Frauen

Krieg gegen Frauen – Ein vergessener Konflikt

von Angelika Söhne

Der Krieg gegen Frauen ist ein vergessener Konflikt. Es ist ein Krieg, der keine geographischen Grenzen kennt und nicht auf bestimmte kulturelle, religiöse oder ethnische Kontexte begrenzt ist. Es ist ein Krieg ohne offizielle Kriegserklärung und doch für Millionen von Frauen bittere Realität. Sexualisierte Gewalt als Mittel der Kriegsführung ist ein weltweites Phänomen mit weitreichenden Folgen, das dennoch kaum mediale und politische Beachtung findet. Oft endet die Gewalt nicht einmal, wenn die Waffen schweigen, sondern setzt sich auch nach Ende eines Konflikts fort.

Als „vergessene Krisen“ bezeichnet das Amt für Humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission schwere lang anhaltende Krisen, bei denen die betroffene Bevölkerung keine oder nur unzureichende internationale Hilfe erhält. Weitere Merkmale sind mangelndes internationales politisches Engagement sowie fehlende mediale Aufmerksamkeit. Dabei treffen die Folgen dieser Krisen vor allem arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die ohnehin kaum genug zum Leben haben und strukturell benachteiligt sind.

Der Krieg gegen Frauen ist eine solche vergessene Krise, die selten auf der internationalen politischen Agenda steht. Nur wenige Fälle, wie etwa die gezielte Vergewaltigung und Verschleppung von Jesidinnen durch den sogenannten Islamischen Staat im Irak, gelangen in die Medien. Ernsthafte politische Initiativen, diese Form der Kriegsgewalt aufzudecken und ein für allemal zu verbannen, sind trotz des Ausmaßes sexualisierter Kriegsgewalt und deren weitreichenden Folgen rar. Zudem gibt es kaum finanzielle Mittel, die Gewaltbetroffenen angemessen zu unterstützen – weder im Gesundheits- und Bildungsbereich noch für Prävention und Versöhnungsarbeit.

Mit den UN-Sicherheitsratsresolutionen 1325 und 1820 hat die internationale Gemeinschaft zwar Instrumente geschaffen, die sexualisierte Kriegsgewalt ausdrücklich als Kriegsverbrechen verurteilen und Frauen und Mädchen besser schützen sollen. Die Umsetzung scheitert aber schon daran, dass viele der Staaten, in denen diese Verbrechen stattfinden, weder über den politischen Willen noch die juristischen Strukturen verfügen, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Nach wie vor kommen die meisten Kriegsvergewaltiger straffrei davon. Zugleich werden Frauen trotz anderslautender Absichtserklärungen weiter kaum an Friedensverhandlungen oder Gesprächen über Wiederaufbau und Versöhnung beteiligt.

Sexualisierte Gewalt
Sexualisierte Kriegsgewalt ist eine preiswerte Waffe mit ungeheurer Schlagkraft. Denn sie wirkt nicht nur gegen die unmittelbaren Opfer, denen Gewalt angetan wird. Ziel ist es vielmehr, damit das gesamte Umfeld des Gegners zu terrorisieren und zu erniedrigen und so die eigene Macht zu demonstrieren und zu festigen. Dies funktioniert besonders gut in patriarchalischen Gesellschaften, in denen Ehre und Ansehen des Mannes und der Familie von der Unversehrtheit der weiblichen Familienmitglieder abhängen.

Die Folgen sexualisierter Kriegsgewalt sind vielfältig und komplex. Frauen und Mädchen tragen bei den Übergriffen teils schwere Verletzungen und langwierige Infektionen davon. Weniger sichtbar ist dagegen das psychische Leid, das durch die Gewalt ausgelöst wird. Angst, Panikattacken, Schlaf- und Konzentrationsprobleme, Depressionen bis hin zu Suizidgedanken sind häufig Spätfolgen solch traumatischer Gewalterlebnisse. Erschwert wird deren Bewältigung dadurch, dass die vergewaltigten Frauen oftmals von ihren Familien und Gemeinschaften verstoßen und stigmatisiert werden. Viele geraten dadurch zusätzlich in existentielle Nöte. Denn in vielen Konfliktländern haben Frauen kaum Besitz oder Zugang zu Produktionsgütern und damit Chancen auf ein eigenes Einkommen.

Die Auswirkungen sexualisierter Kriegsgewalt reichen zudem bis in die nächste Generation hinein. So werden Kinder aus Kriegsvergewaltigungen oft ebenfalls ausgegrenzt und wachsen in Armut auf. Zugleich fällt es ihren Müttern meist schwer, eine liebevolle und für die Entwicklung der Kinder förderliche Beziehung aufzubauen.

Zerstörung der Infrastruktur trifft Frauen besonders hart
Sexualisierte Kriegsgewalt ist aber nicht nur ein individuelles Problem. Gerade anhaltende Konflikte wie in der Demokratischen Republik Kongo oder Afghanistan zerstören auch den sozialen Zusammenhalt und die Infrastruktur. Schulen und Bildung werden vernachlässigt, es gibt zu wenige Gesundheitseinrichtungen, ganz zu schweigen von funktionierenden Polizei- und Justizbehörden. Frauen und Mädchen trifft dieser strukturelle Mangel besonders hart. Mädchen können nicht zur Schule gehen, weil diese keine getrennten Sanitäranlagen haben oder zu weit weg sind. Frauen müssen ihre Kinder ohne medizinische Begleitung zur Welt bringen. Entsprechend hoch sind die Müttersterblichkeit und Todesraten bei Neugeborenen. Die Chancen für vergewaltigte Frauen und Mädchen, medizinisch angemessen versorgt zu werden, sind ebenfalls gering. So wirkt sich sexualisierte Kriegsgewalt indirekt auch auf die Entwicklungsmöglichkeiten von Frauen und Mädchen aus.

Die Täter hingegen kommen überwiegend ungestraft davon, egal ob es sich um Rebellen oder Armeeangehörige handelt. Bei einem Prozess wegen einer Massenvergewaltigung in der Stadt Minova im Osten des Kongo beispielsweise, an der mindestens 35 Soldaten beteiligt waren, kam es gerade einmal zu zwei Verurteilungen. Im November 2014 wurde mit General Jerome Kakwavu erstmals in der Geschichte des Landes ein Befehlshaber wegen Vergewaltigungen von einem kongolesischen Militärgericht verurteilt. 2014 hat die Armee einen Aktionsplan gegen sexuelle Gewalt verabschiedet. Von einer systematischen Aufarbeitung solcher Vorfälle ist das Land jedoch noch weit entfernt. Begünstigt durch die Straflosigkeit greift Gewalt gegen Frauen und Mädchen auch im zivilen Leben um sich. Der Osten des Kongo gilt als eine der gefährlichsten Regionen für Frauen weltweit. Jeder Mann wird zur potenziellen Bedrohung. Gefahr lauert auf dem Weg zum Markt oder zur Schule, beim Wasserholen oder der Feldarbeit. Schätzungsweise 500.000 Frauen wurden seit Beginn des Konflikts Ende der 1990er Jahre vergewaltigt.

Afghanistan
Die Situation von Frauen in Afghanistan ist ebenfalls eng mit dem Konfliktgeschehen im Land verknüpft. Ihr Anteil unter den zivilen Konfliktopfern ist seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen um 37 Prozent gestiegen, allein 2015 waren es 1.246 Frauen. „Der gefährlichste Ort für Frauen und Mädchen ist jedoch ihr Zuhause“, sagt Humaira Rasuli, Leiterin von Medica Afghanistan. Insbesondere im Kontext der wachsenden wirtschaftlichen Not nimmt familiäre Gewalt zu. Wo die Taliban wieder erstarken, ist die Bewegungsfreiheit von Frauen zunehmend eingeschränkt. Viele Journalistinnen, Lehrerinnen oder Polizistinnen mussten ihre Arbeit aufgeben. Frauenrechtlerinnen werden massiv unter Druck gesetzt und bedroht.

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