Gefährliche Feindschaft

Koreakonflikt: Ein Plädoyer für Vernunft

von Karl Grobe
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Die Manöver und die rhetorischen Exzesse im Streit der USA mit Nordkorea haben fast den Punkt ereicht, an dem aus militantem Muskelspiel militärischer Ernst wird. Als Inszenierung, die sowohl Donald Trump in Washington als auch Kim Jong Un in Pjöngjang inszeniert hätten, hatte der renommierte US-Publizist John Mecklin die Vorgänge noch Mitte September in einem weltweit verbreiteten Kommentar bewertet. Mit den Vorstößen amerikanischer Kampfflugzeuge weit in das Seegebiet vor der nordkoreanischen Nordküste und der Äußerung des nordkoreanischen Außenministers Ri Yong Ho, dies sei eine Kriegserklärung und sein Staat dürfe diese Flugzeuge daher auch in internationalen Gewässern abschießen, wurde der Konflikt bis zur Schmerzgrenze getrieben. Aber es gab auch noch andere Signale.

Nordkoreas Führung hatte den sechsten Atombombentest am 3. September mit einem Festbankett gefeiert. Der demonstrative Akt sollte offenbar den Eindruck vermitteln, dass die  verschärften Sanktionen und militärischen Drohungen das Land (oder doch Kim Jong Un und seinen engeren Führungszirkel) nicht beeindrucken und dass es sich als nun bestätigte Nuklearmacht sicher fühlt. Dementsprechend verschickte die staatliche Nachrichtenagentur KCNA Serien von Feierfotos und Videos in die Welt.

Dass die Führung in Pjöngjang fast zugleich einen „Status erhöhter Wachsamkeit“, quasi die letzte Vorstufe vor dem Kriegszustand, verhängt hatte, ging außerhalb der Demokratischen Volksrepublik fast unter. Dabei müssen Militär, Partei und Verwaltung sich auf Notstand und Krieg vorbereiten – aber soweit aus nordkoreanischen Quellen erkennbar ist, fanden weder militärische Übungen noch besondere Aktivitäten zum Schutz etwa der Rüstungsindustrie statt. Den Quasi-Kriegszustand zu verhängen war offenbar eine Reaktion auf die südkoreanisch-amerikanischen Manöver namens Ulchi Freedom Guardian.

Wasserstoffbombentest, Sanktionen, Militärmanöver – dazu gesellte sich sofort eine härtere Rhetorik der US-Regierung. Verteidigungsminister Mattis kündigte einen Militärschlag gegen Nordkorea an, sollte das Land sich erkühnen, US-Territorium mit Raketen zu bedrohen. Mattis schloss ausdrücklich die Pazifikinsel Guam ein – US-Besitz seit 1898, Marine- und Luftwaffenstützpunkt seit dem zweiten Weltkrieg. Raketenschüsse in die Nähe der Insel hatte die nordkoreanische Führung vorher angedroht, ein „Feuerwerk“ als Antwort auf US-Präsident Trumps Ankündigung von „Feuer und Wut“.

Auf der Halbinsel eskalierten die Spannungen gleichzeitig. Ein rechtsradikaler Abgeordneter, Won Yoo-chul, forderte in Seoul Nuklearwaffen für Südkorea. Seine Liberty Korea-Partei brach einen Parlamentsboykott ab, um diese Forderung parlamentarisch einzubringen. Mindestens sollten die USA wieder Atomwaffen auf der Halbinsel stationieren, verlangte die Partei und schickte eine Delegation nach Washington, um Lobbyarbeit in diesem Sinn zu leisten. Die Regierung in Seoul wehrte sich noch dagegen, doch eine Gallup-Umfrage ergab Mitte September laut Korea Herald, dass fast 60 Prozent der BürgerInnen Südkoreas für die Atombewaffnung seien, unter den über 50-Jährigen sogar an die 80 Prozent. Selbst die eigene nukleare Aufrüstung ist kein Tabu-Thema mehr.

Auch in Japan, dem einzigen Land, auf das jemals Atombomben abgeworfen worden sind, gibt es BefürworterInnen. Premier Shinzo Abe – der unverdrossen an der Revision des Friedensartikels 9 der japanischen Verfassung arbeitet – hat sich zwar einmal für taktische Nuklearwaffen ausgesprochen, das Streben danach aber als unrealistisch abgetan. Ex-Verteidigungsminister Shigeru Ishiba befand, mit seinen Kernkraftwerken und seiner Technologie sei Japan eine virtuelle Atommacht, es könnte in kürzester Zeit  – 200 Tagen – Atomwaffen bauen. Das genüge.

Die Aussage gibt den Stand der politischen Diskussion seit  dem Jahr 1967 wieder, als Japan auf Entwicklung, Erwerb und Stationierung von Atomwaffen verzichtete, solange es unter dem US-Atomschirm stehe. Die militärische Diskussion dürfte seit der Entwicklung Nordkoreas zur Atommacht um eine Größenordnung konkreter sein. Atomgetriebene und nuklear bewaffnete US-U-Boote machen routinemäßig in japanischen Häfen fest, und in den Selbstverteidigungskräften (Euphemismus für Japans Armee) denkt man schon ziemlich laut über moderne – auch nukleare – Waffen nach. Premier Shinzo Abe ließ das Parlament auflösen und für Ende Oktober Neuwahlen ansetzen, um die Gunst der Stunde in diesem Sinn zu nutzen.

Der „Vorschlaghammer“, mit dem Nordkorea in den Worten seiner Führung durch den Wasserstoffbombentest am 3. September „den US-Imperialismus gnadenlos getroffen hat“, verfehlt seine Wirkung auf die Nachbarstaaten also ganz und gar nicht. Die Region wird instabil. Entscheidende Ursache dafür ist die gefährlich wachsende Feindschaft zwischen den USA und Nordkorea.

Die Interessenlage der nordkoreanischen Führung ist klar erkennbar. Erstens sieht sie in der Verfügungsgewalt über Atomwaffen und möglicherweise der Vergeltungsfähigkeit (second strike capability) die Garantie für ihr Weiterbestehen. Eine Intervention des Westens – der USA – wie in Libyen, Irak oder Syrien, die über keine Massenvernichtungswaffen (mehr) verfügten, ist offenbar die Hauptsorge in Pjöngjang; daher ist eine nukleare Abrüstung in absehbarer Zeit ausgeschlossen. Zweitens haben Kim Jong Un und seine Regierung wirtschaftliche Reformen eingeleitet; nach südkoreanischen Schätzungen ist ein Fünftel der nordkoreanischen Volkswirtschaft inzwischen von der Planwirtschaft abgekoppelt. Die Entwicklung der Marktwirtschaft wie der gesamten Ökonomie aus der aktuellen Misere setzt aber Sicherheit voraus. Drittens wächst ein neuer Mittelstand, dessen Mitglieder auch außerhalb der Parteistrukturen aufsteigen.

Die Position der nordkoreanischen Führung ist, allen so interpretierten Raketen-Provokationen zum Trotz, prinzipiell defensiv und auf Sicherheit bedacht. Ziel ist – neben der internationalen Anerkennung als Atommacht – ein Friedensvertrag, der endlich die Stelle des Waffenstillstands von 1953 nach dem Koreakrieg (1950-1953) einnehmen sollte. Initiativen zur Lösung des Konflikts müssen daher von der Gegenseite ausgehen. Das sind erstens die USA, die durch die Raketen- und Atomtests gesprächsbereit gemacht werden solle, zweitens die übrigen Verhandlungsparteien der Sechser-Gespräche, die vor sechs Jahren von Nordkorea abgebrochen worden waren. Das sind China (gemeinsam mit Nordkorea und den USA Unterzeichner des Waffenstillstands von 1953), Südkorea (damals Nicht-Unterzeichner), Japan und Russland. China ist einziger Alliierter Nordkoreas; Russland hat wenig unmittelbaren Einfluss; Japan und vor allem Südkorea sind Klientelstaaten der USA, in der nordkoreanischen Propaganda deren Marionetten. Aber Washington und Pjöngjang unterhalten keine diplomatischen Beziehungen; das hat zur Folge, dass beide Seiten hauptsächlich aus zweiter Hand Kenntnisse über den jeweils anderen beziehen. Deutschland könnte eine Vermittler-Stätte sein: Seit der DDR besteht in Berlin eine Botschaft Pjöngjangs, sind also beide koreanische Staaten vertreten.

Eine neue Verhandlungsrunde hätte wenigstens zwei Einstiegsbedingungen: Einfrieren des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms und Einstellung der amerikanisch-südkoreanischen Militärübungen. Nichtangriffsgarantien, diplomatische Anerkennung, Aussetzung der Handelsverbote, Abbau der Raketenabwehrsysteme in Südkorea und der Seoul unmittelbar bedrohenden Artilleriestellungen des Nordens, am Ende des Prozesses vielleicht sogar die Errichtung einer überwachten atomwaffenfeien Zone auf der Halbinsel könnten Etappen eines Friedensprozesses sein. Ob sich die USA während der Präsidentschaft Donald Trumps, wie sie es sehen, dazu herablassen werden, ist allerdings mehr als fraglich. Die rationaleren Kabinettsmitglieder und – mit Ausnahme der Vertretung in den UN – DiplomatInnen haben Mühe, Trumps Rhetorik immer wieder abzuwiegeln („der will doch nur spielen“).

Politik der Stärke gegen Nordkorea hatte bisher in immer neuen Sanktionen bestanden, doch Verbote und Beschränkungen des Waren- und Geldverkehrs haben das Regime Kim Jong Un bisher nur wenig beeindruckt, seit sie 2006 nach dem ersten Atomwaffentest verhängt wurden. Es bestehen auch nicht mehr viele Möglichkeiten für neue Sanktionen; und die zuletzt (Mitte September) von Trump eingeleiteten Maßnahmen gegen Staaten, die Handel mit Nordkorea treiben, treffen vor allem China – woraus ein Handelskrieg zwischen Washington und Peking mit unabsehbaren Folgen entstehen kann. Damit aber wäre eine neue Konfrontation geschaffen.

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Journalist und Historiker, war Außenpolitik-Redakteur der Frankfurter Rundschau.