Mehr Medien, nicht mehr Nachrichten

von Francis Rolt

Medien können eine entscheidende Rolle dabei spielen, Krieg zu verschärfen oder Frieden zu konsolidieren. Im ersteren Fall können Medien Gewalt anstiften, indem sie falsche oder vorurteilsbeladene Informationen verbreiten und propagandieren. Auch durch Verbergen der Wahrheit können Medien zu Komplizen verborgener Gewalt und Verbrechen werden. Im letzteren Fall können Medien ein machtvolles Instrument für die Konsolidierung von Frieden und demokratischer Entwicklung sein, indem sie Missbräuche bekanntmachen, Information beschaffen und verbreiten, die Mächtigen dazu bringen, Rechenschaft abzulegen und als ein Ort dienen, wo verschiedene Meinungen und Perspektiven ausgetauscht werden.

Dass Medien einen negativen, eskalierenden Effekt auf Konflikte haben, steht nicht in Frage. Das klassische Beispiel ist das Radio Télévision Libre des Mille Collines (RTLM) in Ruanda. Doch was wenige Menschen zur Kenntnis genommen haben, ist, dass RTLM im Kern eine lokale Musik-Station ist. Es waren nicht Nachrichten und Berichte, die den Genozid von 1994 anstifteten und unterstützten, sondern eine Mischung von Musik und Disk-Jockey-Sprüchen. Wie die damalige kanadische Botschafterin Lucie Ewards später sagte: "Die Frage der Propaganda von Radio Mille Collines ist eine schwierige. Es gab so viele ganz offensichtlich unsinnige Dinge, die in dem Radio gesagt wurden, so viele offensichtliche Lügen, dass es schwer war, es ernst zu nehmen. Dennoch, jedermann hörte es." (siehe Website www.rnw.nl/realradio/dossiers/html/rwanda-h.html)

Hass-Radio ist banal, wie nordamerikanische shock-jock Talkshows jeden Tag beweisen. Und aus meiner eigenen Erfahrung in Burundi in den späten 90er Jahren weiß ich, dass alle Arten von Mediaprodukten eine positive oder negative Auswirkung auf alle Phasen eines Konfliktes haben können.

Medien jenseits der Nachrichtensendungen
Und doch wird die Diskussion im Westen über Medien und Konfliktbearbeitung gewöhnlich fehlgeleitet durch eine emotionale Debatte über Medien und Objektivität. Viele westliche Nachrichtenjournalisten ärgern sich über die Anregung, dass sie eine Verantwortung jenseits von objektiver Berichterstattung haben, und scheinen zu glauben, dass ein solcher Vorschlag eine Kritik am Ideal der Objektivität sei. Im Gegenteil, das Streben eines klassischen Nachrichtenredakteurs nach Objektivität ist selbst ein wichtiges Instrument der Konfliktbearbeitung. Ohne verlässliche Nachrichten und Information müssen sich Menschen in Konfliktgebieten auf Gerüchte verlassen, und Gerüchte verbreiten unweigerlich das Misstrauen und die Stereotypen, die Krieg fördern.

Viele JournalistInnen diskutieren bereits das Potential, welches die neue "live aus einer Konfliktzone"-Berichterstattung für das Anheizen eines Konfliktes hat, und die Notwendigkeit für JournalistInnen, sich dessen bewusst zu sein. Trotzdem gibt es einen Abgrund in dieser Debatte. Medien sind viel mehr als Nachrichten und Brennpunkte, aber trotzdem haben wenige Individuen oder Organisationen, die in Konfliktgebieten arbeiten, sich mit all den möglichen Media-Interventionen befasst - jenseits von Nachrichten und Brennpunkten -, die eine positive Wirkung auf einen Konflikt haben können.

Es gibt zwei Gründe für diese offensichtliche Blindheit. In der Welt der internationalen Medien sind Nachrichtenjournalisten jene, die sich mit Konflikten befassen. Das Ergebnis ist, dass sie meinen, dass sie die einzigen seien, die Anteil an der Debatte hätten, und dominieren so die Diskussion. Zum zweiten sehen die meisten NROs und internationalen Organisationen, die in Konfliktgebieten arbeiten, die Medien entweder als ein Public Relation Instrument oder als einen Sprecher, der Unglück verkündet, zu Unterstützung aufruft und Übel anprangert. Der nächste, wesentliche Schritt, nämlich positive Medien-Interventionen in Konflikte zu schaffen und zu unterstützen, steht noch aus.

Solche Interventionen würden die Medien und die Agenturen jenseits von Nachrichten (um nicht von Werbung zu sprechen) auf die komplexere Welt von nicht-kontroversen Talk Shows, Austausch von Programmen oder Artikeln zwischen Konfliktgebieten, Cartoons (die Stereotypen des "Anderen", des Feindes zerbrechen), Radiosendungen mit bestimmten Zielen und Fernseh-Dramas und Seifenopern, vox pops (den Stimmlosen eine Stimme geben), Comics, Theater, Musik und Lieder stoßen. All diese Dinge und noch mehr sind Medien: Drama, Geschichten, Charakterdarstellungen und Humor, sie sind es, die uns als Menschen anziehen, egal ob wir im von Kriegen zerrissenen Afrika oder in Westeuropa leben.

Menschen in Konfliktgebieten, selbst Flüchtlinge, setzen ihr normales Leben fort, vielleicht in eingeschränktem Maße, aber sie hören immer noch Musik und machen welche, tanzen, lachen über Cartoons und Fernsehkomödien, erzählen Geschichten und tauschen sich mit Nachbarn aus. Sie bilden sich ihre eigenen Meinungen, indem sie vorsichtig durch all die Information und Meinungen gehen, die sie von diesen verschiedenen Quellen empfangen. Das Leben beginnt und endet nicht mit Nachrichten und politischen Berichten. Tatsächlich werden die meisten Menschen in Konfliktgebieten der politischen Reden, Debatten und Berichte von noch mehr Gewalt schnell müde - das Thema der wenngleich sehr wichtigen Nachrichtensendungen. Zuhörer schalten ab und verlieren Hoffnung, und suchen Trost in Radio oder Fernsehdramen und Musikprogrammen.

Alternative Medien gibt es
Medien jenseits der Nachrichten und Konfliktbearbeitung ist ein relativ neues Feld, aber auch nicht wieder so neu. Um ein paar Beispiele aus der Arbeit von Search for Common Ground in der ganzen Welt zu nennen: Seit 1995 macht das Studio Ijambo in Burundi Radioprogramm wie z.B. eine Radio-Seifenoper, der regelmäßig über 80% der Bevölkerung zuhören und die die Gemeinsamkeiten zwischen Hutu und Tutsi (Sprache, Kultur, Alltagsleben) betont - das Gemeinsame anstatt dem Trennenden. Ganz generell wird dem Studio zugesprochen, "ein neues Vokabular von friedlicher Koexistenz, Dialog und Verhandlung im Land zu schaffen" (Report #2, Evaluation des Studio Ijambo von Amr Abdalla et al 2002):

1994 begannen wir im Nahen Osten regelmäßige Treffen von Menschen aus dem Berufsfeld Medien abzuhalten, um die Rolle von Medien in Konflikten und ihrer möglichen Lösungen zu erkunden. Allmählich erwuchs daraus ein Netzwerk von Medienverantwortlichen, die bereit waren, an solchen Projekten wie einem gemeinsam herausgegebenen Buch und einer Serie von Zeitungsartikeln über die Zukunft der Region zu arbeiten, Artikel auszutauschen, und gemeinsam einen Fernseh-Dokumentarfilm herzustellen, der in Jordanien, Israel und den palästinensischen Territorien gezeigt wurde.

In den Vereinigten Staaten arbeiten wir seit über zehn Jahren mit Brian Lehrer vom WNYC Radio in New York zusammen, um neue, nicht-kontroverse Talk-Show Techniken zu entwickeln, die interessante, aufregende Programme ergeben und große Hörerschaften anziehen. Nach dem 11. September war eine solche Talk-Show, bei der ZuhörerInnen anrufen können, auf AmerikanerInnen arabischer Abstammung und Muslime beschränkt. Ein Zuhörer emailte: "Dieses Programm hat den Konflikt wirklich humanisiert und den Druck ein Stück weit weggenommen, eine Sicht zu vertreten, die auf ideologischen Grundlagen beruht."(Email vom 4.4.2002)

Und im April 1997 brachte Common Ground angolische MusikerInnen von beiden Seiten des langwährenden Konfliktes zusammen, um ein Friedenslied aufzunehmen, das den Titel trug "A Paz E Que O Povo Chama" (Menschen rufen nach Frieden). Es kostete ein Jahr an Verhandlungen und Mediation, um die Kontroversen zwischen den Musikern zu überwinden, aber schließlich legten 35 populäre angolanische MusikerInnen diese Unterschiede zur Seite, um eine Friedenshymne zu schaffen. Das Angola-Friedenslied tut immer noch sein Werk auf allen Ebenen der angolanischen Gesellschaft. Vor dem Friedensabkommen wurden sowohl die Hör- wie die Video-Version des Liedes regelmäßig von dem staatlichen Fernsehen ausgestrahlt. Und im Februar 2002 beendete eine Abgeordnete ihre Ansprache im Parlament mit den Schlussworten des Liedes, "Menschen rufen nach Frieden".

Es gibt unzählige weitere mögliche Beispiele. Und anstatt sich weiter mit einer sterilen Debatte über Medien, Nachrichten und Objektivität aufzuhalten, ist es Zeit, dass diese und andere Formen von Konfliktbearbeitungs-Medien breiter angewendet, debattiert und verbessert werden.

Francis Rolt ist der Direktor von Common Ground-Radio mit Sitz in Brüssel. Er leitete zuvor das Studio Ijambo in Burundi für Search for Common Ground, und hat fast 20 Jahre im Radio gearbeitet.

Der Beitrag wurde entnommen den Conflict Prevention Newsletter Vol 6, No 1 der European Platform for Conflict Prevention and Transformation vom Mai 2003.

Übersetzung: Christine Schweitzer

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