Krieg und Frieden auf dem Stuttgarter Kirchentag

von Paul RussmannStefan Phillip
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Kriegsminister Scharping saß bei der Veranstaltung "Frieden in Europa" auf dem Podium im Messegelände und nur wenige Pfiffe und Buhrufe machten den Protest gegen den eben zu Ende gegangenen heißen NATO-Krieg gegen Jugoslawien deutlich. Ein paar Transparente wurden wenige Minuten vor Beginn der Veranstaltung noch rasch über die Brüstung gehängt: "Ein Bombenerfolg, Herr Scharping: AlbanerInnen vertrieben - Jugoslawien zerstört - Tausende getötet - Armee im Aufbau - zum nächsten Krieg für Menschenrechte?", gratulierten die Demonstranten ironisch. Oben auf der Galerie der überfüllten Veranstaltungshalle stand ein junges Mädchen mit Rastazöpfen, auf ihren Rucksack hatte sie den Tucholsky-Spruch "Soldaten sind Mörder" geklebt. Plötzlich erhob sich eine ältere Dame mit grauer Dauerwelle von ihrem Papphocker, näherte sich der Friedensbewegten und fauchte sie an: "Du Pfeife, geh doch nach Serbien."

Eindrücke, die ganz dem über die Medien vermittelten Bild entsprechen, das Thema Krieg und Frieden habe auf dem Kirchentag praktisch keine Rolle gespielt. Richtig ist daran, dass dieses Thema eher in leiser Tonart diskutiert und behandelt wurde. Das hat wohl seinen Grund darin, dass der "Kosovo-Krieg" bis weit in die Reihen der Friedensbewegung eine Verunsicherung ausgelöst hat; die rein gesinnungsethische Argumentation von Scharping und Fischer unter dem Stichwort "Verhinderung der humanitären Katastrophe" führte gerade bei Friedensbewegten zu dem scheinbaren Dilemma, einem Militäreinsatz nicht glaubwürdig entgegentreten zu können.
Dennoch gab es eine ganze Reihe von Veranstaltungen und Orten, bei denen das Friedensthema aufgegriffen wurde:

Auf dem "Markt der Möglichkeiten" hatten sich ca. 20 Friedensgruppen in der Kooperation "Statt Kriege: Konflikte zivil lösen!" zusammengeschlossen. Ausstellungen zu den Themen "Gewaltfreiheit", "Zivile Konfliktbearbeitung" und "Kleinwaffen" prägten neben dem gemeinsamen "Café Deserteur" das Bild der Kooperation. In einer spontanen einstündigen Diskussion der Friedensbewegten mit der benachbarten Militärseelsorge wurden auf einem relativ hohen Niveau die Argumente für und gegen den Kriegseinsatz in Jugoslawien ausgetauscht.

In der Stuttgarter Innenstadt bot ein Trägerkreis aus DFG-VK, Zentralstelle KDV, KDV-Pfarrämtern, Zivildienst-Verantwortlichen aus der Diakonie und der Zeitschrift "Zivil" in den Räumen des Jugendhauses Mitte mit dem "Café Zivil" erstmalig auf einem Kirchentag einen speziellen Treffpunkt für Kriegsdienstverweigerer, Zivis und PazifistInnen an. Neben dem wegen der großen Konkurrenz eher mäßig besuchten Kulturprogramm mit Livebands waren die inhaltlichen Veranstaltungen überwiegende sehr gut besucht. Neben Streitgesprächen über die "Zukunft der Bundeswehr?" zwischen dem Militärbischof Hartmut Löwe und dem Zentralstellenvorsitzenden Ulrich Finckh und über "Soziales Pflichtjahr für alle?" zwischen dem niedersächsischen Innenminister Heiner Bartling und dem Bundesbeauftragten für den Zivildienst Dieter Hackler, ging es in Podiumsdiskussionen z.B. um die Fragen "Ziviler Friedensdienst statt Militäreinsätze" mit den Bundestagsabgeordneten Winni Nachtwei, Paul Breuer und Brigitte Schulte und Tobias Pflüger von der Tübinger "Informationsstelle Militarisierung" und "Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure" mit dem baden-württembergischen SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Ulrich Maurer und Rudi Friedrich von "Connection". Durch die intensive Vorarbeit der Veranstalter war es gelungen, dass das "Café Zivil" mit allen Veranstaltungen im offiziellen Kirchentagsprogramm auftauchte.

Beim "Peace-House", einem Projekt von Friedensgruppen wie Ohne Rüstung Leben, Pax Christi, Quäker u. a., war dies leider nicht der Fall, und so blieb der Besuch weit hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Gelobt wurden die gute Atmosphäre im "Peace-House", die angebotenen Workshops zur Konfliktbearbeitung/Mediation und die Vorträge zur neuen Nato-Strategie wie auch zur Friedens- und Menschenrechtsarbeit auf dem Balkan.

Mit bunten Schals in den Farben des Regenbogens und schillernden Seifenblasen demonstrierten rund 20.000 Menschen für einen Schuldenerlass zugunsten der Entwicklungsländer. Schon ein Jahr zuvor begann ein professioneller Abstimmungs- und Vorbereitungsprozess zwischen Friedens-, Eine-Welt-, Ökologie- und kirchlichen Gruppen zur Erlassjahr-2000-Demonstration auf dem Kirchentag. Er wurde kontrovers, aber konsensorientiert geführt mit einem guten Ergebnis.
 

Vor der Mercedes-Niederlassung in der Türlenstrasse hämmerte ein Schmied unter dem Motto "Schwerter zu Pflugscharen" auf einem rotglühenden Metallschwert herum, umringt von Kameras und Fotografen. Vor der Filiale des größten deutschen Rüstungskonzerns wurde daran erinnert, "dass ein Großteil der Schulden der Entwicklungsländer aus Rüstungsexporten stammen". "Keine Hermesbürgschaften mehr für Rüstungsexporte", lautete deshalb auch eine Forderung. Und ein Transparent hinter der provisorischen "Werkstatt" des Schmiedes trug die Aufschrift "Daimlers Rüstungsexporte: Profit für Wenige - Verschuldung für Viele."

Vor dem Neuen Schloss folgte der Höhepunkt der Veranstaltung. Gleichzeitig mit rund 50.000 Demonstranten in Köln, die dort das Tagungsgebäude umringt hatten, riefen die Organisatoren das "Erlassjahr 2000" aus: Zwei Minuten lang erfüllte ohrenbetäubender Jubel der KundgebungsteilnehmerInnen den Schlossplatz.

Die evangelische Theologin Dorothee Sölle verwies in ihrem Redebeitrag auf Mocambique, wo die Regierung vor zehn Jahren viel Geld geliehen habe, um Waffen zu kaufen. Der Krieg sei lange vorbei, aber die Schulden seien immer weiter gestiegen und zerstörten das Leben derer, die nie etwas von den Krediten gehabt hätten. Sölle kritisierte, dass "die Bomben, die wir für die Nato im Kosovo nur für einen Tag bezahlen, ein Jahr Schuldenerlass und Befreiung finanzieren könnten."
 

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Stefan Phillip ist Geschäftsführer der DFG-VK Baden-Württemberg