Von Großwaffen, Kleinwaffen und Dual Use:

Kontrolle und erlaubte Schiebereien

von Ralf Hofer
Schwerpunkt
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Zum Umgang mit Kontrollen im in­ternationalen Rüstungsgeschäft

Waffenhändler wegen Giftgaslieferun­gen vor Gericht, illegaler Transport von Militärausrüstungen an der Grenze ge­stoppt, BND leiert Plutonium-Geschäft an, mutmaßlicher Waffenhändler tot aufgefunden. Das Geschäft mit Waffen ist gefährlich und viele Händler starben schon eines mysteriösen Todes. Doch wer denkt, daß staatliche Kontrollen hier eingreifen könnten, irrt. Annähernd ungehinderten Rüstungsexport propa­gierte Bundesaußenminister Klaus Kin­kel im Februar dieses Jahres vor Ver­tretern des "Arbeitskreises Wehrtechnik der Industrie in Schleswig-Holstein" : "In der Relation ist das minimal, was nicht laufen kann. (...) Es gibt ein paar Grenzen, aber wir haben schon einiges getan", erklärte er anläßlich einer Nach­frage zur Lieferung von deutschen U-Booten an Taiwan (Bonner Generalan­zeiger - dpa vom 13.2.96).

Das Geschäft mit Waffen wird überall auf der Welt auf höchster politischer Ebene verfolgt und dabei spielen Regie­rungsvertreter und Politiker keine pas­sive Rolle. Dieses Geschäft ist ein poli­tisches: zwischen guten und bösen Lie­ferungen, zwischen akzeptablen und nicht akzeptablen Ländern, zwischen Krisenregionen und stabilen Regionen wird auf politischer Ebene entschieden. Dabei wird immer wieder deutlich, daß die politischen Entscheidungen wenig mit Moral zu tun haben. Im Einzelfall ist die scheinbar widersprüchliche Be­fürwortung und Ablehnung von Rü­stungsexporten in einer Sichtweise ein­geschlossen, die Waffengeschäfte nicht per se ablehnt, sondern im sicherheits­politischen und wirtschaftlichen Kontext sieht. So werden Lieferungen an Part­nerländer der NATO, wie der Türkei, von vornherein nicht in Frage gestellt und Versicherungen der Empfängerlän­der, z.B. die Waffen nicht gegen Kurden oder zur inneren Aufstandsbekämpfung einzusetzen, wird geglaubt. Exportver­bote bzw. -einschränkungen und Kon­trollen - ob national oder staatenüber­greifend - sind dabei einzig Mittel zur Durchsetzung außenpolitischer Interes­sen, sprich der gute verlässliche Partner bekommt Waffen, andere nicht. Kon­trollen helfen, diese Sortierung abzusi­chern.

Rüstungsexportkontrolle für wen?

840 Milliarden US Dollar wurden 1994 weltweit für militärische Zwecke ausge­geben, so die US Arms Control and Dis­armament Agency (ACDA: World Mi­litary Expenditures and Arms Transfers, Washington 1995). 56 Prozent dieser Ausgaben fallen auf die Allianz der NATO-Staaten. In unseren Medien er­scheinen diese Informationen selten, da die öffentliche Sichtweise auf spezielle kritische Länder wie z.B. Libyen einge­schränkt ist. Dabei ist es richtig, daß diese kritischen Länder häufig eine ag­gressive Außenpolitik verfolgen und in­nenpolitisch "stabile" Verhältnisse nur durch gewaltige Polizei- und Militärap­parate sowie durch Unterdrückung op­positioneller Strömungen durchsetzen. Hier greifen die moralischen Ansätze, gleichwohl die umfangreichsten Waf­fengeschäfte durch die Käufe bzw. Ver­käufe und Kooperationen der Staaten getätigt werden, die sich zu einem soge­nannten Sicherheitspakt verschworen haben. Durch Kooperationsabkommen der führenden Industriestaaten im euro­päischen wie internationalen Maßstab werden Waffen ständig modernisiert und erneuert, neue Waffengenerationen drängen auf den Markt.

Dieser ständige Wandel läßt alte Be­stände der nationalen Armeen zur Dis­positionsmasse der Verteidigungsmini­sterien werden, so daß mittlerweile beim weltweiten Großwaffenhandel der An­teil von gebrauchtem Material - sozusa­gen Second-Hand - gegenüber neuen Produkten überwiegt. (BICC 1996; SIPRI 1995)

Gerade der Second-Hand-Markt mit un­bestimmbaren Verkaufspreisen macht deutlich, daß die weltweite Zählerei wenig über den tatsächlichen Rüstungs­export wiedergibt, insbesondere, wenn die Problematik der nicht mitgezählten Komponentenlieferungen und der Kleinwaffen hinzukommt. An verschie­denen Stellen wird der Versuch unter­nommen, Rüstungsexporte zu zählen. Um die wichtigsten zu nennen: SIPRI, das UN-Waffenregister und ACDA. Für die Kritik ist nicht in erster Linie ent­scheidend, ob eine monetäre oder quan­titative Zählung vorgenommen wird, sondern daß bei allen drei in der alter Tradition internationaler Sicherheitspo­litik nur die Großwaffen gezählt wer­den, d.h. die Potentiale aufgelistet, die zwischenstaatliche Kriege führbar ma­chen lassen. So steht die Auflistung und Interpretation von Großwaffenlieferun­gen im Mittelpunkt bei Tendenzaussa­gen für das weltweite Rüstungsge­schäft und ebenfalls bei Kontrollfragen.

Für Deutschland ist die europäische Ko­operation neben der Weitergabe von ausrangierten Großwaffen ein wichtiger Bestandteil der Rüstungsproduktion und die europäischen Produzenten sind ex­portorientiert. Forschung und Entwick­lung werden zwar vor allem mit Blick auf die Beschaffungsnachfrage der na­tionalen Armee getätigt, jedoch ist das Augenmerk immer auch auf den Ex­portmarkt gerichtet. Die Elemente- bzw. Komponentenbauweise mit einer Viel­zahl von Varianten, die auf verschie­dene Einsatzmöglichkeiten und Geld­beutel abgestimmt sind, sollen (auch zukünftig) die Marktanteile sichern. Die Rüstungsproduktion der großen Ex­portländer USA und Russland wird durch komplizierte High-Tech-Waffen bestimmt. Zu erschwinglichen Preisen können diese auf den Weltmarkt nur durch eine große Abnahme in der natio­nalen Beschaffung angeboten werden. Gerade kleinere Staaten verlangen aber nicht nur billige, sondern auch einfach zu bedienende Waffen, die ohne größere Probleme einsatzfähig sind. Hier spielt die europäische Rüstungsindustrie eine wichtige Rolle, da sie versucht, spezielle Waffen mit diesen Kriterien zu entwic­keln.

Um einen reibungslosen Export euro­päischer Waffen zu garantieren, sind umfangreiche Kontrollmechanismen unerwünscht. So sind in der EU nach neuester Gesetzeslage alle Kontrollme­chanismen für die Überführungen von Waffenkomponenten innerhalb der Ge­meinschaft weggefallen. Im Gegensatz zur Diskussion über Übereinkünfte für den Export konventioneller Waffen, die stark durch die unterschiedlichen natio­nalen Souveränitätsansprüche geprägt ist, hat man hier eine gemeinsame Ebene gefunden. Eine umfangreiche Li­ste für die sogenannten Dual-Use Güter, das heißt für zivile Produkte und Kom­ponenten, die eine mögliche militärische Nutzung nicht ausschließen, ist durch die EU-Mitgliedsstaaten erstellt worden, um eine Kontrollmöglichkeit für Liefe­rungen außerhalb der EU zu haben. Durch den Wegfall von Genehmigungen innerhalb der EU haben sich dagegen die Kooperationsbedingungen innerhalb der EU erheblich verbessert. Einzig beim Export außerhalb der Gemein­schaft greifen die durch den Maastrich­ter Vertrag "harmonisierten" Kontroll­mechanismen. Zuerst ist die EU-Dual-Use-Verordnung ein Mittel, um uner­wünschte Lieferungen zu kontrollieren bzw. zu verhindern und die Praxis muß beweisen, inwieweit durch Kontrollen die Rahmenrichtlinien eingehalten wer­den, die sich die EU selbst für den Ex­port von Waffen und Rüstungsmateria­lien auferlegt hat, z.B. keine Lieferung in Regionen bzw. Länder, in denen Kon­flikte herrschen.

Wassenaar-Abkommen

In gleicher Weise ist auch das soge­nannte Wassenaar-Abkommen zu be­werten, das als Nachfolgesystem der aufgelösten Technologie-Kontrollbe­hörde CoCom gehandelt wird. Nach der Auflösung von CoCom, das die Liefe­rung von militärisch relevanter Tech­nologie in die früheren Warschauer Pakt-Staaten, China und Kuba verhin­dern sollte, ist das Wassenaar Abkom­men in Richtung "sensible Staaten" aus­gerichtet. Nach einem ersten Treffen im vergangenen Dezember im niederländi­schen Städtchen Wassenaar hatte man nach Wien zur Gründungskonferenz des "The Wassenaar Arrangement" (TWA) geladen. Im April 1996 setzten sich dort Vertreter von 28 Ländern zusammen, um eine neue Struktur für eine gemein­same Exportkontrolle von Waffentech­nologie und Waffenelektronik in "sensible Regionen" zu schaffen. Neben den westlichen Industriestaaten waren auch Russland, Polen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn anwesend. Sitz der zukünftigen Organisation soll Wien sein. Im Gegensatz zur CoCom und der EU-Dual-Use-Verordnung wird die TWA keine Länderlisten erstellen, in die waffenfähige Elektronikbauteile bzw. Technologien nicht geliefert wer­den darf. Die Kontrolle soll über die na­tionalen Exportgesetze laufen, die auf­einander abgestimmt werden. Schwie­rigkeiten gab es jedoch gleich von An­fang an, da sich die USA eine konkrete Aufstellung von geplanten Lieferungen erhoffte, jedoch kein anderes Land von diesem Vorschlag begeistert war. Auch gab es hinsichtlich der Konfliktregionen Differenzen zwischen den USA und Russland. Nunmehr soll eine Folgekon­ferenz im Juli 96 für Angleichungen der Positionen sorgen, da der Grundsatz von allen Ländern getragen wird, daß sensi­ble Waffentechnologie für Großwaffen in den Händen der führenden Industrie­staaten verbleibt und damit angeblich in den Händen der Friedensstifter.

Das Kriegsgeschäft mit Kleinwaffen

Verlassen wir einmal das Gebiet der Großwaffen, obwohl sich gerade hier zeigt, daß es billiger ist, Waffen zu ver­schenken, als sie zu vernichten. Aber bei der Vernichtung von Kleinwaffen ist die Kostenfrage ebenfalls bestimmend und gerade in ehemaligen Kriegsgebie­ten wird häufig gewartet, bis durch den individuellen und illegalen Verkauf von gebrauchten Waffen bzw. nicht mehr benötigten Kriegsmaterial eine "Abrüstung" geschieht. Und für den bis­herigen Besitzer schafft dies sogar noch einen zusätzlichen Obolus. So sind die heutigen bzw. früheren Konfliktgebiete, sei es Angola, Mosambik, Afghanistan oder Ex-Jugoslawien, zu Orten eines re­gen Waffenhandels geworden. Pistolen, Gewehre, Handgranaten, Panzerfäuste und Minen sind hier zu erwerben wie Äpfel auf dem Obstmarkt. Gerade diese Kleinwaffen sind für die heutigen Kriege entscheidend, ohne die Bedeu­tung von Großwaffen als eher traditio­nelle Waffe zwischenstaatlicher Kriege zu mindern. Der momentan weltweit vorherrschende ist der innerstaatliche Krieg. Er wird geführt unter Anwen­dung von Kleinwaffen, und in den letz­ten Jahren sind 70% aller Kriegstoten und - verletzten Opfer durch den Einsatz von Kleinwaffen.

Es scheint so, daß die Kontrolle des Kleinwaffenhandels aus dem Interessen­feld der internationalen Politik fällt. Kleinwaffen üben nur eine regional be­grenzte Bedrohung aus. Der Einsatz und die Kräfte sind einschätzbar, und Über­raschungen durch weitreichende Rake­ten mit chemischen Gefechtsköpfen, Kampfflugzeugen und anderen Groß­waffen sind auszuschließen. So sind bei Kriegen mit Kleinwaffeneinsatz allein internationale Interessen in den Regio­nen - wie die Ausbeutung von Rohstof­fen - zu sichern.

Internationale Kontrollregime

Sämtliche internationale Kontrollregime sind in einfacher Manier gestrickt, sei es das Atomabkommen (NTR), das Ab­kommen über den Export von B- und C-Waffentechnologie oder das Raketen­technologieregime (MTCR): Alle diese Kontrollregime verfolgen in erster Linie die Absicherung der Vorherrschaft we­niger Staaten im internationalen Gefüge. Auch die neuesten Bemühungen, eine einheitliche Minenkonvention durch­zusetzen, entsprechen dieser Stoßrich­tung. Die Einschränkung auf detektier­bare bzw. automatisch abschaltbare Landminen vermindern das Risiko, daß z.B. deutsche Soldaten bei UN-Missio­nen auf diese Minen treten. Krieg wird damit kalkulierbarer - allein für die füh­renden Industriemächte.

Eine Politik, die darauf setzt, daß Waf­fengeschäfte im Kontext sicherheitspo­litischer Momente zu fassen sind und Kontrollen nur dort ansetzen, wo der von den herrschenden Ländern gesetzte sicherheitspolitische Rahmen verlassen wird, kann nur als eine kriegstreibe­rische Politik bezeichnet werden. Jede Waffenlieferung, egal ob an Frankreich, Indien, Großbritannien, die USA, Indo­nesien oder Türkei erhöht das militäri­sche Potential. Und es entspricht dieser Gesinnung, daß illegale Lieferanten - insoweit sie der betuchten Rüstungsin­dustrie oder der Regierung angehören - zumindest vor deutschen Gerichten nicht allzuviel befürchten müssen. Auch weiterhin ist das Strafmaß beim Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz ge­ring. Einzig bei den oben schon ange­sprochenen Massenvernichtungsmittel sind ganz im Sinne der oben ausgeführ­ten Stoßrichtung die Bestrafungsmög­lichkeiten bis hin zu mehrjähriger Haft vorhanden. Doch auch hier bleiben die Konsequenzen aus, wenn es um die Verhaftung führender Mitarbeiter des BNDs oder Angehöriger des bayeri­schen Landeskriminalamtes geht, die nachweislich mit Plutonium handelten.

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Ralf Hofer ist Mitarbeiter der BUKO-Kampagne "Stoppt den Rüstungsex¬port".