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Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina
von
Helsinki Watch, eine internationale Menschenrechtsorganisation, hat im August 1992 einen ersten Bericht über Kriegsverbrechen im Krieg in Bosnien-Herzegowina vorgelegt. Wir dokumentieren Auszüge aus der Einleitung, die gleichzeitig eine Einführung in die politische Situation Bosniens gibt.
Der Krieg, der in vollem Umfang seit Anfang April (1992) in Bosnien-Herzegowina wütet, ist durch extreme Verletzungen des internationalen humanitären Rechts gekennzeichnet. In der Tat werden die Regeln des Kriegsvölkerrechts mit zunehmender Häufigkeit und Brutalität im ganzen Land verletzt. Das Ausmaß der Gewalt, die von allen Seiten der Zivilbevölkerung angetan wird, ist erschreckend. Misshandlung von Gefangenen, Geiselnahme und Plünderung von zivilem Eigentum ist in ganz Bosnien-Herzegowina weit verbreitet. Die grundlegendsten Regeln zum Schutz von ZivilistInnen und medizinischer Einrichtungen werden in offensichtlicher Weise ignoriert. Die unterschiedslose Anwendung von Gewalt durch die serbischen Truppen hat exzessiven Nebenschaden und Verluste an zivilen Menschenleben gekostet. Eine Politik "ethnischer Reinigung" führte zu summarischer Hinrichtung, Verschwinden, willkürlichem Festhalten, Deportation und zwangsweiser Vertreibung von hunderttausenden von Menschen auf der Basis ihrer Religion oder Nationalität. Zusammengefasst läßt sich die Frage stellen, ob das Ausmaß an Gewalt und die Tatsache, daß sie sich an ethnisch/religiösen Linien festmacht, es zulässt, von Genozid zu sprechen.
Der Hintergrund
Die frühere jugoslawische Republik Bosnien-Herzegowina wurde von der internationalen Gemeinschaft am 6./7. April als unabhängiger Staat anerkannt. Ihr Name kommt von der Vereinigung zweier Provinzen, nämlich der Herzegowina (einer Region im Süd-/Südwesten der Republik) und Bosniens (alles Gebiet was nicht Herzegowina ist). Die Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas zählt 4,35 Millionen, von der - vor dem Krieg 43,7 Prozent slawische Moslems waren, 31,3 Prozent Serben und 17.3 Prozent Kroaten. Die verschiedenen ethnischen Gruppen waren im ganzen Land vermischt, obwohl in manchen Gegenden eine ethnische Gruppe eine nennenswerte Mehrheit stellte. Moslems waren die Mehrheit im extremen Nordwesten und in den östlichen Teilen Bosniens. Der nordwestliche Teil Bosniens und der östliche Teil der Herzegowina wird durch Serben dominiert. Die westliche Herzegowina wird hauptsächlich durch Kroaten bewohnt. Alle drei Gruppen lebten in Zentral-Bosnien.
Während der Vielparteien-Wahlen Ende 1990 entpuppten sich drei politische Parteien als Repräsentanten der verschiedenen ethnischen Gruppen des Landes: die hauptsächlich moslemische Partei "Demokratische Aktion" (SDA), die "Serbische Demokratische Partei" (SDS) und die Kroatische Demokratische Union (HDZ). Trotz serbischer Einwände erklärten die moslemischen und kroatischen VertreterInnen im bosnischen Parlament im Oktober 1991 die Souveränität des Landes. In der Folge begannen die ethnischen Spannungen zu wachsen. Die SerbInnen unterstützten die Fortsetzung der Union mit Jugoslawien und die KroatInnen und MoslemInnen in zunehmender Weise die Unabhängigkeit Bosniens.
Während des Krieges in Kroatien wurden Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee und serbische paramilitärische Kräfte in ganz Bosnien stationiert. In einigen Fällen belästigten serbische und jugoslawische Truppen Nicht-Serben. Spannungen und Gewaltausbrüche in der Republik nahmen zu. Ende Dezember 1991 beschlossen MoslemInnen und KroatInnen, die internationale Anerkennung Bosnien-Herzegowinas als unabhängigen Staat zu beantragen. Die SerbInnen wandten sich dagegen und erklärten Anfang Januar ihren eigenen Staat innerhalb Bosnien-Herzegowinas.
Am 29.Februar und 1. März 1992 fand ein Referendum über die Unabhängigkeit statt. Die moslemische und kroatische Bevölkerung stimmte überwiegend für die Unabhängigkeit, aber die meisten SerbInnen boykottierten die Abstimmung und erklärten sie für ungültig. Einige Serben in der bosnischen Polizei lösten sich von dem Kommando Sarajevos und formten ihre eigene Polizeitruppe. Gewalt brach während und nach des Referendums aus und eskalierte schließlich Anfang April zu einem vollen Krieg, als die internationale Gemeinschaft Bosnien-Herzegowinas Unabhängigkeit anerkannte.
Die Konfliktparteien und die Positionen der verschiedenen Seiten
Die verschiedenen ethnischen Gruppen und kriegführenden Parteien in Bosnien-Herzegowina sind durch die folgenden politischen Parteien und bewaffneten Kräfte vertreten:
* Die hauptsächlich moslemische Partei der Demokratischen Aktion, geführt von dem bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic, unterstützt einen unabhängigen multiethnischen Staat. Die Einheiten der bosnischen Territorialverteidigung, die ähnlich lokalen Bürgerwehreinheiten sind, sind die hauptsächlichen bewaffneten Kräfte, die auf Seiten der bosnischen Regierung kämpfen. Obwohl sie in erster Linie moslemisch sind, schließen diese Einheiten auch Kroaten und Serben ein.
* Die Serbische Demokratische Partei unter dem Vorsitz von Radovan Karadzic unterstützt die Aufteilung Bosnien-Herzegowinas in ethnische Kantone, die durch die Mehrheitsbevölkerung in jedem Gebiet regiert würden. Sie beansprucht 70 Prozent des Landes für die Bosnischen SerbInnen und überlässt die restlichen dreißig Prozent den MoslemInnen und KroatInnen zur Aufteilung. Im Januar verkündete Karadzic die Gründung eines separaten serbischen Staates innerhalb Bosnien-Herzegowinas, der enge Bindungen mit den jugoslawisch und serbisch kontrollierten Gebieten Kroatien eingehen würde und möglicherweise mit ihnen zusammengeschlossen würde.
* Als der Krieg in Bosnien-Herzegowina ausbrach, kämpfte die jugoslawische Armee ursprünglich auf der Seite der serbischen Truppen. Derzeit werden die serbischen bewaffneten Kräfte durch eine neugegründete Serbische Armee Bosnien-Herzegowinas vertreten. Achtzig Prozent dieser Armee bestehen aus Soldaten und Offizieren der Jugoslawischen Armee, die in der Republik blieben, um für die serbische Seite zu kämpfen, als diese Armee nach außen hin abgezogen wurde. Neben ihr operiert eine Vielzahl paramilitärischer Gruppen aus der Republik Serbien.
* Die Kroatische Demokratische Union ist in Bosnien-Herzegowina in zwei Fraktionen geteilt. Der gegenwärtige Führer der Partei, Mate Boban, wird im Allgemeinen als eine Marionette des kroatischen Präsidenten Tudjman angesehen. Im Juli rief Boban einen autonomen kroatischen Staat innerhalb Bosnien-Herzegowinas aus, der hauptsächlich, aber nicht nur, kroatische Gebiete des Landes umfasste. Boban repräsentiert ungefähr 35 Prozent der bosnischen KroatInnen. Die meisten von ihnen leben in dem vorrangig kroatischen Gebiet der westlichen Herzegowina.
* Der gemäßigtere Teil der Partei wird durch Stjepan Klujic vertreten, dem gegenwärtigen Vizepräsidenten Bosnien-Herzegowinas. Klujic unterstützt einen einheitlichen, multi-ethnischen bosnischen Staat und lehnt dessen Aufteilung in ethnische Kantone ab. Jlujic repräsentiert schätzungsweise 65 Prozent der bosnischen Kroaten, die meisten aus städtischen Gebieten und außerhalb der westlichen Herzegowina. Die kroatischen bewaffneten Truppen in Bosnien-Herzegowina umfassen den auf Bosnien begrenzten "Kroatischen Verteidigungsrat" (HVO) und Mitglieder der Armee der Republik Kroatiens.
Im Allgemeinen sind Moslems und Kroaten im gegenwärtigen Krieg verbündet. Die Regierungen der Republiken Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens haben einen Militärpakt geschlossen, um gegen die serbischen Truppen zu kämpfen. Die kroatischen und, zu geringerem Ausmaße, die moslemischen Truppen in Bosnien-Herzegowina erhalten wirtschaftliche, politische und militärische Unterstützung durch die Republik Kroatien. Gleichermaßen fährt die jugoslawische Regierung, besonders die Regierung der Republik Serbien, mit der militärischen, ökonomischen und politischen Unterstützung der serbischen Einheiten in Bosnien-Herzegowina fort.
Verletzungen des Kriegsrechts
Zu unterschiedlichem Ausmaß haben alle Konfliktparteien in Bosnien-Herzegowina das humanitäre Recht oder Kriegsrecht verletzt. Die kroatischen und moslemischen Kräfte haben Geiseln genommen, Personen unter ihrer Aufsicht misshandelt und Serben in den Gebieten, die sie kontrollieren, verfolgt. Die serbischen Kräfte haben die gleichen Vergehen begangen, aber auf einer breiteren Basis. Helsinki Watch fand heraus, daß die serbischen Truppen Nichtserben in den Gebieten, die sie kontrollieren, summarisch hinrichten, gefangenhalten und deportieren, um diese Gebiete von Moslems und Kroaten "ethnisch zu säubern". Helsinki Watch hat dokumentiert:
* Summarische Hinrichtungen von ZivilistInnen und Kampfunfähigen
* "Ethnische Säuberung" und erzwungene Flucht
* Verschwindenlassen von Tausenden von Menschen, zumeist Männern im kampffähigen Alter
* Geiselnahme durch alle Seiten, um die Geiseln gegen Soldaten oder militärische Zugeständnisse auszutauschen
* Misshandlung von Gefangenen durch alle Seiten
* Ziellose Gewaltanwendung durch serbische Truppen, vor allem Bombardieren von Städten und Dörfern
* Angriffe gegen medizinische und humanitäre Fahrzeuge und Personal
* Angriffe auf JournalistInnen
* Plünderung und andere Zerstörung von Privateigentum
* Anderes: z.B. Verwendung von Krankenhäusern als Waffendepots.
Human Rights Watch, 485 Fifth Avenue, New York, NY 10017. Übersetzung: cs