Rüstungsexport

Meinungs- und Pressefreiheit bedroht

von Jürgen Grässlin

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft unterlässt Ermittlungen gegen Beamte von Rüstungsexportkontrollbehörden beim illegalen G36-Gewehrdeal von Heckler & Koch mit Mexiko. Stattdessen leitet die Münchener Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen uns BuchautorInnen vom "Netzwerk des Todes“ ein.

Am 8. April 2016 war die Welt zumindest für Außenstehende vermeintlich noch in Ordnung. An jenem Freitag nahm der Filmemacher und Buchautor Daniel Harrich für sich und sein Team in Marl den renommierten Grimme-Preis 2016 "für die journalistische Leistung bei der Recherche" entgegen. Zu eben diesem Team zähle ich als Strafanzeigeerstatter und Fachberater des Spielfilms "Meister des Todes" sowie mein Rechtsanwalt Holger Rothbauer. Der Grimme-Preis gilt als der renommierteste deutsche Medienpreis; der Zuspruch für uns PreisträgerInnen war und ist enorm.

Was nur Eingeweihte wussten: Zu diesem Zeitpunkt war die Situation bereits dramatisch eskaliert. Längst hatte die Staatsanwaltschaft Stuttgart Vorermittlungen gegen uns eingeleitet. Mit den Mitteln des Rechtsstaates verfolgt werden seither nicht die HelfershelferInnen in den Rüstungsexport-Kontrollbehörden, sondern die in bestem demokratischen Sinne aufklärenden AutorInnen des Buches „Netzwerk des Todes. Die kriminellen Verflechtungen von Waffenindustrie und Behörden“ (2015). Wie konnte es dazu kommen? Blicken wir zurück.

Beachtlicher Erfolg: Anklageerhebung gegen ehemalige H&K-Geschäftsführer
Der widerrechtliche Waffendeal hat längst in den nationalen wie internationalen Medien die Runde gemacht und kann in der gebotenen Kürze wiedergegeben werden: Am 19. April 2010 erstattete ich nach eingehender Prüfung von Dokumenten, fotografischem und filmischem Material eines Insiders der Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch (H&K) über meinen Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer Strafanzeige gegen mehrere namentlich genannte Mitarbeiter von H&K.

Der Vorwurf lautete auf Export von insgesamt rund 10.000 Sturmgewehren und Maschinenpistolen von H&K nach Mexiko. Mit Wissen der H&K-Führungsebene soll knapp die Hälfte der Kriegswaffen in die Unruheprovinzen Chihuahua, Chiapas, Guerrero und Jalisco verbracht worden sein, die ausdrücklich von der Belieferungserlaubnis der deutschen Rüstungsexportkontrollbehörden Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und Bundesausfuhramt (BAFA) ausgenommen waren.

Diese Strafanzeige wurde unsererseits mehrfach erweitert (weitere involvierte Akteure, Export von noch mehr Gewehren als offiziell angegeben, und - ganz wichtig - 2012 gegen die in den illegalen Waffendeal verwickelten BMWi und BAFA). Letztendlich habe ich 15 Personen von Heckler & Koch namentlich angezeigt. Weitere Strafanzeigen folgten gegen H&K (wegen der womöglich widerrechtlichen Nutzung einer G36-Lizenz zum Nachbau Zehntausender mexikanischer Sturmgewehre des Typs FX05), die Ulmer und Eckenfördener Kleinwaffenproduzenten Carl Walther und Sig Sauer (wg. des begründeten Verdachts des illegalen Pistolentransfers ins Bürgerkriegsland Kolumbien über die USA).

Fünfeinhalb Jahre nach der allerersten Anzeigeerstattung erhob die Staatsanwaltschaft Stuttgart endlich Klage gegen sechs Verantwortliche von Heckler & Koch. Sie wirft den beiden früheren H&K-Geschäftsführern Joachim Meurer und Peter Beyerle und vier ehemaligen H&K-Mitarbeitern vor, Kriegswaffen "vorsätzlich" ausgeführt zu haben - wohlgemerkt ohne Vorliegen der dafür erforderlichen Genehmigung, so die Formulierung in der Klageschrift. In fünf Fällen – alle außer Herr Meurer – sollen die H&K-Vertreter als "Mitglied einer Bande" agiert haben, "die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Straftaten verbunden hat", so Klageschrift vom Oktober 2015.

Justizskandal Nr. 1: Die Strafverfahren gegen die anderen wurden seitens der Staatsanwaltschaft eingestellt, mit der Begründung, die Stuttgarter ErmittlerInnen könnten keinen hinreichenden Tatverdacht ermitteln. Gegen diesen Beschluss haben wir Beschwerde eingelegt, über die von der Generalstaatsanwaltschaft noch entschieden werden muss.

Immerhin: Erstmals in der Historie des – angesichts der Opferzahlen – tödlichsten Unternehmens in Europa sollen zwei vormalige Geschäftsführer von Heckler & Koch wegen Bruch deutscher Ausfuhrgesetze vor Gericht stehen. Der Prozessauftakt wird für Anfang 2017 erwartet. Das ist bereits heute der größte Erfolg der Friedens- und Menschenrechtsbewegung in der mehr als sechzigjährigen Firmengeschichte der Oberndorfer Waffenproduzenten und -exporteure!

Vom geehrten Stuttgarter Friedenspreis-Träger zum kaltgestellten Knastbruder?
Justizskandal Nr. 2: Die Staatsanwaltschaft weigerte sich, Ermittlungen gegen die in den Mexiko-Deal involvierten Bundesausfuhramt und Bundeswirtschaftsministerium auszunehmen - die Taten sind damit verjährt.

Justizskandal Nr. 3: Die erwähnten Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen uns drei AutorInnen sind mittlerweile zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München wegen des Verdachts verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen gemäß § 353d Strafgesetzbuch ausgeweitet worden. Vorgeworfen wird uns  die verbotene Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke aus dem laufenden Ermittlungsverfahren gegen H&K. An Absurdität kaum zu überbieten ist die Tatsache, dass zahlreiche dieser Schriftstücke unsererseits zuvor an die Staatsanwaltschaft übergeben wurden, um zur Aufklärung des Falles beizutragen.

Doch der Versuch, uns drei BuchautorInnen mundtot zu machen, ist zum Scheitern verurteilt. Die Recherchen sind erfolgreich getätigt, die Mexiko-Filme sind in der ARD und ihren Spartensendern ausgestrahlt und von mehr als sechs Millionen ZuschauerInnen gesehen worden, das Netzwerk-des-Todes-Buch ist mit all seinen knallharten Fakten publiziert, kurzum die Beweise sind vorgelegt: Die Triade des Todes von H&K, BMWi und BAFA funktionierte beim G36-Mexiko-Deal durch das intensive und wohlwollende Zusammenspiel von Waffenfirma und Kontrollbehörden.

Die Wahrheit lässt sich auch durch juristische Repressionen gegen die Rechercheure des widerrechtlichen G36-Gewehrdeals mit Mexiko nicht aus der Welt schaffen.

 

Der Artikel basiert auf einem wesentlich umfänglicheren Artikel, der in der ZivilCourage publiziert worden ist.

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Hintergrund
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).