Leserbrief

von Werner Rätz
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Liebe Freundinnen und Freunde,

nach langer Zeit scheint es mir nötig, wieder einmal einen Artikel aus dem Friedensforum zu kommentieren, macht er doch überdeutlich, dass ihr euch nach wie vor um die entscheidende Lehre aus 10 Jahren Krieg mitten in Europa drückt:

Andreas Buros Bezug auf die Kategorie "Volk" zeigt ein Dilemma, aus dem die Friedensbewegung so niemals herausfinden wird: Er begreift "die Albaner" als "ethnische Großgruppe", die - wie andere auch - unter den Nationalstaatsbildungen ihrer Nachbarvölker zu leiden hatte bis hin zur systematischen Unterdrückung. Nun soll gar nicht bestritten werden, dass Nationalstaatsbildung, erst recht wenn sie unter Bezug auf "Volkstum" ("Titularnationen", wie Andreas sagt) geschah, andere ausgrenzte, unterdrückte, erst zu Anderen und dann auch zu sozial Unterdrückten machte.

In dieser Rolle finden sich aber auf dem Balkan so ziemlich alle "ethnischen Großgruppen" zumindest in Teilen wieder, die kleinen erst recht. Selbst Serben lebten nach der Zersplitterung Jugoslaviens in vielen Staaten als "Minderheiten"; heute leben sie da gewöhnlich gar nicht mehr. Unbestreitbar gab es im alten Jugoslavien eine Reihe von Ungerechtigkeiten und offenen Problemen. Aber mit "nationalen" Kategorien sind die nicht fassbar: Andreas Buro bezieht sich auf das Kosovo als Armenhaus Jugoslaviens - was zutrifft; die damalige nationalistische Bewegung in Slovenien und Kroatien tat das auch und gründete ihren Separatismus genau darauf: Die armen Regionen Jugoslaviens waren nämlich die größten Empfänger der bundesstaatlichen Transferzahlungen, die die nördlichen Republiken nicht mehr leisten wollten. Hier wurde tatsächlich "die nationale Frage auch zur sozialen", aber aus Sicht der Reichen! Dieser von der deutschen Friedensbewegung in ihrer großen Mehrheit damals fröhlich unterstützte Wohlstandsnationalismus trägt die Hauptverantwortung für die Zerstörung des nicht auf ethnischen, völkischen Kategorien aufgebauten Jugoslavien.

Die so erfolgte "Nationalstaatsbildung" war genau der entscheidende äußere Anlass, an dem sich Krieg und Gewalt entzündeten. Unterdrückung und Verfolgung werden nicht geringer, wenn die Nationalstaatsbildung historisch später geschieht. Der nationalistische Hass, mit dem große Teile der kosovo-albanischen Bevölkerung alle "Anderen" verfolgt, spricht Bände. Und er ist nicht neu: Ein ethnisch reines Kosovo war schon das Ziel, lange bevor die innerjugoslavische Rechtsstellung der Provinz mit der Aufhebung der Autonomie verschlechtert wurde.

Auch die Formen, in denen für dieses zutiefst inhumane Ziel gekämpft wurde, haben sich nicht verändert: Schon 1993 hatte Rugova, der angeblich so friedliche, erklärt, wenn der Westen nicht endlich (selbstverständlich auf militärischem Wege) die Unabhängigkeit des Kosovo herstelle, würden die Opferbilanzen der bisherigen jugoslavischen Aufteilungskriege gegen das, was im Kosovo geschehe, harmlos aussehen. Von Anfang an hantierte die kososvo-albanische Führung mit dem Elend und Tod der "eigenen" Bevölkerung als moralischem Erpressungsmittel, um ein militärisches Eingreifen des Westens zu ihren Gunsten zu erreichen. In ihren nationalistischen Positionen fehlten von Anfang an jegliche sozialen oder sonstwie "fortschrittlichen" Bezüge. Immer ging es nur um die Kategorie "Albanertum" und "nationale Unterdrückung".

Dass der überwiegende Teil der Friedensbewegung darauf hereingefallen war, erleichterte dann den Kriegstreibern 1998/99 ihr Handwerk ungemein; sie brauchten nur noch die friedensbewegten Formulierungen aufzugreifen und zuzuspitzen. Es ehrt die Friedensbewegung, dass sie dem als Personen und als Bewegung widersprochen und sich ehrlich gegen den Nato-Krieg engagiert hat. Aber ihr positiver Bezug auf die Kategorien "Volk" und "Nationalstaat" und "nationale Selbstbestimmung" machte sie ideologisch gegen ihren Willen zum Teil der Kriegsstrategie der (nicht nur albanischen) Nationalisten.

Und in der Hilflosigkeit, mit der sie vor dem Nato-Krieg stand, wird sie verharren, wenn sie sich nicht von allen nationalen Bezügen löst.

Mit freundlichen Grüßen, Werner Rätz

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Werner Rätz ist aktiv bei der Informationsstelle Lateinamerika in Bonn und für diese im Koordinierungskreis von Attac Deutschland, ebenfalls im Blockupy-Kokreis. Webseite: www.werner-raetz.de