Kolumbien, ein Land zwischen Krieg und Hoffnung

von Christine Klissenbauer

Kolumbien ist eines der schönsten und ressourcenreichsten Länder Lateinamerikas und zugleich eines der gewalttätigsten der Welt. Seit vielen Jahren herrschen dort Krieg und Gewalt. Die Bevölkerung wird zerrieben zwischen linksgerichteten Guerillagruppen, dem Militär, das das Establishment und dessen Privilegien verteidigt, und den Paramilitärs, die einen faschistischen Staat errichten wollen im Interesse der Großgrundbesitzer. Alle diese Kriegsparteien profitieren vom Drogenhandel, und bei uns in der sogenannten Ersten Welt profitieren die Waffenhändler und die Multinationalen von diesem schmutzigen Krieg.

Mittlerweile besteht zwar eine außerparlamentarische Opposition aus Gewerkschaften, Bauern- und Indigena-Verbänden sowie sozialen Bewegungen gegen das "Projekt der demokratischen Sicherheit" des seit September 2002 regierenden Präsidenten Alvaro Uribe Vélez.

Aber wohl nirgends leben MenschenrechtsverteidigerInnen, Gewerkschafter und Bauernführer gefährlicher als in Kolumbien. Sie werden überwacht, verfolgt und dezimiert im ganzen Land. Vier Tage nach seinem Amtsantritt verhängte Präsident Uribe den Ausnahmezustand. Die Zivilgewalten und die Justiz wurden militarisiert und ein Netz von InformantInnen - Spitzeln - wird in Kolumbien aufgebaut.

Leben unter ständiger Kontrolle und Bedrohung
Als ich am 1. November 2000 nach Barrancabermeja, in die Erdölmetropole des Landes am mittleren Magdalena Strom, kam, trieb mich sogleich die Frage um: Wie gehen die Menschen und die christlichen Gemeinden mit der allgegenwärtigen Gewalt um, die jeden Tag ihr Leben bedroht? Wie verkraften sie das Verschwinden und die Ermordung von Angehörigen und Gemeindemitgliedern? Wie können sie aus dem Geist des Evangeliums zivilen Widerstand leisten und Wege zur Überwindung der Gewalt finden?

Ich will versuchen, aus der Erfahrung meiner Arbeit in einem ausgedehnten Andengebiet im Nordosten Barrancabermejas einige Antworten zu geben. Ich war dort in einer Kirchengemeinde, einem wichtigen Zentrum inmitten dieser Konfliktzone, bis Mitte Oktober 2002 als sogenannte Friedensarbeiterin für pax christi Deutschland tätig und arbeitete als solche auch im Zusammenschluss der Menschenrechts- und sozialen Organisationen der Stadt mit.

Die Situation war folgende: Am 22. Dezember 2000 begann der Einmarsch der Paramilitärs in dieses Gebiet, das bislang von der Guerilla ELN kontrolliert war. Die Besetzung der Viertel, Straßen und Häuser ging mit brutaler Gewalt vor sich. Alle, die sich auf irgendeine Weise widersetzten oder auf einer "schwarzen Liste" als Sympathisanten der Guerilla standen, wurden umgebracht oder verschwanden. Einige der Verschwundenen wurden später in Massengräbern gefunden, auf unmenschliche Weise verstümmelt.

Nach zwei Jahren grausamer Herrschaft ist nun die Kontrolle der Region, ebenso in den kleinen Gemeinden und Städtchen am Magdalena, perfekt. Minutiös regeln die Paramilitärs das Leben und Verhalten der Menschen bis in den Intimbereich der Familien und Gemeinden hinein. Dies ist möglich, da die Täter mit absoluter Straflosigkeit rechnen können. Polizei und Streitkräfte arbeiten mit den Paramilitärs zusammen, die Gerichte sind von ihnen kontrolliert und nicht mehr unabhängig.

Gemeinsam die Angst überwinden
Wir waren ein kleines Team von engagierten einheimischen PastoralarbeiterInnen, Norbert Spiegier für die Schweizer Betlehem-Missionare, ich von pax christi und mein Gemeindepfarrer, die in folgenden Punkten eng zusammenarbeiteten:

Begleitung der Menschen in ihren Ängsten und ihrer Bedrohung. Sie wussten, dass sie Tag und Nacht zu uns kommen konnten. Meine Kontakte zu den Menschenrechtsorganisationen der Stadt, zum "Defensor del Pueblo", dem Ombudsmann, und dem Internationalen Roten Kreuz ermöglichten mir in manchen dringenden Fällen, Anklage zu erheben oder letztlich den Bedrohten Hilfe zur Flucht zu ermöglichen. Aber auch diese Arbeit wurde zusehends schwieriger durch ständige Überwachung und Bespitzelung.

Bildung und Ausbildung von kleinen Nachbarschafts- und Gemeindegruppen, Stärkung der Frauen durch Seminare zur Förderung ihres Selbstbewusstseins. Schulung in gewaltfreiem Widerstand und Aufklärung über ihre Rechte als Frauen, als Bürgerinnen und die Bildung einer kleinen, aber effizient arbeitenden Menschenrechtsgruppe.

Montagsgebet - Lunes de la Esperanza
Jeden Montag trifft sich die Gemeinde zum Friedensgebet in der Kirche, das von der Menschenrechtsgruppe und dem Team der Frauen gestaltet wird. Ziel ist, durch gut vorbereitete Gottesdienste zum Thema Frieden, christliche Verantwortung und Widerstand die Menschen aus der Vereinzelung herauszuholen und ihnen Mut zu machen. Wir nutzten alle Gelegenheiten und Feste des Kirchenjahres, um die strukturelle und kriegerische Gewalt und den möglichen Widerstand zu thematisieren.

So wurde z.B. der Kreuzweg an Karfreitag, der durch alle Viertel der Gemeinde führte, zu einem riesigen Protestmarsch, ebenso die üblichen Marienprozessionen. Diese fanden teilweise auch auf Stadtebene statt, und der Bischof zog mit den Menschen durch die Straßen der Innenstadt.

Regelmäßige Analyse der Realität, in der wir lebten, die sich ständig wandelt durch neue Verordnungen. Den heraufziehenden Wahlkampf im letzten Jahr, die einsetzenden Flüchtlingsströme von vertriebenen Bauernfamilien durch Massaker und den immer wieder neuen Formen der Unterdrückung. Diese Analysen geschahen nicht nur im kleinen Kreis der Menschenrechtsgruppe, sondern wurden auch auf Dekanatsebene und in der Diözesenversammlung durchgeführt. Wichtig war die Stärkung der Gemeinschaft auf der Bewusstseinsebene, der Austausch über positive Erfahrungen von zivilem Widerstand, der ja nur in sehr kleinen Schritten möglich war angesichts der herrschenden Waffengewalt und Skrupellosigkeit.

Die Arbeit der Therapeutengruppe
Im Laufe des ersten Jahres meiner Tätigkeit haben wir mit Hilfe von Psychologen eine kleine Gruppe von Frauen und Männern zu sogenannten VolkstherapeutInnen herangebildet, die besonders die vielen Familien von Gewaltopfern in ihrer Trauer begleiteten. Sie machten ihnen in gemeinsamer Arbeit Mut zur Gründung einer Selbsthilfegruppe, in der die Betroffenen neue Kraft schöpften und Möglichkeiten entwickelten, um ein Leben in Würde inmitten der Verfolgung und Gewalt zu führen.

Nutzung der landesweiten Friedenswoche
Praktische Aktivitäten sind sehr hilfreich, um die Kinder und Jugendlichen in unsere Arbeit mit einzubeziehen und zu mobilisieren. Wir haben Malwettbewerbe in der jährlichen Friedenswoche durchgeführt mit sehr gutem Erfolg zu den Themen: "Wie stelle ich mir meine Stadt, Gemeinde im Frieden vor?" und "Was hilft uns, unsere Angst zu überwinden?" Zu Ostern wurden alle Viertel unseres Gebietes dazu aufgerufen, eine große Osterkerze der Hoffnung zu gestalten. Die drei schönsten und phantasievollsten Kerzen wurden prämiert.

Ich weiß, der Frieden ist nicht in Sicht, und der Krieg fordert nach wie vor ungestraft seine Opfer. Aber die Menschen in Kolumbien sind seit Jahren dabei, von unten den Widerstand aufzubauen. Hier könnte vieles gesagt werden zu den im ganzen Land entstandenen und entstehenden Friedensgemeinden, ständig bedroht und bekämpft, aber nicht mehr aufzuhalten. Auch hier habe ich einige wertvolle Erfahrungen gesammelt. Aber das würde den Rahmen des Berichtes übersteigen. Ich hoffe, dass sich wieder die Gelegenheit bietet, intensiver auf dieses Thema einzugehen und die politischen Hintergründe für den seit Jahrzehnten anhaltenden und in der Öffentlichkeit selten erwähnten Krieg in Kolumbien zu beleuchten.

Christine Klissenbauer, früheres Präsidiumsmitglied von pax christi, war von November 2000 bis Oktober 2002 als Friedensfachkraft für die deutsche Sektion in Barrancabermeja tätig und ist Mitglied der Kommission Solidaritätsfonds.
 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Christine Klissenbauer, früheres Präsidiumsmitglied von pax christi, war von November 2000 bis Oktober 2002 als Friedensfachkraft für die deutsche Sektion in Barrancabermeja tätig und ist Mitglied der Kommission S