Libyen nach Gaddafi

von Lindsey German Andrew Murray
Krisen und Kriege
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Der Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen ist ein weiterer Wendepunkt in dem, was ein wirklich bemerkenswertes Jahr im Nahen Osten war. Der Sieg der Rebellen, unterstützt durch eine sechsmonatige Bombenkampagne der NATO, die von der britischen und französischen Regierung initiiert worden war, markiert auch die Rehabilitierung einer nach den Debakeln im Irak und Afghanistan diskreditierten Doktrin – der der “humanitären Intervention”.

Die Niederlage Gaddafis wird jetzt dazu benutzt, Militäraktion dadurch zu rechtfertigen, dass sie den arabischen Revolutionen geholfen habe. David Cameron erklärte vor Downing Street am 22. August: “Dies ist nicht unsere Revolution gewesen, aber wir können stolz darauf sein, dass wir unseren Teil beigetragen haben.”

Die Heuchelei von Cameron verschlägt einem die Sprache, wenn man an die Rolle der britischen und anderer Regierungen bei der Unterstützung von Diktatoren und Despoten in der Region denkt. Unterstützung, die an manchen Orten durch Aktionen des arabischen Volkes selbst beendet wurde.

Die NATO-Intervention erfolgte nicht aus idealistischen Gründen. Es ging um Regime-Wechsel, so dass eine Führung Gaddafi ersetzen kann, die akzeptabler für die westlichen Regierungen ist.

Bis zum Ende setzte die NATO auf einen militärischen Sieg und darauf, den Transitional National Council (TNC) – die Bengasi-Verwaltung – durch Waffengewalt an die Macht zu bringen. Alle Vorschläge, durch Gespräche eine politische Lösung zu erreichen – sei es innerhalb Libyens oder von außen – wurden ins Abseits gedrängt.

Während viele LibyerInnen das Ergebnis begrüßen dürften und froh sein werden, das Ende Gaddafis zu sehen, so hat es doch eine Reihe von negativen Aspekten:

Aus internationaler Sicht ist das Bedeutsamste, dass die Regierung eines weiteren arabischen Landes durch externe Gewalt der großen imperialen Mächte ausgetauscht wurde. Es gibt keinen wirklichen Anhaltspunkt dafür, dass der TNC ohne Hilfe an die Macht gekommen wäre. Die militärische Intervention der NATO, die das Mandat der Vereinten Nationen überschritten hat, war entscheidend.

Dies wird nicht das Ende der Geschichte sein. Die Erfahrung des Iraks lehrt uns, dass der Umsturz eines Regimes unter solchen Umständen keineswegs das Ende des Krieges bedeutet. Ob jene, die Gaddafi unterstützt haben, ohne Widerspruch die Autorität einer neuen Regierung, die unter solchen Umständen aufgezwungen wurde, akzeptieren werden, ist fraglich.

Was immer auch geschehen wird, die tiefen Gräben innerhalb der libyschen Gesellschaft bleiben. Auch dürfte der TNC angesichts der Tatsache, dass er ein Amalgam von Mächten ist, die von demokratischen bis zu islamistischen Führungspersonen und bis zu jenen, die direkte Diener westlicher Interessen sind, reichen, weder die Fähigkeit besitzen, bestehende Unterschiede zu lösen noch die Fähigkeit, das Entstehen neuer innerhalb seiner eigenen Ränge zu verhindern.

David Cameron definierte die wichtige Rolle, die Großbritannien und andere westliche Mächte in Libyen zu spielen erwarten, und in wie vielen Details diese Aufgaben geplant wurden, einschließlich von ‘Stabilisierungsexperten, die sich seit Monaten auf diesen Moment vorbereitet haben’.

Unter diesen Umständen muss die Hauptforderung heißen, jede Form der Einmischung der NATO in Libyen zu beenden – nicht nur das Ende der Bombardierung, sondern den Abzug der Spezialkräfte und ein Stopp aller Arten der politischen Einmischung. Die einzige Lösung der Krise in Libyen kann eine libysche Lösung sein. Die jüngste Geschichte, von Irak bis Afghanistan, lehrt auch dieses.

Darüber hinaus müssen wir die Gefahr erkennen, dass selbst ein vorübergehender ‘Erfolg’ in Libyen die US-, britische und französische Regierung ermutigen mag zu glauben, dass die Idee des “liberalen Interventionismus”, die nach Irak diskreditiert war, auf breiterer Ebene wiederbelebt werden kann. Natürlich, egal wie er enden mag, hat der libysche Konflikt sich nicht so entwickelt wie erwartet, und keiner der Anführer der Aggression hat es gewagt, Bodentruppen zu entsenden. Trotzdem ist die Gefahr, die Intervention als Teil eines Programms, den “Arabischen Frühling” zu kontrollieren und zu unterdrücken, nicht auszuschließen. Gegen sie muss mobilisiert werden.

Die alten Herrscher werden nicht vermisst werden, falls und wenn sie gehen. Die entscheidenden Fragen – echte demokratische und volksnahe Regime in der arabischen Welt, der Ausschluss der Einmischung durch Großmächte in der Region und Gerechtigkeit für das palästinensische Volk – bleiben offen und fordern unsere Solidarität.

Der Text wurde am 22. August 2011 veröffentlicht. Quelle: http://stopwar.org.uk. Übersetzung: Redaktion.

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Lindsey German, Nationaler Koordinator der Stop the War Coalition.
Andrew Murray ist Vorsitzender der Stop the War Coalition.