Interview mit Abdel Rahman Adam

Konfliktbearbeitung in Dafur

von Redaktion FriedensForum

Abdel Rahman Adam wurde im Dezember 1976 in El Deain geboren, einer kleinen Stadt im Süden Darfurs. Nach der Schule studierte er politische Wissenschaften in Khartoum, und bereitet derzeit einen Master in Friedensstudien vor. Er ist als Landeskoordinator für Radio Dabanga (Radio Darfur Netzwerk) tätig.

Red.: Wie haben Sie den Anfang des Darfur-Konflikts erlebt? Wo waren Sie damals, und was war Ihre erste Reaktion? Wie wirkte er sich auf Sie und Ihre Familie aus?

ARA: Die Menschen in Darfur hatten einen Konflikt erwartet, da das Leben im Vergleich zu der Zeit vor der Machtergreifung der derzeitigen Regierung sehr schwierig geworden war. Ich war damals Student in Khartoum. Von massiver dirDiskriminierung betroffen, gründeten wir darfurischen Studenten dort 1999 die Darfur Studentenvereinigung, um dazu beizutragen, die Menschen in Darfur zusammenzuhalten und der Fragmentisierung auf ethnischer Basis zu widerstehen. Wir riefen auch Studierende anderer Universitäten auf, sich zu organisieren, und schließlich wurde die Darfur Association Alliance (DAA) gegründet, die eine wichtige Rolle in der Frühwarnung und bei der Beobachtung von Menschenrechtsverletzungen spielt. Als die sudanesische Befreiungsbewegung (SLM/A) formell ihren Kampf gegen die Regierung bekanntgab, war ich gerade Generalsekretär der Darfuri Studentengewerkschaft, und in der Funktion ging ich direkt ins Kampfgebiet in den Mara-Bergen, um die Situation beurteilen zu können und uns in die Lage zu versetzen, dieser Herausforderung gerecht zu werden.

Seitdem, und trotz Verhaftungen und der Schließung von Organisationen, mit denen ich arbeitete, konnte mich nichts davon abhalten, mich für Frieden und Stabilität einzusetzen. Bis heute kann ich nicht in meine Heimatstadt zurückkehren, weil ich dort bekannt bin und verhaftet würde. Unsere Familien, die sich mit der Situation konfrontiert sehen, dass ihre Söhne und Töchter als Staatsfeinde betrachtet werden, haben Angst um uns und sähen uns am liebsten außer Landes. Ich versuche immer wieder, meine Familie davon zu überzeugen, dass ich dank der von ihnen ermöglichten Bildung eine Rolle spielen muss, um ihnen und der Gemeinschaft dort zu helfen. Aber nun scheinen sie aus Angst um mich all das zu vergessen.

Red: Wie sind Sie ein Aktivist geworden, und was ist Ihre Hauptmotivation und Ihr Traum?

ARA: Ich wurde Menschenrechtsaktivist in meinem zweiten Jahr an der Uni, nachdem ich Trainings zu Menschenrechten und später zu Peacebuilding und Gewaltfreiheit besucht hatte. Mein Wandel ist wirklich unglaublich:  Bis 2001 betrachtete ich die Nordsudanesen als Feinde. Sie hatten historisch die Kolonialherren unterstützt und regierten vom Ende der Kolonialzeit bis heute. Seit damals versuchen sie, die unterschiedlichen sudanesischen Identitäten in eine einheitliche Identität zu verwandeln. Sie wollten, dass dieses afrikanische Land mit Gewalt ein arabisches wird. Alle Regierungen mobilisierten die Menschen entlang ethnischer und religiöser Linien, was im Extremen zu ethnischen Säuberungen und Genozid in den Nuba Bergen, im Südsudan und bis heute in Darfur führte. All dies trug dazu bei, dass ich wie viele meiner Generation unterschiedslos alles und jeden aus dem Nordsudan hasste. Wenn ich heute an diese Zeit denke, bekomme ich regelrecht Angst. Der dramatische Wandel trat ein, als der Aktivist Dr. Mudawi Ibrahim Adam mich im November 2001 zu einem Trainingsworkshop der Sudan Social Development Organization (SUDO). Das Unvorstellbare geschah: Mein Geist öffnete sich einer neuen Welt. Weitere Trainings und zahlreiche Diskussionen mit KollegInnen an der Universität und in der Studentengewerkschaft halfen mir bei der Umstrukturierung meines Weltbildes.

Manche konnten nicht glauben, was sie hörten: ein Kerl, der immer gegen die Menschen aus dem Norden und gegen die Araber mobilisiert hatte, sprach plötzlich eine andere Sprache – verrückt. Aber viele von ihnen verteidigen jetzt ebenso die Menschenrechte und tun ihr Bestes, für Frieden zu arbeiten.

Frieden zu schaffen ist Teil meiner Gedanken und meines Traumes. Ich glaube, dass Frieden nie kommen kann, wenn wir nicht den Boden dafür bereiten. Abkommen allein genügen nicht, um nachhaltig zu sein. Die Förderung von Menschenrechten und Gewaltfreiheit auf der Graswurzelebene sind der Boden, in dem der Frieden wurzeln und kräftig werden kann.

Mein Traum ist es, dauerhaften Frieden und Entwicklung zu schaffen, die auf Gleichheit, Vertrauen, Respekt und Brüderlichkeit basieren. Ich kann sehen, dass dies bereits geschieht – die Herausforderung ist lediglich, all diejenigen Menschen überall auf der Welt zu verbinden, die diesen Traum teilen.

Red: Können Sie uns ein paar Beispiele Ihrer Friedensarbeit geben?

ARA: Beruflich arbeite ich als der sudanesische Kordinator für Radio Dabanga (Radio Darfur Netzwerk), der von den Niederlanden aus sendet. Aber im Kern bin ich ein Friedensmacher, Initiator. Frieden schließt die Respektierung der Menschenrechte und die Verwendung gewaltfreier Konzepte und Instrumente ein. Deshalb sage ich, dass ein Friedensaktivist zugleich ein Menschenrechts- und ein Gewaltfreiheits-Aktivist ist.

Eine meiner Erfahrungen im Feld war die als Gemeindearbeiter mit der Norwegian Church Aid 2005 in der Gegend um Shataya in Süddarfur. Ich sah, dass dort Milizen der Regierung die lokale nicht-arabische Bevölkerung, die die Mehrheit des Dorfes ausmacht, und die Vertriebenen, sehr schlecht behandelten. Sie belästigten Frauen vor den Augen ihrer Männer. Ich stellte fest, dass die Milizen nicht aus der Gemeinde stammten, aber dass sie BürgerInnen arabischer Gruppen respektierten. So bekam ich die Idee, eine Jugendorganisation zu gründen, die aus Arabern und Nicht-Arabern bestehen sollte. Ich initiierte Diskussionen über diese Idee und lud zwei Nicht-Araber in mein Haus ein. Sie wollten ihrer Gemeinschaft helfen und trafen sich mit ein paar Arabern. Nach etwa einem Monat organisierten wir ein großes Treffen in der Schule des Dorfes. 83 Jugendliche, männliche und weibliche, gründeten dort eine Jugendorganisation. Ihr Vorstand besteht aus 15 Leuten, 7 Nicht-Arabern und 8 Arabern. Die ungleiche Zahl war von den Nicht-Arabern empfohlen worden. Sobald wir den Verein gegründet hatten, hörten die Vergewaltigungen auf, und andere Belästigungen und Übergriffe sind bis heute stark zurückgegangen. Der Verein spielt immer noch eine wesentliche Rolle in der Gemeinde.

Ein anderes erfolgreiches Beispiel war mit Vertriebenen im Kalma-Camp, dem größten Vertriebenencamp in Darfur. 2006 kamen hier bei Spannungen zwischen ethnischen Gruppen sechs Menschen ums Leben, 26 wurden veletzt und 610 Unterkünfte niedergebrannt. Zu jener Zeit war ich Leiter des Büros von SUDO (s.o.) in Nyala. Ich eilte zu dem Anführer der Denka in einem nahegelegenen Ort. (Die Denka sind eine der ethnischen Gruppen aus dem Südsudan, die wegen dem Krieg dort nach Darfur geflohen waren; sie sind keine Darfurer, aber werden von den Vertriebenen dort respektiert.) Sie haben einige sehr weise Sultane, bei denen ich die Nacht verbrachte und darüber sprach, zwischen den Parteien im Lager zu vermitteln. Wir organisierten eine Reihe von Treffen, die zur Versöhnung zwischen den ethnischen Gruppen im Lager führten. Die Familien, die geflohen waren, konnten zurückkommen und ihre Unterkünfte wieder aufbauen.

Dies sind nur zwei von vielen Geschichten. Heute arbeite ich mit einer Gruppe von Universitätsstudenten und –absolventen von zwei ethnischen Gruppen, die in West- und Süd-Darfur kämpfen. Diese Kämpfe begannen im März diesen Jahres und bis Juli wurden 1.070 Menschen getötet, 786 verwundet und über 30.000 nach Angaben humanitärer Organisationen vertrieben. Wir wollen ein Team aus Angehörigen beider Gruppen bilden und nach Darfur gehen, um die Möglichkeit der Koexistenz ins Bewusstsein zu rufen, zur Konfliktbearbeitung beizutragen sowie die Anführer der Gemeinden zu treffen, um Vermittlungsbemühungen zu initiieren.

Zudem planen wir ein großes Projekt mit dem neu gegründeten Netzwerk “Human Rights and Advocacy Network for Democracy”. Wir glauben, dass auf lange Sicht die Menschen auf der Basisebene gestärkt werden müssen, um ihre lokalen und regionalen Konflikte selbst friedlich zu lösen, und auch zu einer Lösung des Hauptkonfliktes entscheidend beizutragen. Dafür brauchen die Menschen Training in einer Kombination von Peacemaking/Mediation, Gewaltfreiheit und Menschenrechten. Wir wollen Hunderte Darfuris ausbilden und Friedensteams in Dutzenden Lokalitäten aufbauen, die das Gelernte dann umsetzen – später auch auf regionaler und nationaler Ebene. Wir wollen eine landesweite Bewegung für Gewaltfreiheit initiieren!

Red.: Warum Gewaltfreiheit?

ARA: Gewalt schafft neue Gewalt. Diejenigen, die Gewehre tragen, reden immer über Wandel und den Kampf für Rechte, aber unzählige Menschen werden durch Waffen getötet, andere durch Hunger und Krankheiten als Folgen der Gewalt, und alles ist am Ende zerstört. Und die Menschen, die getötet und deren Ressourcen zerstört werden, sind oft diejenigen, von denen die Gewehrträger behaupten, dass sie für sie kämpfen. Wer Wandel sucht, aber Gewalt als Instrument für den Wandel einsetzt, muss das Gewehr als Hauptwerkzeug, diese Rechte zu bringen, überdenken. Der Preis ist so hoch, und wird vor allem von den Zivilisten bezahlt. Man schaue sich die Bewegungen sozialen Wandels der letzten 30 Jahre an: Man wird feststellen, dass die Bewegungen, die Gewaltfreiheit als Instrument einsetzten, Erfolg hatten, wie in Südafrika und, Mosambik, während die anderen, die sich auf Gewalt stützen, immer noch in blutige Konflikte verstrickt sind, wie in Sudan, Somalia, Kongo oder Uganda.

Red.: Sie und andere AktivistInnen aus Darfur haben – im Gegensatz zu Internationalen – Zugang zu den meisten Gegenden in Darfur. Wo sehen Sie im Moment die größten Konfliktszenarien?

ARA: Die internationale Gemeinschaft fokussiert sich im Moment auf den Abyei-Konflikt, der ölreichen Region zwischen Nord- und Südsudan. Die Grenze zwischen dem Norden und dem Süden verläuft aber auch zwischen Süddarfur und dem südsudanesischen Bundesland „Nördliches Bahr Al Gazal“. Der Konflikt hier ist extrem kompliziert und die Grenze wurde nie klar gezogen. Die Spannung in Orten wie Balbala, Dehail Al Dabie und Al Surj ist hoch. Im Juni gab es in Balbala einen blutigen Konflikt zwischen der ethnischen Gruppe „Rezaigat“ und der Sudan People Liberation Army (SPLA). 100 wurden getötet und etwa 70 verletzt. Die Rezaigat auf beiden Seiten der Grenze können sich nicht vorstellen, dass das Land ihnen irgendwann nicht mehr gehören könnte, und sie sind bereit, dafür zu kämpfen. Insgesamt gibt es etwa 2 Millionen nomadischer Araber, die 8 Monate im Jahr mit ihrem Vieh im Süden verbringen, das schafft Spannungen. Die sudanesische Regierung in Khartoum mobilisiert die Rezaigat und würde sie gegen die SPLA unterstützen.

Ein weiterer Brennpunkt liegt an der Grenze bei Al Radoum, Kafia Gahnji und Hufreit Al Nihass. Hier wird es wie in Abyei Spannungen wegen Bodenschätzen (u.a. Uran) geben. Dies muss von Friedensorganisationen und Menschenrechtsaktivisten ebenfalls im Auge behalten werden. Die sudanesische Erfahrung zeigt bereits, wie viele Gemeinschaften wegen Öl von ihrem Land vertrieben wurden.

Red.: Was müsste in Ihren Augen passieren, um die Konflikte in Darfur nachhaltig zu lösen? Welche Rolle sollte die internationale Gemeinschaft spielen?

ARA: Es ist viel über das Ende des Konflikts in Darfur geredet worden, so viele Forschungen angestrengt und Konferenzpapiere vorgestellt. Was ich sage, ist wahrscheinlich nicht neu, aber kann als Erinnerung dienen, wie man eine nachhaltige Lösung schaffen könnte. Der Prozess muss auf zwei Ebenen stattfinden. Die eine ist die Beendigung des Kriegs durch ein Abkommen der Konfliktparteien, der Darfur Armed Movements (DAM) und der Regierung des Sudans. Hier kann die internationale Gemeinschaft eine wesentliche Rolle spielen, indem sie starken Druck auf die Regierung ausübt, sich mit Darfur ernsthafter zu befassen. Das Friedensabkommen muss die Rechte Darfurs berücksichtigen und die Menschen, die Verbrechen begangen haben, der Rechtssprechung überantworten. Aber die Rebellenbewegungen müssen auch deutlicher zeigen, dass sie es ernst meinen und Verantworung übernehmen. Wie kann es sein, dass mehr als 18 bewaffnete Bewegungen beanspruchen, die Rechte der Darfurer zu vertreten? Der zweite Teil des Prozesses ist die Umsetzung des Friedens auf lokaler Ebene. Dies erfordert die Auseinandersetzung mit den Ursachen des Konflikts und den Aufbau der Fähigkeiten von zivilgesellschaftlichen Organisationen, damit diese eine effektive Rolle dabei spielen können.

Der Text ist ein Auszug aus einem längeren Interview, das die Redaktion mit Herrn Adam im Sudan führte und aus dem Englischen übersetzt wurde.

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