Auch nach dem Abgang von Scharfmacher John Bolton ist die Gefahr nicht gebannt

Krieg gegen Iran weiterhin möglich

von Andreas Zumach
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

„Gut an John Bolton ist, dass er immer klar und direkt sagt, was er denkt. Schlecht an John Bolton ist, was er denkt. Von niemandem im gesamten Machtapparat in Washington geht eine so große Gefahr aus, dass er unser Land in einen weiteren verheerenden Krieg stürzt, wie von John Bolton.“

Mit diesen Sätzen begann die New York Times ihren Leitartikel am Tag nachdem US-Präsident Donald Trump im März 2018 Bolton zu seinem Nationalen Sicherheitsberater ernannt hatte. Einen Mann, der seit über 30 Jahren für den militärischen Sturz aus Washingtoner Sicht missliebigen Regierungen in Iran, Irak und anderen Staaten überwiegend in der Region des Nahen und Mittleren Ostens (NMO) agitiert. „Um die iranische Bombe zu verhindern, muss man Iran bombardieren!“, forderte er im März 2015 in der New York Times in einem Gastkommentar gegen das damals kurz vor dem Abschluss stehende Abkommen über das iranische Nuklearprogramm.

„Apokalypse soon?“ titelte „The Nation“, die älteste Wochenzeitschrift der USA nach der Ernennung Boltons zum Nationalen Sicherheitsberater.

Ist nun nach Boltons Abgang Anfang September die Gefahr gebannt, dass die USA ihren bereits laufenden Wirtschaftskrieg gegen Iran zu einem militärischen Krieg eskalieren? Ein Krieg, der noch verheerendere Auswirkungen haben dürfte für die Menschen im Iran, für die Stabilität im gesamten, islamisch geprägten Krisenbogen von Marokko bis Pakistan sowie für die globale Sicherheit, als die drei bisherigen Golfkriege von 1980-88, 1991 und 2003.

Für eine Entwarnung ist es leider noch zu früh. Reagieren die USA, Saudi-Arabien sowie möglicherweise auch Israel mit militärischen Mitteln auf die am 14. September erfolgten  Drohnen- und Raketenangriffe auf ein saudisches Ölfeld und die größte Raffinerie des Landes, für die die Huthi-Rebellen im Jemen die Verantwortung übernahmen? Zumindest die ersten (Twitter)-Reaktionen und öffentlichen Erklärungen von US-Präsident Donald Trump, Außenminister Mike Pompeo sowie des im Wahlkampfendspurt befindlichen israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu ließen Schlimmstes befürchten. Sie alle machten ohne Vorlage irgendwelcher Belege Iran für die Angriffe verantwortlich und drohten mehr oder weniger deutlich militärische Vergeltungsmaßnahmen gegen Teheran an. Die erst nach diesen Beschuldigungen angelaufenen Untersuchungen zur Täterschaft dieser Angriffe - unter anderem durch ein von Frankreich entsandtes Ermittlerteam - waren bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels noch nicht abgeschlossen. Doch selbst wenn es seitdem nicht zu einer militärischen Eskalation durch Angriffe gegen Iran gekommen ist, besteht diese Gefahr weiterhin. Denn zum Einen sitzen auch nach dem Abgang von Bolton, des größten Scharfmachers gegen Teheran, immer noch Männer auf einflussreichen Posten der Trump-Administration, die ausweislich ihrer bisherigen Politik, Reden und schriftlichen Äußerungen ideologisch festgelegte Iranfeinde sind, die die Option eines militärischen Vorgehens gegen „die Mullah-Diktatur am Persischen Golf“ ausdrücklich aufrecht erhalten. Dazu gehört neben Außenminister Mike Pompeo und der für einen „Friedensplan“ im Konflikt Israel/Palästina zuständige Schwiegersohn Trumps, Jared Kushner,  insbesondere Vizepräsident Mike Pence. „Iran ist der größte staatliche Sponsor des globalen islamistischen Terrorismus“. Mit dieser absurden Behauptung, die tatsächlich auf Saudi-Arabien zuträfe, den wichtigsten Verbündeten des Westens am Persischen Golf, schürte Pence bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2017 die Kriegsstimmung gegen Teheran. Und dies wortgleich ausgerechnet mit dem Außenminister der wahabitischen Königshausdiktatur in Riad sowie mit dem israelischen Militärminister. Auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz verstieg sich Pence sogar zu dem Vorwurf, „Iran bereitet einen neuen Holocaust im Nahen Osten vor“. Beklemmend war, dass niemand unter den TeilnehmerInnen der Sicherheitskonferenz dieser Verharmlosung der Shoah und Verhöhnung ihrer Opfer durch den US-Vizepräsidenten widersprach.

Immer schärfere Sanktionen
Zum zweiten bleibt die Trump-Administration auch nach Boltons Abgang völlig unverändert bei ihrer Strategie des maximalen wirtschaftlichen Drucks gegen Iran durch immer schärfere Sanktionen gegen inzwischen alle iranischen Wirtschaftszweige. Selbst die Einfuhr von Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern in den Iran wird inzwischen durch diese Sanktionen verhindert oder zumindest eingeschränkt. Hinzu kommen die weitreichenden Sekundär-Sanktionen oder entsprechende Drohungen der Trump-Administration gegen Wirtschaftsunternehmen und Banken aus Drittländern in Europa, Asien und Lateinamerika. Diese völkerrechtswidrigen Sekundärsanktionen haben inzwischen dazu geführt, dass sich fast sämtliche Unternehmen und Banken, die auf dem US-Markt tätig sind, aus dem Iran-Geschäft zurückgezogen und Vereinbarungen mit der iranischen Seite über zum Teil milliardenschwere Investitionen storniert haben. Als einziger der für Iran wirtschaftlich relevanten Akteure hat sich China zumindest bislang nicht dem Druck aus Washington gebeugt und kauft weiterhin große Mengen iranischen Öls - allerdings inzwischen auch nur zu einem von Peking diktierten reduzierten Vorzugspreis.

Propagandalügen
Trump behauptete mit seiner ursprünglichen Rechtfertigung für den einseitigen Ausstieg aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran im Mai 2018 und die nachfolgende Sanktionspolitik , das Abkommen reiche nicht aus, um eine atomare Bewaffnung Irans verlässlich zu verhindern und müsse daher „nachgebessert“ werden. Das ist schlicht und einfach eine Propagandalüge. Wer - wie der Autor dieser Zeilen - nicht nur dieses Abkommen mit seinen sämtlichen Anhängen vom ersten bis zum letzten Wort gelesen hat, sondern auch alle anderen Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen, die seit den 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts global auf UNO-Ebene, in Europa oder bilateral zwischen Washington und Moskau vereinbart wurden, kann guten Gewissens feststellen: Das Iran-Abkommen ist so wasserdicht wie nur irgend möglich. Solange sich Teheran - alle drei Monate zertifiziert durch die Überwachungsbehörde IAEO - daran hält, ist ein militärisches Nuklearprogramm und die Entwicklung von Atomwaffen nicht möglich. Bezeichnenderweise hat die Trump-Administration den anderen sechs Vertragsstaaten bis heute keinen einzigen konkreten Vorschlag zur „Nachbesserung“ des Abkommens präsentiert.

Multilaterale Abrüstung
Die zweite Rechtfertigung für den einseitigen Ausstieg der USA ist die Forderung der Trump-Administration nach „Erweiterung“ des Nuklearabkommens durch Bestimmungen zur Beschränkung oder gar völligen Einstellung der iranischen Aufrüstung mit konventionellen Raketen. Aus einer friedenspolitischen, militär- und rüstungskritischen Sicht oder gar pazifistischen Position wäre es allerdings wünschenswert, dass Iran nicht über konventionelle Raketen verfügt und keine Haushaltsgelder für den Erwerb oder die Eigenentwicklung und Produktion solcher Waffensysteme verschwendet. Realpolitisch ist es allerdings nicht nur höchst unglaubwürdig, sondern auch zum Scheitern verurteilt, wenn eine solche Forderung nur selektiv an ein Land erhoben wird. Zumal an ein Land, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich andere Staaten befinden, die ebenfalls über konventionelle Raketen verfügen oder den Besitz derartiger Waffensysteme anstreben (darunter Israel, Saudi-Arabien, Pakistan, die Türkei, Ägypten u.a.). Und dies zumeist mit Unterstützung der USA oder anderer Staaten, die jetzt von der Führung in Teheran die Beschränkung ihres konventionellen Raketenprogramms oder gar den vollständigen Verzicht fordern. Wer dieses Ziel ernsthaft, glaubwürdig und zumindest mit einer Chance auf Erfolg verfolgen will, muss sich für eine multilaterale Abrüstungskonferenz der Staaten in der Region einsetzen - unter Beteiligung Israels. Zur Einberufung einer entsprechenden Konferenz zum Verbot von atomaren, chemischen und biologischen Massenvernichtungsmitteln bis spätestens 2012 hatte die Überprüfungskonferenz des Nichtweiterverbreitungsvertrages (NPT) bereits 2010 den damaligen UNO-Generalsekretär Ban ki moon aufgerufen. Doch das Vorhaben scheitert bislang an der Teilnahmeverweigerung der israelischen Regierung. Bei dieser Weigerung wird Israel nicht nur von den USA unterstützt, sondern auch von Deutschland, Frankreich und Großbritannien. An dieser Weigerung scheiterte bereits die Überprüfungskonferenz 2015 und könnte auch die nächste Konferenz im Mai 2020 in New York scheitern.

Rolle Irans in der Region
Drittens rechtfertigt die Trump-Administration ihre Strategie des maximalen Drucks auf Teheran mit der „destabilisierenden Rolle Irans. Auch hier gilt: Wer die Menschenrechte in ihrer universellen Gültigkeit ernst nimmt, muss sowohl die militärische Unterstützung Irans für die Regierung von Bashar al Assad in Syrien durch Waffen, Söldner und Soldaten kritisieren, wie auch die Lieferung von Raketen an die Hisbollah im Libanon oder die Hamas im Gazastreifen, mit denen dann zivile Ziele in Israel beschossen werden. Dasselbe gilt für die Aufrüstung schiitischer Milizen im Irak oder für iranische Waffenlieferungen an die Huthis im Jemen - falls Letztere tatsächlich stattfa(i)nden, was bis heute nicht bewiesen ist.

Derartige Kritik an Teheran von Seiten der Trump-Administration in Washington ist völlig verlogen und unglaubwürdig. Niemand hat die NMO-Region in den letzten 65 Jahren stärker und mit schlimmeren Folgen destabilisiert als die USA. Durch Kriege, den Sturz demokratischer Regierungen wie unliebsamer Diktatoren, Waffenlieferungen und die Unterstützung sunnitisch-islamistischer Extremisten und Terroristen sowie durch die achtjährige Besatzung des Irak, die den Nährboden geschaffen hat für die Terrororganisation des sogenannten „Islamischen Staat“.

Kaum weniger glaubwürdig ist die Kritik an einer „destabilisierenden Rolle Irans“ in der NMO-Region aus dem Mund der Regierungen in Berlin, London und Paris, solange diese Regierungen weiterhin die wahabitische Königshausdiktatur in Riad als Verbündeten behandeln und aufrüsten.

Tatsächlich verfolgt die Trump-Administration auch ohne Bolton weiterhin das Ziel des „regime change“ in Teheran. Allerdings wäre das nicht der von Bolton und anderen ideologischen Iranfeinden in Washington vorgeblich angestrebte Wechsel hin zu einer demokratischen und menschenrechtsfreundlicheren Regierung. Die Trump-Administration befördert mit ihrer Politik einer Machtübernahme der Hardliner in Teheran - sei es durch den Sturz Ruhanis oder spätestens bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2021. Und dann besteht die Gefahr, dass Iran vollständig aus dem Nuklearabkommen aussteigt. Damit hätte Washington dann den Vorwand für einen Krieg. Die Tatsache, dass zumindest ein Teil der WählerInnenbasis von Trump isolationistisch gestimmt ist und weitere Kriegsabenteuer der USA ablehnt, ist leider keine verlässliche Garantie dafür, dass dieser Krieg nicht doch geführt wird.

Die Friedensbewegung in Deutschland und anderen europäischen Staaten muss in dieser Situation zumindest dazu beitragen, dass ein eventueller Krieg gegen Iran keinerlei militärische, logistische, politische oder sonstige Unterstützung aus Europa erhält. Auch dann, wenn Israel sich an diesem Krieg beteiligen und dann auch zum Ziel militärischer Reaktionen Irans werden sollte.

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