Poesie und Politik

Kurt Tucholsky

von Reinhold Lütgemeier-Davin

Welche Rolle kann ein bürgerlicher Intellektueller in der Friedensbewegung spielen? Konflikt- und widerspruchsfrei kann seine Rolle nicht sein, ganz und gar nicht die eines Querdenkers wie des scharfzüngigen Satirikers Kurt Tucholsky (1890-1935).

Unabhängig wollte er sein in einem Zwischenraum verfeindeter sozialistischer Brüder. Die kleinen Organisationen zwischen SPD und KPD sollten helfen, die Zersplitterung der Arbeiterbewegung zu überwinden und den Sieg des Faschismus zu verhindern. Solidarität statt Einbindung, Sympathie statt Unterordnung, wortgewaltige Unterstützung statt Ausrichtung an einer Parteiräson waren Tucholskys Konsequenzen.

Sein intellektuelles Potential einsetzen für eine friedliche Außenpolitik, für Antimilitarismus, für eine gerechte Sozialpolitik – dazu fühlte sich Tucholsky berufen. „Helfer“ und „Motor“ wollte er sein, nicht „Führer“ und „Funktionär“. Irgendwo zwischen SPD und KPD changierend, trat er für einen radikalen Pazifismus und die Verteidigung demokratischer Rechte ein. Angriffslustig war dieser Pazifismus, ausgerichtet auf die mitunter beißend scharf formulierte Entheroisierung des Krieges, seiner Förderer und Helfershelfer:

„Die Militaristen irren. Es ist gar nicht die Aufgabe der Pazifisten, sie zu überzeugen – sie sollen vielmehr in einem Kampf, der kein Krieg ist, besiegt, nämlich daran gehindert werden, über fremdes, ihnen nicht gehöriges Leben zu verfügen. Man mache sie unschädlich; einzusehen brauchen sie gar nichts.“ (1931)

Keine politische Abstinenz, kein Verharren im literarischen Elfenbeinturm! In den letzten Kriegsmonaten des Ersten Weltkrieges hatte Tucholsky den Weg zum Politischen gefunden. Woche für Woche mischte er sich ein, lieferte geistiges Rüstzeug für die Verteidigung einer demokratischen, sozialen, friedliebenden Republik.

Kritik ist der Beruf des Intellektuellen; mitunter zersetzende, verletzende, leidenschaftliche Kritik, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten einer dumpfen Masse. Den Intellektuellen fällt die Kompetenz, ja die Verpflichtung zu, schonungslos zu kritisieren. Kritik ist das Lebenselixier, die Existenzberechtigung jedes Intellektuellen - davon war Tucholsky überzeugt.

Wo sollte der Intellektuelle politisch stehen? Im Winter 1918 war das für Tucholsky noch nicht eindeutig. Er schimpfte gegen die Ewiggestrigen, gegen die Kriegsgewinnler, gegen die biederen Bürger, gegen die Militaristen, aber auch für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht konnte er zu deren Lebzeiten kaum Sympathien aufbringen. Die Straßenkämpfe in Berlin waren ihm suspekt. Mitunter widersprüchlich waren seine Zeitungsbeiträge. Polemisierte er einerseits im „Ulk“ gegen Liebknecht, würdigte er in der „Weltbühne“ dessen revolutionären Elan. Er taktierte unsicher zwischen den Fronten. Sympathie für die demokratische Ordnung und zugleich für liberal-aristokratische Vorstellungen - irgendwie passte dies noch nicht zusammen.

In seinem Grundsatzartikel Wir Negativen (März 1919) formuliert er:

„Wenn Revolution nur Zusammenbruch bedeutet, dann war es eine; aber man darf nicht erwarten, daß die Trümmer anders aussehen als das alte Gebäude. (…)

Der unbedingten Solidarität aller Geldverdiener muß die ebenso unbedingte Solidarität der Geistigen gegenüberstehen. (…)

Wir wissen wohl, daß man Ideale nicht verwirklichen kann, aber wir wissen auch, daß nichts auf der Welt ohne die Flamme des Ideals geschehen ist, geändert ist, gewirkt wurde. (…)

Negativ? Viereinhalb Jahre haben wir das fürchterliche Ja gehört, das alles gut hieß, was frecher Dünkel auszuführen befahl. (…)

Negativ? Blut und Elend und Wunden und zertretenes Menschentum - es soll wenigstens nicht umsonst gewesen sein. Laßt uns auch weiterhin Nein sagen, wenn es not tut!“

Nein-Sagen hieß Produktiv-Sein: Artikel, Glossen, Gedichte schreiben, Woche für Woche. Nein-Sagen hieß Ja-Sagen zum Eintritt in antimilitaristische, demokratische und kulturpolitische Organisationen, hieß Bekenntnis: Er war im Vorstand des „Schutzverbandes deutscher Schriftsteller“. Er zählte sich zum Bund „Neues Vaterland“, der nachmaligen „Deutschen Liga für Menschenrechte“, trat der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei bei, initiierte eine Spendenaktion für die politischen Gefangenen in Bayern, trat öffentlich auf bei Lesungen und in politischen Versammlungen.

Die Instrumentalisierung des Kriegserlebnisses einfacher Soldaten im humanitären Sinn wollte Tucholsky erreichen. Und bei diesem Engagement ging Tucholsky auf öffentlichen Kundgebungen das Risiko bewusster Konfrontation mit unbelehrbaren Nur-Militärs ein. Tucholsky gehörte zu den Mitbegründern des „Friedensbundes der Kriegsteilnehmer“, der unter der Parole „Nie wieder Krieg“ alljährlich am Tage des Kriegsausbruchs Massenversammlungen organisierte.

Die Kundgebung am 1.8.1920 in Berlin stellte einen beachtlichen Protest gegen die Wiederholung eines neuen Krieges dar; sie warb für die Verständigung mit Frankreich, für Völkerverbrüderung und Völkerversöhnung. Bis zu 80.000 Menschen waren gekommen.

1921 wurden die Kundgebungen international, regional und anzahlmäßig erheblich ausgeweitet, sowie auf eine breitere politische Grundlage gestellt. Die beiden sozialdemokratischen Parteien und die Freien Gewerkschaften unterstützten sie neben den pazifistischen Verbänden. Zwischen 100.000 und 200.000 Menschen beteiligten sich in Berlin, im gesamten Reich ca. 500.000.

Tucholsky geißelte in einem Gedicht anlässlich des Nie-wieder-Krieg-Tages die ehemaligen Kriegstreiber.

Durch anonyme Morddrohungen, die Tucholsky erreichten, ließ er sich nicht einschüchtern. Zusammen mit dem Journalisten Karl Vetter bereitete er für den 11. August 1921 im Berliner Lustgarten eine große Feier für den „Geburtstag der Reichsverfassung“ vor. Statt der erwarteten 50.000 Besucher kamen über 500.000.

Der kurzfristige Erfolg war überwältigend. Die eindrucksvolle Manifestation gegen rechtsradikale Morde und für die Festigung der Republik war u. a. Tucholskys Verdienst. Dennoch: Es blieb eine grundlegende Erfahrung Tucholskys, dass kurzfristige Erfolge oft ohne langfristige Wirkung blieben.

Für die Nie-wieder-Krieg-Kundgebungen 1922 hatten die Sozialdemokraten ihre Mitwirkung versagt, offensichtlich, weil sie sich die Parteispitze nicht den unabhängigen Organisation unterordnen wollten. Erfolgreich waren die Manifestationen dennoch.

Sowohl die Berliner Demonstration als die Kundgebungen im Reich wurden mit der Rezitation des Gedichtes „Drei Minuten Gehör!“ von Tucholsky eröffnet, in dem er Arbeiter, Kriegsverletzte, Frauen, Junge und Alte an ihre Kriegserlebnisse erinnert, um daraus die Folgerung nach „Nie wieder Krieg“ zu ziehen. Der Rezitation folgten Ansprachen bekannter Persönlichkeiten von unterschiedlichen Stellen des Berliner Lustgartens aus. Albert Einstein war demonstrativ in einem Paradewagen erschienen.

Ruhrbesetzung, Inflation, die Uneinigkeit der Demokraten und andere Faktoren führten ab 1923 zu einem Niedergang der großen Nie-wieder-Krieg-Kundgebungen. Für linke Intellektuelle wurde das politische Klima immer ungünstiger. Kurt Tucholsky ging den Weg Heinrich Heines: Im April 1924 verließ er Deutschland Richtung Paris, um in der Folgezeit nur noch als Besucher zurückzukehren. Von seinem selbst gewählten Gastland Frankreich aus kommentierte er weiter beflissen, manchmal verbissen die politische Entwicklung in Deutschland.

Ging es gegen Militarismus, Monarchismus und Kriegsgefahren, war Tucholsky mit der Feder zur Stelle. Er stritt für eine entschädigungslose Enteignung der Fürsten, wetterte gegen Justizwillkür, setzte sich für die Humanisierung des Strafvollzugs und gegen die Todesstrafe ein. Um die deutsch-französische Verständigung zu fördern, traf er sich mit hochrangigen französischen Politikern.

In der Zeit der Quasi-Emigration blieb Tucholsky zwar formell Mitglied pazifistischer Vereine;  Organisationsarbeit war von ihm allerdings nicht zu erwarten. 1926 trat er der „Gruppe Revolutionärer Pazifisten“ bei. Ab 1927 gehörte er zum Zentralvorstand der „Roten Hilfe Deutschland“; sie war ihm - als promovierter Jurist - ein bedeutender Bündnispartner im Kampf gegen Klassenjustiz. Dabei identifizierte sich Tucholsky zwar nicht mit den kommunistischen Ideen der Inhaftierten, verstand aber seinen Einsatz für sie als humanitär und zur Sicherung von Menschen- und Bürgerrechten absolut notwendig - trotz verdeckter polizeilicher Überwachung.

Der Wochenzeitung „Das Andere Deutschland“ des rührigen Verlegers Fritz Küster lieferte Tucholsky viele seiner bissigen Kolumnen. Am 1.8.1925 stellte Tucholsky dort unmissverständlich fest:

„Gefühle von Mördern bedürfen keiner Schonung. Auf die zarten Seelen von verkleideten Sanitätsräten sei keine Rücksicht genommen. Wer im Kriege getötet wurde, ist nicht zu feiern, sondern aufs tiefste zu bedauern, weil er für einen Dreck gefallen ist. Der Feind steht nicht drüben, sondern hüben. Die Wehrpflicht und der Zwang zur Herstellung von Mordmitteln ist auch gegen das Gesetz zu verweigern.“

Kurt Tucholsky war kein Vereinsmensch, kein begnadeter Organisator, keiner, der sich verein-nahmen ließ. Er war sich, seinen Ideen verpflichtet. Frei denken und schreiben – das passte nicht zum Einfügen in eine Parteidoktrin oder zur Einbindung in einen Verein. Unmissverständlich warnte er vor dem menschen-verachtenden Nationalsozialismus. Er war wichtiger Transmissionsriemen für pazifistische Ideen und damit ein zuverlässiger Förderer der Weimarer Friedensbewegung. Zur Galionsfigur reduzieren ließ er sich nicht. Er war ein organisationsscheuer Außenseiter, aber ein gewichtiger, einer, der gehört wurde und dessen die Weimarer Republik so dringend bedurfte.

 

Literatur
Friedhelm Greis/Ian King (Hg.): Der Antimilitarist und Pazifist Tucholsky. St. Ingbert 2008

Karl Holl/Wolfram Wette (Hg.): Pazifismus in der Weimarer Republik. Paderborn 1981

Karlheinz Lipp/Reinhold Lütgemeier-Davin/Holger Nehring (Hg.): Frieden und Friedensbewegungen in Deutschland 1892-1992. Essen 2010

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Dr. Reinhold Lütgemeier-Davin, Jg. 1951, Studiendirektor in Kassel, Mitglied im „Arbeitskreis Historische Friedensforschung“.