
Verlängerung bis Sonntag: Mehr als 1.300 Menschen haben unseren Ostermarsch-Aufruf, der in der taz, der Zeit und im Freitag erscheinen wird, bereits unterzeichnet. Bist du auch schon dabei?
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Die Anfrage der Redaktion, ob ich zu dem Thema einen Artikel schreiben kann, kommt zu einem Zeitpunkt, in dem ich sehr verunsichert bin:
Gibt es überhaupt noch Leute, die die Bereitschaft und den Anspruch haben, selbstorganisiert zu lernen? Ist nicht für mehr und mehr Menschen in Basisinitiativen "Lernen" ein Eingeständnis von Schwäche und Inkompetenz? Bleibt nicht für viele der Alltag mit seinen Tausenden von Lernmöglichkeiten außen vor und wird dadurch den Herrschenden und ihren Gefolgsleuten als Experimentier- und Handlungsfeld überlassen?
Gesprochene oder geschriebene Worte, die sich gegen solche Tendenzen richten, die kritisieren, ermutigen und Wege aufzeigen, werden oft nur zustimmend zur Kenntnis genommen und dann "abgeheftet". Warum trotzdem solch ein Artikel?
Lebenlernen unter dem Zwang der Krise (Gronemeyer)
Die sozialen Bewegungen haben mir Erfahrungen ermöglicht, die mein Lebensgefühl, meine Hoffnungen, meine Fähigkeiten, mein Wissen, kurz, meine "reale Utopie" stark beeinflußten. Ich habe umfassender und tiefergehender leben gelernt; diese Ein-Prägungen kann ich versuchen zu verdrängen oder aber konstruktiv zu nutzen: durch "kundige Unzufriedenheit" (Gronemeyer) in meiner Phantasie für Alternativen, in neuen Denkmodellen, in der Weiterentwicklung meiner echten Bedürfnisse. Lernen wurde für mich zu einem Stück meiner selbst, etwas Faszinierendem, aber auch Brisantem, zu einem Stück Risiko.
Anfangs war der Freizeitbereich mein Experimentierfeld; die relativ homogene Basisinititative gab Schutz und Rückhalt. Durch gemeinsames und bewußtes Lernen in der Gruppe, durch Trainings in Gewaltfreier Aktion und durch die reflektierten Erfahrungen bei vielfältigen Aktionen konnte sich in mir das entwickeln, was ich unbedingt in den Alltag übertragen mußte, um der "realen Utopie" näherzukommen.
Der Alltag als Bewährungsprobe
Ich habe gelernt und erfahren, wie wir in politischen Freizeitgruppen unsere Arbeitsinhalte selbst bestimmten. Dabei ließen wir uns von politischen Notwendigkeiten und persönlichen Interessen leiten. Einflußnahmen von außen (z.B. über die Raumnutzungserlaubnis der Stadt oder über Elternverbote) konnten wir erfolgreich abwehren.
Die Möglichkeiten für eine Übertragung dieser Lernfahrungen in den Alltag sind vielfältig, bringen aber häufig Angriffe mit sich, denen ich nicht selten alleine ausgesetzt bin: Initiativen in der Nachbarschaft stoßen auf psychisch spürbares Mißtrauen oder sogar auf Angriffe (z.B. Gekritzel im Hausaufzug: xy raus aus dem Haus!). Am Arbeitsplatz setzt mich mein Vorgesetzter unter Druck, heikle Themen nicht öffentlich zu machen, "weil es dem Image schadet". In der Gewerkschaftsgruppe sind Themen, die offensichtlich bei allen den Alltag bestimmen, "für eine Gewerkschaft nicht relevant".
Anders als in der Freizeitgruppe bin ich gezwungen, die mir wichtigen Themen, Inhalte und Ziele gegen andere, oft "hierarchisch legitimierte" Interessen durchzusetzen und dabei täglich spürbare Sanktionen zu riskieren. Mein Lernen ist mit mehr Angst besetzt, weil meistens kein Gruppenschutz da ist; es geht "unter die Haut", weil es meine Psyche alltäglich belastet und Anonymität nicht zuläßt; es verlangt von mir Durchhaltevermögen, weil die Gewaltstrukturen nicht durch einen einmaligen, spektakulären Akt infragezustellen sind.
Lernen wie und wohin?
Neben den oben angedeuteten Lernmöglichkeiten in Gruppen der sozialen Bewegungen gibt es - je noch Arbeitsweise der Gruppen - vielfältige andere Lernfelder, die nur darauf warten, in den Alltag übertragen zu werden. Die dabei entstehenden Konflikte sollen keinesfalls verschwiegen werden; sie müssen Rückwirkungen auf das Lernen in und mit den Gruppen haben, können Reflexionen über Transfermöglichkeiten erzwingen und so einen phantasievollen Realitätsbezug anregen. Dazu einige Stichworte: Zielgerichtetes Arbeiten, kollektives Arbeiten, Entscheidungsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Erkennen komplexer Zusammenhänge, prozeßhaftes Lernen, Einbeziehung von Emotionalität und Sinnlichkeit, Aufbau kleiner Netze...
Weder das "Wie" und das "Wohin" des Lernens noch die Orte "Gruppentreffen" und "Alltag" (Arbeitssituation, Wohnsituation, ...) dürfen voneinander getrennt werden, wenn unsere Arbeit nicht Spielwiese ohne grundlegende gesellschaftliche Auswirkungen sein soll.
Dazu einige weiterführende Lernhinweise und die gleichzeitige Aufforderung, "Lernen" wieder zu unserem Thema zu machen und einen gemeinsamen Weg zu suchen: