Buchbesprechung

Konrad Görg: „Wir sind, was wir erinnern.“

von Martin Singe

„Jede nachfolgende Generation in Deutschland muss ihr Verhältnis zur eigenen leidvollen Geschichte und zur Schuld ihrer Väter neu erarbeiten“, so Konrad Görg in der Einleitung seines Buches „Wir sind, was wir erinnern“. Das Buch verbindet in besonderer Weise persönliches Schicksal, Geschichte und Literatur. Das Buch ist veröffentlicht in Erinnerung an Erwin Katz, den Onkel eines Freundes, der als 10-Jähriger in Auschwitz ermordet wurde. Das ergreifende Schicksal dieses Jungen bildet den Anfang des Buches, das dann durch eine umfassende Sammlung von Zitaten die Geschichte der Judenverfolgung, ihrer geistigen Wegbereiter und ihrer Gegner nachzeichnet. Durch die Auswahl der Zitate treffen Täter und Opfer, Zeitzeugen und Beobachter verschiedener Zeiten aufeinander und treten in einen Dialog.

Der Philosoph und Friedenskämpfer Horst-Eberhard Richter hat für die 2. Auflage (2009) ein persönliches Geleitwort geschrieben. Konrad Görg selbst ist Arzt am Universitätsklinikum Marburg. Die Beschäftigung mit Nationalsozialismus und Antisemitismus begann für ihn in seiner Freizeit, durch Gespräche mit seinem langjährigen Freund Petr Abeles. Gewidmet ist das Buch ihm und dessen Onkel Erwin Katz.

„Wie kann und darf sich ein Nachgeborener der Tätergeneration, der sich nicht wissenschaftlich mit dem Holocaust beschäftigt hat, dem ´Abgrund der Geschichte` (Paul Valéry) nähern?“ fragt Görg in seiner Einleitung. Er beantwortet diese Frage, indem er die vielen verschiedenen Stimmen gegen- und nebeneinander auftreten lässt. Der Anspruch des Bandes ist nach Aussage des Herausgebers weder erschöpfend noch wissenschaftlich. Ungeachtet dessen ist es ihm gelungen, ebendiese Stimmenvielfalt so anzuordnen, dass die heterogene Geistesgeschichte und die vielen Einzelschicksale zu einem ergreifenden Bild verschmelzen. Die Aufarbeitung des Holocaust auf der Täter- und Opferseite nehmen einen bedeutenden Teil der Anthologie ein.

„Wir sind, was wir erinnern“ ist insbesondere auch ein Buch für die „nachgeborenen“ Generationen. Ein Durchlesen „von vorn nach hinten“ ist nicht angeraten, dafür lädt der Band zum Blättern und Verweilen ein. Die gesammelten Zitate regen allemal zu persönlicher Reflexion an. So wird es möglich , sich einen persönlichen Zugang zu diesem dunkelsten Kapitel deutscher und europäischer Geschichte zu erarbeiten.

Konrad Görg (2009) (2. Aufl) Wir sind, was wir erinnern: Zwei Generationen nach Auschwitz. Stimmen gegen das Vergessen. Konstanz:Hartung Gorre Verlag, ISBN 978-3866282087 (110 S.), 9,95 €

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Hintergrund
Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".