6x jährlich erscheint unsere Zeitschrift "FriedensForum" und informiert über Neuigkeiten aus der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeheft zu!
Die Friedensverantwortung der Wissenschaft
„Kriegstüchtigkeit" statt Zivilklauseln?
von
Am 16.7.2024 verabschiedete der Bayerische Landtag das „Gesetz zur Förderung der Bundeswehr in Bayern". Es verbietet bayerischen Hochschulen eine „Beschränkung der Forschung auf zivile Nutzungen (Zivilklausel)". Vielmehr dürfen „erzielte Forschungsergebnisse … auch für militärische Zwecke der Bundesrepublik Deutschland oder der NATO-Bündnispartner genutzt werden".
Die Hochschulen des Landes können sogar zur Kooperation mit der Bundeswehr gezwungen werden, wenn dies nach Ansicht des Staatsministeriums „im Interesse der nationalen Sicherheit erforderlich" ist. Vertreter*innen der Regierungskoalition aus CSU und FW bezeichneten das bayerische Gesetz als Blaupause für alle anderen Bundesländer. In Berlin werde bereits an einem ähnlichen Gesetz gearbeitet. Staatsminister Herrmann (CSU) betonte die grundsätzliche Bedeutung des Gesetzes: „Hier geht es um die Veränderung des Mindset. Das ist ein Teil der Zeitenwende."
Zeitenwende als hegemonialer Diskurs
Die Verabschiedung des bayerischen Gesetzes ist der bisherige Höhepunkt einer politischen Gegenbewegung gegen Zivilklauseln an deutschen Hochschulen. 2017 strich die schwarz-gelbe Regierungskoalition in NRW das Zivilklauselgebot aus dem Hochschulgesetz. Bis dahin waren die Hochschulen des Landes verpflichtet, sich in ihren Grundordnungen zu friedlichen Zielen zu bekennen. Im Jahr 2023 sprachen sich mehrere prominente Politiker*innen gegen Zivilklauseln aus, so der CDU-Vorsitzende Merz oder Bundesverteidigungsminister Pistorius (SPD) mit seinem Aufruf, auch die deutsche Gesellschaft müsse „kriegstüchtig“ werden. Ende 2023 kündigten CDU und SPD in Hessen im Koalitionsvertrag an, die Hochschulleitungen bei der Überprüfung von Zivilklauseln zu unterstützen. Im März 2024 forderten CDU und FDP im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, die Hochschulen des Landes sollten sich der militärischen Forschung öffnen. Im April 2024 beantragte die Bremer CDU, die Zivilklausel im bremischen Hochschulrecht abzuschaffen. Bürgermeister Bovenschulte (SPD) hält jedoch an der Zivilklausel fest.
Größere praktische Auswirkungen hatten diese politischen Initiativen bisher nicht, zumal viele Zivilklauseln eher unkonkrete und unverbindliche Friedensbekenntnisse sind und militärische Forschung gar nicht explizit verbieten. Die politische Infragestellung von Zivilklauseln ist jedoch Teil eines bewusst herbeigeführten Wandels der Kultur der militärischen Zurückhaltung, die bisher die Zivilmacht Deutschland gekennzeichnet hat. Im entstehenden hegemonialen Diskurs wird Sicherheit auf Landes- und Bündnisverteidigung verkürzt und jegliche Infragestellung der Militärlogik von Abschreckung, Aufrüstung und militärischem Sieg bestenfalls als naiv, schlimmstenfalls als Unterstützung feindlicher Kräfte diskreditiert. Die Bundeswehr erhält nun weitgehenden Zugriff auf Ressourcen und Institutionen. Militärische Landesverteidigung und Bundeswehr sind aus dieser Sicht im Grundgesetz verankert und damit ausreichend legitimiert, so dass sich eine eingehende Auseinandersetzung mit den historischen Erfahrungen und der ernüchternden Bilanz einer militärischen Sicherheitspolitik erübrigt.
Die Versicherheitlichung der Forschung führt übrigens auch zur Infragestellung sicherheitspolitisch ungewollter akademischer Kooperationen, etwa mit Russland oder China. Bei der Anhörung zum Bayerischen Gesetz argumentierte die Bayerische Universitätenkonferenz, selbst die erwünschte Nutzung militärisch relevanter Forschung durch NATO-Bündnispartner könne in manchen Fällen wie mit den - gemeint wohl: zu russlandfreundlichen - Partnern Türkei oder Ungarn problematisch sein. Der Empfehlung, deswegen die Nutzung solcher Forschung auf Deutschland zu beschränken, folgte die Landtagsmehrheit allerdings nicht.
Verantwortung der Wissenschaft
Die aufgeführten Initiativen zielen letztlich auf eine Entpolitisierung der Wissenschaft, die die Verantwortung für die kriegerische Nutzung ihrer Forschungen der Zeitenwende-Politik überlassen soll. Umso mehr stellt sich die Frage nach der Eigenverantwortung der Wissenschaft. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass die Wissenschaft weder per se friedensorientiert noch so verantwortungslos ist, dass sie durch politische Vorgaben zu friedlichem Verhalten gezwungen werden müsste; solche Vorgaben von außen laufen zudem in der akademischen Praxis eher ins Leere, siehe das Beispiel NRW.
Was derzeit an den Hochschulen oft viel mehr fehlt, ist eine kontinuierliche und institutionalisierte Auseinandersetzung mit den Risiken militärisch relevanter Forschung und deren ethischer Bewertung. Hilfreich könnten hier die „Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung" des Gemeinsamen Ausschusses der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Deutschen Forschungsgemeinschaft sein. Freiheit und Transparenz der Forschung seien zwar wesentlich für den „Fortschritt der Menschheit". Angesichts der Missbrauchsrisiken müsse die Wissenschaft jedoch die Eigenverantwortung für eine ethisch verantwortbare Forschung übernehmen. Forschende müssten „eine unmittelbare und mittelbare Schädigung von schutzwürdigen Gütern" - genannt wird auch „ein friedliches Zusammenleben" – „so weit wie möglich vermeiden oder vermindern". Die Forschungsfolgenbewertung müsse über eine rechtliche Prüfung hinausgehen und auch ethische Grundsätze beachten. Zu den empfohlenen Maßnahmen gehört die erweiterte Einbeziehung von Ethikkommissionen. Die Prüfung könne im Einzelfall dazu führen, hochrisikoreiche Projekte gar nicht durchzuführen, „selbst wenn ihnen kein gesetzliches Verbot entgegensteht". Damit widerspricht der Gemeinsame Ausschuss der 2014 vom Deutschen Hochschulverband verabschiedeten Resolution gegen Zivilklauseln: „Um der … denkbaren missbräuchlichen Verwendung von militärisch nutzbaren Forschungsergebnissen entgegenzutreten, stehen … mit dem Strafrecht, dem Kriegswaffenkontrollrecht und dem Außenwirtschaftsrecht wirkungsvolle Rechtsinstrumente bereit. Auch von daher bedarf es keines Eingriffs in die Wissenschaftsfreiheit."
Im Übrigen täte es der deutschen Wissenschaft gut, über den nationalen Tellerrand hinaus zu schauen, zum Beispiel nach Japan, das mit Deutschland vieles gemeinsam hat, einschließlich Bedrohungen in der Nachbarschaft und eine besondere historische Verantwortung für den Frieden.
Allerdings lehnt der Japanische Wissenschaftsrat wissenschaftliche Forschung für Kriegszwecke eindeutig ab. In seiner Erklärung 2017 nach intensiven Beratungen verabschiedeten Erklärung heißt es: „Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass die wissenschaftliche Forschung vor allem durch politische Kräfte oft eingeschränkt oder mobilisiert wird. Deshalb muss die Autonomie der Forschung, insbesondere die uneingeschränkte Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, gewährleistet sein. Es ist jedoch zu befürchten, dass die militärische Sicherheitsforschung zu einer verstärkten Einmischung der Regierung in die Aktivitäten der Forscher in Bezug auf die Ausrichtung der Forschung und die Wahrung der Vertraulichkeit führen könnte, sowohl während der Projektlaufzeit als auch danach."
Aus dieser Sicht sind Zivilklauseln Ausdruck von Wissenschaftsethik und gesellschaftlicher Verantwortung, gefährdet gerade die Militärforschung die Wissenschaftsfreiheit und sollte sich Wissenschaft ihrem kosmopolitischen Selbstverständnis, nicht einer rein national orientierten Militärforschung verpflichten.
Prof. Dr. Hartwig Hummel ist pensionierter Professor für Europapolitik und Internationale Beziehungen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und hat sich dort für eine Zivilklausel eingesetzt.