder seine intellektuellen Fähigkeiten bzw. die körperliche Ge­schicklichkeit einset­zen muß, um eine Aufgabe zu lösen. Eine sehr gute Alter­native wäre es auch, wenn Eltern und Kinder gemeinsam sehr oft in die Natur gehen, dort Pflan­zen und Tiere beob­achten und dabei auch ganz unerwartete Abenteuer erle­ben können.

Erziehung zu weniger Gewalt kann nur gelingen, wenn das gesamte gesell­schaftliche und familiäre Umfeld gewaltfreier wird. Mit der Parole "Klötze statt Kanonen" allein ist das Problem nicht zu lösen. "Abrüstung" allein für das Kinderzimmer, das hilft nicht viel.

Dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Kinder Schutzbundes aus der Zeitschrift "Kinderschutz Aktuell" 4/90  entnom­men.



 

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