"Aufstand für Frieden"

Manifest und Demo – beide umstritten

von Marvin Mendyka
Initiativen
Initiativen

Zwischen 13.000, so die Polizei, und 50.000 Menschen, laut Angaben der Veranstalter*innen, folgten am 25. Februar dem Aufruf Sarah Wagenknechts und Alice Schwarzers zum „Aufstand für Frieden“ nach Berlin. Bereits im Vorfeld wurde die Veranstaltung heiß diskutiert – und das nicht nur innerhalb der Friedensbewegung, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit. Während eine Reihe von bekannteren Personen aus der Friedensbewegung zu den Erstunterzeichner*innen des „Manifests“ zählten, distanzierten sich andere Organisationen wie die DFG-VK und WILPF von der Kundgebung. Wieder andere waren als Erstunterzeichner*innen des „Manifests für den Frieden“ mit von der Partie, distanzierten sich dann aber von der Kundgebung.

Was war da los? Im Folgenden gilt es fünf Beobachtungen zum „Aufstand für Frieden“ festzuhalten.

1. Täter*innen-Opfer-Vermischung und weitere Unklarheiten im „Manifest für Frieden“
Nachdem Schwarzer und Wagenknecht im Februar ihr Manifest veröffentlichten, folgten schnell überhitzte Diskussionen. Nicht alle Punkte, die kritisiert wurden, sind tatsächlich so kontrovers, wie sie dargestellt wurden. Zunächst gilt es festzuhalten, dass es natürlich nicht skandalös ist, wenn man sich für ein schnelles Ende des Krieges durch Verhandlungen ausspricht. Die meisten Kriege enden so. Dennoch vermittelt das Manifest ein Bild vom Krieg, welches die Täter*innen- und Opferseite in diesem Krieg auf bizarre Weise vermischt. Der Journalist Andreas Zumach wies im Interview mit Tilo Jung im März auf die zahlreichen Passiv- und Partizipkonstruktionen hin, wie etwa: „Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt […]“. Diese spezifischen Taten können nur von einer Seite begangen werden, warum also dies nicht benennen? (1)

Auch an anderer Stelle bleibt das Manifest vage: bei der Frage der Waffenlieferungen. Spricht sich das Manifest gegen Waffenlieferungen aus? Nein. Es spricht sich gegen die „Eskalation der Waffenlieferungen“ aus. Schwarzer selbst betonte kurz vor dem „Aufstand“, Russland müsse sich aus den besetzten Gebieten zurückziehen, bevor man sagen könne, man liefere keine Waffen mehr. (2) Auch Johannes Varwick, der zeitweise Erstunterzeichner des Aufrufs war, stellte bei „Markus Lanz“ am 28. Februar klar, es gehe im Manifest nicht darum, keine Waffen an die Ukraine zu liefern. Es ist erstaunlich, dass das Manifest mit dieser Unklarheit eine so große Unterstützung aus der Friedensbewegung erhalten hat, während sich manche Friedensorganisationen schwertun, zu sagen, ob und wenn ja, wie viele Waffen für die Ukraine vertretbar seien.

2. Das Thema Verhandlungen in den Reden von Schwarzer und Wagenknecht
Die sowohl bei der Kundgebung als auch im Vorfeld und danach vorgetragene Darstellung von Wagenknecht, warum bisherige Verhandlungsinitiativen zur Beendigung des Krieges in der Ukraine gescheitert sind, sind hochgradig fragwürdig. Mehrfach verwies die Linken-Politikerin auf Gespräche, die es kurz nach dem 24. Februar 2022 unter Leitung des früheren israelischen Premierministers Naftali Bennett gab. Eindeutig seien diese am Westen, namentlich an den USA und Großbritannien, gescheitert. Wagenknecht lässt dabei aber aus, dass die Chancen auf einen Waffenstillstand selbst von Bennett deutlich geringer eingeschätzt wurden. Außerdem gab es bei den Verhandlungen weiterhin große Unklarheiten über zentrale Fragen, wie mögliche Sicherheitsgarantien des Westens für die Ukraine und die territoriale Frage. (3)

3. Verständnis für Russland, Empathielosigkeit für die Ukraine?
Wie die Medien über eine Veranstaltung berichten, liegt letzten Endes nicht in der Hand der Veranstalter*innen. Viele der Berichte über den „Aufstand“ schießen übers Ziel hinaus. Dennoch haben sowohl die Organisator*innen als auch die Teilnehmenden mehr als genug Futter für berechtigte Kritik gegeben. Was ist das für eine Friedens-Kundgebung, bei der Teilnehmende mit Pfiffen und Buh-Rufen reagieren, wenn die Versammlungsauflage verlesen wird, dass keine russischen, militärischen Zeichen gezeigt werden dürfen?

4. „Hauptsache, es trifft nicht uns“
Man sollte annehmen, dass es die Anteilnahme mit den Opfern von Kriegen ist, die Menschen zu Aktionen für den Frieden auf die Straße treibt. Im Falle des „Manifests“ scheint das anders zu sein. Der Kanzler und die Regierung müssten in die Pflicht genommen und an ihren Schwur erinnert werden – „Schaden vom deutschen Volk [zu] wenden“ – so lautet einer der Schlusssätze des Manifests. Was stattdessen nicht enthalten ist: Solidarität mit den Menschen, die wegen des Kriegs fliehen mussten, und denen, die sich dem Krieg durch Kriegsdienstverweigerung und Desertion widersetzen. Darauf verzichteten die Verfasserinnen des Manifests. Warum? Dies hätte zudem gewisse Gruppen und Menschen von vornherein von der Teilnahme an der Kundgebung abgehalten.

5. Die Nicht-Abgrenzung von Rechts
Das ist ein Phänomen, das in Teilen der Friedensbewegung nicht neu ist (siehe Mahnwachen, Friedenswinter, Ramstein-Kampagne) und beim Manifest Grund dafür war, dass der bereits erwähnte Prof. Varwick seine Erstunterschrift zurückzog. Nachdem AfD-Politiker Tino Chrupalla kurz nach Veröffentlichung des Manifests unterzeichnete, stand die Frage im Raum, wie man mit Rechten bei der Kundgebung umgehen würde. Willkommen wären „alle, die reinen Herzens für Frieden“ seien, hieß es daraufhin von den Veranstalterinnen. Oskar Lafontaine präzisierte noch vor der Veranstaltung, dass sowohl Wähler*innen als auch Politiker*innen der AfD bei der Kundgebung willkommen seien. Rechte haben sich angekündigt, wurden nicht ausgeladen und sind tatsächlich auf der Demo erschienen. (4) Das bestimmende Bild waren sie hingegen nicht. Jürgen Elsässer, Herausgeber des extremrechten „Compact“-Magazins, konnte erfolgreich von Linken isoliert werden. Erst in ihrem Kundgebungsbeitrag distanzierte sich Wagenknecht von „Neonazis“ und „Reichsbürgern“ und machte sich damit einen schlanken Fuß. Denn um diese ging es in den vorangegangenen Diskussionen nicht. Die ständige Wiederholung der Behauptung, Friedensverhandlungen scheiterten am Westen, wird der Forderung nach Verhandlungen nicht weiterhelfen. Stattdessen sollte herausgearbeitet werden, welche Streitpunkte es bei Verhandlungen zu klären gilt.

Anmerkungen

  1. Abrufbar unter: https://youtu.be/DGiSk0MTSW0?t=2331
  2. https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/ploetzliche-kehrtwende...
  3. Mehr dazu unter: https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ukraine-russland-frieden-101.html
  4. Dokumentiert u.a. hier im Blog der „Antimilitaristischen Aktion Berlin“ (AMAB): https://amab.blackblogs.org/2023/02/26/b2502-friedensschwurbel-lohnt-sic.... Siehe auch https://youtu.be/DGiSk0MTSW0?t=2331

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Referent für Social-Media und Öffentlichkeitsarbeit beim Netzwerk Friedenskooperative.