Kurdistan: ein deutsches Problem

von Mani Stenner
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Seit Erscheinen unseres letzten FriedensForums mit dem Schwerpunkt Kurdistan hat sich eine Menge getan - leider nicht zum Besten. Das Thema wird Menschenrechts-, Solidaritäts- und Friedensgruppen wohl noch lange beschäftigen. Aber auch die Bundesregierung und die Par­teien werden mit ihrer Komplizenschaft im Krieg der türkischen Regie­rung gegen die kurdische Bevölkerung weiter konfrontiert werden.

Der Kurde - Dein Feind!

Die deutschen Wahlkämpfer haben die kurdischen DemonstrantInnen zum in­nenpolitischen Feind ausgerufen. Es scheint nichts mies genug sein zu kön­nen, um Stammtisch-Ressentiments und den Zorn von an der freien Fahrt ge­störten Autofahrern zu schüren und für law and order-Wählerstimmen umzu­münzen. Unisono propagieren Kohl und Scharping die Auslieferung kurdischer "Straftäter" an den Folterstaat Türkei, auch nachdem wieder Berichte über Folterungen von abgeschobenen kurdi­schen Asylbewerbern vorliegen. De­monstrationen gegen Abschiebungen wie gegen den Krieg in Kurdistan wer­den quer durch die Republik verboten, es könnte ja dabei eine ERNK-Fahne geschwungen werden und das ist durch das Verbot zahlreicher kurdischer Orga­nisationen zu einer Straftat definiert worden.

Im Büro erhältlich:

*     FriedensForum 2/94 Schwerpunkt: Kur­distan, DM 4,- + 1,50 DM Porto

*     Dossier zur Beweislage deutsche Waf­fen in Türkisch-Kurdistan, DM 1,- Ko­pierkosten + 3,- DM Porto

*     Tatort II zu Kurdistan, (Broschüre, hg. von den Rü­stungsexportkampagnen) DM 8,- + 1,50 DM Porto

*     Flugblatt: "Kurdistan - Vernich­tung ei­nes Volkes, Deutschland ist dabei", 8 Seiten, (Hg.: Rüstungs­export­kampagnen, s.FF2/94)

Deutsche Waffen

Gleichzeitig wurden - auch eher ein Wahlkampfgag von Kinkel - die Restlie­ferungen deutscher Waffenlieferungen im Rahmen der "Sonderhilfe", also der Waffengeschenke an die Türkei, "vor­läufig ausgesetzt", bis zu Überprü­fung der neuen Belege für den Einsatz deut­scher Waffen in Kurdistan, die die zahl­reichen Beobachterdelegationen Ende März aus den kurdischen Provin­zen der Türkei mitgebracht hatten. Diese Be­richte hatten ein unerwartetes Medien­interesse hervorgerufen und da kommt es ganz gut, Menschenrechtler scheinbar ernst zu nehmen, besonders da die prak­tischen Konsequenzen gleich null sind. Die Sonderhilfe-Lieferungen waren bis auf ein paar Ersatzteile abge­schlossen, die NATO-Hilfe und alle an­deren Liefe­rungen an den NATO-Bünd­nispartner gehen weiter, direkt nach der Regie­rungserklärung von Kinkel z.B. die Ver­schiffung von Stinger-Raketen im Ham­burger Hafen. Weiter geht auch die Aus­rüstungs- und Ausbildungshilfe für die türkische Polizei und die Rambo-Son­dereinheiten sowie die enge Zu­sammenarbeit der deutsch-türkischen Geheimdienste. Für die marode Türkei ist dazu das Wirtschaftspaket noch wichtiger, das Tansu Çiller von ihrem Bonn-Besuch im letzten September zu­rückbrachte. Die Bundesrepublik hat im Krieg gegen die Kurden faktisch Kom­battantenstatus, von dem das Außenamt mit dem unwichtigen "vorläufigen Lieferstopp" ablenken wollte. In der Regie­rungserklärung werden die neuen Be­weise nach alter Manier schon wieder angezweifelt. Jetzt will man offenbar die lächerliche Ausrede akzeptieren, daß die deutschen Waffen im Kurdengebiet "nur zur Sicherung der Grenzen, insbe­sondere zum Irak und zu Syrien einge­setzt" werde. Dies wurde schon beim Gespräch im Auswärtigen Amt u.a. mit Fo­tos widerlegt, die deutsche Panzer aus NVA-Beständen im Innenhof des Ge­fängnisses von Diyarbakir zeigen.

Was tun!

Die trostlose Situation in Türkisch-Kur­distan sowie die innenpolitische Aus­einandersetzung um die geplanten Ab­schiebungen und den billigen Wahl­kampf auf dem Rücken der hier leben­den Kurden wirft viele Fragen zu unse­ren Möglichkeiten sinnvoller Weiterar­beit auf. Gegen die geplanten Abschie­bungen, die Bayern zuerst durchführen will, kann und sollte ein breiter gesell­schaftlicher Protest entstehen. Hier kön­nen Gruppen weit über die "üblichen" Kreise hinaus zusammenarbeiten. Dabei gilt es auch durchzusetzen, daß Veran­staltungen und Demonstrationen zum Thema Kurdistan in der Bundesrepublik noch legal möglich sind. Geplant sind zwischen den verschiedenen Gruppen, die zu NEWROZ 94 Delegationen ent­sendet haben, auch Gespräche über miteinan­der koordinierte regelmäßige Präsenz in Türkisch-Kurdistan.

Für eine intensivere Zusammenarbeit von Menschenrechts- und Solidaritäts­gruppen hängt einiges sicher auch von den wieder angelaufenen Gesprächen zwischen kurdischen Organisationen ab. Dabei spielen die Vorschläge der inter­nationalen Konferenz in Brüssel vom März 94 eine konstruktive Rolle, die auch von der PKK ausdrücklich getra­gen werden und u.a. beiderseitigen Waf­fenstillstand und Aufnahme von Ver­handlungen verlangen. Die PKK macht dabei sehr deutlich, daß sie bei Ver­handlungen eine Lösung innerhalb des Staates Türkei anstrebt, also nicht auf einen eigenen Kurdenstaat setzt.

Der von deutschen Menschenrechts- und Friedensgruppen gebildete Träger­kreis "Kurdistan: Schweigen tötet - Frieden jetzt!" will in nächster Zeit die Aufmerksamkeit auf die oben angespro­chene laufende Beihilfe der Bundesre­publik zum Völkermord lenken und für den Stopp der NATO-Hilfe, aller Waf­fenlieferungen in das "Spannungsgebiet Türkei" und der Ausrüstungs-, Ausbil­dungs- und Geheimdiensthilfe werben. Dazu soll auch die "Lobbyarbeit" ver­stärkt werden. Die Fraktionen des Bun­destags sind um Gesprächs­termine ge­beten worden.

Die Trägerkreis-Gruppen treffen sich regelmäßig zu Arbeitssitzungen, an denen alle Interessierten mitwirken können. Sicher wird aber auch noch zu größeren Beratungstreffen eingeladen. Interessenten können die aktuellen Pla­nungen und Termine im Büro abfragen bzw. in den entsprechenden Informati­onsverteiler aufgenommen werden.

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