Ferien vom Krieg

Menschliche Begegnungen

von Barbara Esser
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Das Projekt Ferien vom Krieg wurde vor über 20 Jahren vom Komitee für Grundrechte und Demokratie gegründet, als es während der Kriege im ehemaligen Jugoslawien gemeinsame Ferien für Kinder organisierte. Seit 2002 lädt es auch junge Erwachsene aus Israel und Palästina für zwei Wochen nach Deutschland ein.

Können sich junge Israelis und PalästinenserInnen auf einer menschlichen Ebene treffen und kennenlernen? Und ist dies vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation überhaupt sinnvoll?

Die Annäherung ist kein Selbstläufer. In der palästinensischen Gesellschaft werden zivile Begegnungen mit Israelis als „Normalisierung“ verurteilt, wenn sie die bestehenden politischen Verhältnisse vor Ort leugnen. Viele gestehen sich ein Treffen nur zu, wenn sie sich Sympathien für die Anderen untersagen. Ahmed, ein junger Arzt aus der Westbank, schreibt: „Als die Israelis im Flughafen nur noch wenige Meter entfernt waren, überlegte ich, ob ich sie begrüßen sollte. Es war ein innerer Kampf zwischen meiner menschlichen Seite und meinem leidvollen Alltag, der mich zwang, meine Wut im Gesicht zu behalten.“

Die Israelis sind von dem Hass, der ihnen entgegenschlägt, schockiert. Diejenigen, die einem eher linken politischen Lager angehören, fühlen sich zu Unrecht beschuldigt. Andere sehen sich in ihrer Meinung über die „wütenden“ Palästinenser bestätigt und beklagen fehlende PartnerInnen auf der anderen Seite. Israelische und palästinensische ModeratorInnen, die in Kleingruppen den Dialogprozess moderieren, fragen zuerst: „Wie ist jede/r Einzelne mit dem Konflikt in Berührung gekommen?“

Die Geschichten sind für alle schwer zu ertragen. Besonders die Israelis sind geschockt von den Erfahrungen, die das Leben der PalästinenserInnen prägen. „Ich habe die PalästinenserInnen an den Checkpoints kontrolliert und als potentielle Bedrohung gesehen. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, woher sie kommen und wohin sie gehen.“ Aber auch die palästinensischen TeilnehmerInnen sehen sich mit Menschen konfrontiert, die sie bisher nur als Teil des Konfliktes sahen. „Als ein Israeli eine wirklich traurige Geschichte erzählte, berührte mich das sehr. Ich dachte bisher, Israelis haben keine Gefühle.“ Die TeilnehmerInnen lernen die Anderen als Menschen kennen, teilen ihre Trauer und trösten sich gegenseitig.

Beide Gruppen sollen ihr jeweiliges kollektives Narrativ beschreiben. Für die Israelis ist dies schwierig, denn sie haben viele unterschiedliche Geschichten zu erzählen. Gerade in Deutschland sehen sie sich mit der tragischen Vergangenheit ihres Volkes konfrontiert, die sich auch bei jungen Israelis in einer tiefen Existenzangst widerspiegelt. Wenn sie den PalästinenserInnen vom Holocaust berichten, erwarten sie Verständnis und Mitgefühl. Diese ziehen aber oft vorschnell den Vergleich zwischen der Judenvernichtung und der Besatzung.

Einige Israelis wollen den Dialog hier abbrechen. Sie haben den PalästinenserInnen zuvor Mitgefühl entgegengebracht, jetzt erwarten sie dieses von ihnen. Oft gehen sich die beiden Gruppen erstmal wieder aus dem Weg.

Die ModeratorInnen leisten wichtige Arbeit darin, den Dialog fortzuführen. Sie nehmen die Verzweiflung der TeilnehmerInnen ernst, fordern aber auch von ihnen, ihre Sichtweise zu überdenken.

Langsam werden persönliche Kontakte geknüpft. Ein Israeli beschreibt, wie er im See schwimmen war und plötzlich alle Israelis gegangen waren. Er war alleine mit einer Gruppe PalästinenserInnen und die Angst war wieder da. Aya schreibt: „Als wir auf dem Weg zum Bus waren, machten plötzlich alle Witze übereinander. Dies war ein Moment als ich dachte: Es kann klappen!“

Aber vielen wird erst in diesen zwei Wochen klar, wie komplex der Konflikt ist, in dem sie leben.

In dem Nahostkonflikt leiden nicht beide Seiten gleich stark. Israel besetzt die Palästinensischen Gebiete, es gibt Besatzer und Besetzte. Den israelischen TeilnehmerInnen wird dies schmerzlich bewusst. Aber sie lernen die PalästinenserInnen auch als lebensfrohe junge Menschen kennen, die nicht gewillt sind, sich unterdrücken zu lassen. Die PalästinenserInnen lernen, dass viele Israelis, die Politik ihres Landes nicht unterstützen.

Ahmed schreibt später: „Manchmal stritten wir, manchmal lachten wir, wir waren aufgeregt und beruhigten uns wieder. Am Anfang dachten wir, dass wir einen Krieg führen, nach mehreren Sitzungen stellten wir fest, dass es weder Sieger noch Verlierer geben kann.“

Auch in diesem Jahr werden sich wieder zwei Gruppen mit jeweils 50 Teilnehmenden aus Israel und Palästina nahe Köln treffen. Auch im ehemaligen Jugoslawien treffen sich Jugendliche zu Begegnungsfreizeiten.

Diese Arbeit wird ausschließlich durch private Spenden ermöglicht. Gerne schicken wir  Ihnen unsere aktuelle Broschüre zu. E‐Mail: info@ferien‐vom‐krieg.de

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Barbara Esser arbeitet seit 2009 im Projekt und ist seit 2013 hauptamtliche Koordinatorin von Ferien vom Krieg.