Militär- und Polizeikooperation

von Ulla Frey

Wirtschaftliche und militärische Interessen bestimmen bundesdeutsche Außenpolitik in der Türkei: Menschenrechtsverletzungen sind kein Thema.

Die Kampagne "Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen" startete im September eine Aktion "Faxen Sie an Dr. Kinkel", die ab dem 12.09. -dem Jahrestag des Militärputsches regelmäßig jeden Montag stattfindet. Den vielen Leuten, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzten, die über den Verbleib von ihnen bekannten Verschwundenen fragten und die über den Einsatz deutscher Waffen in Nordkurdistan aufgeklärt werden wollten, wurde allen der gleiche Serienbrief geschickt.

Das Auswärtige Amt weiß  von nichts. Das AA verkündet gebetsmühlenartig, die türkische Regierung habe vertraglich die Nichtverwendung deutscher Rüstungslieferungen in innenpolitischen Auseinandersetzungen zugesagt und an der Einhaltung dieser Zusage zweifele es nicht.

Auszug aus einem Brief des Auswärtigen Amtes an die Kampagne gegen Rüstungsexporte: "Das Auswärtige Amt bittet Sie um Verständnis dafür, daß die Bundesregierung Vorwürfe über den vertragswidrigen Einsatz von Militärgerät gegenüber dem türkischen Partner nur dann erheben kann, wenn es sich auf klare und eindeutige Hinweise stützenkann. Der von Staatssekretär Kastrup aufgestellte Grundsatz,  daß die Bundesregierung Hinweisen auf den angeblichen Einsatz von deutschen Waffen in internen Auseinandersetzungen nachgeht, bleibt bestehen und wird befolg       

Die Bundesregierung sagt die Unwahrheit.

Tatenlos nimmt sie die vielen Augenzeugenberichte und Fotografien der türkischen und deutschen Menschenrechtsvereine, der Journalisten und Journalistinnen, der Teilnehmer und Teilnehmerinnen verschiedener Delegationen oder den Monitorbeitrag von Michael Enger, der die achträdrigen Panzer aus NVA-Beständen vor Ort gefilmt hat, hin. Die Bundesregierung stellt der türkischen Regierung die militärischen Mittel für diesen menschenverachtenden profitorientierten Völkermord zur Verfügung. Profitorientiert, erstens, weil die BRD mit Abstand größter Handelspartner der Türkei ist, die Firma Siemens z.B. eins der größten ausländischen Unternehmen in der Türkei ist und zweitens weil die Türkei das Tor für neue Märkte in Zentralasien und den neuen Staaten im Kaukasus ist. Da ist natürlich eine Osttürkei, die von unberechenbaren kurdischen Kommunisten kotrolliert wird, uninteressant. Deshalb muß die Bundesregierung sich blind und taub stellen. Deshalb nimmt Bundeskanzler Helmut Kohl in Kauf, sich unglaubwürdig und lächerlich zu machen, wenn er in der Türkei sagt: "Wie komme ich dazu zu denken, daß die Türkei Menschenrechte nicht beachtet." Was steckt hinter diesem "Realitätsverlust" dieser Regierung? Die Interessen der Bundesrepublik Iiegen auf der Hand. Auf einer Bundestagsdebatte am 2. April 1992, bei der das kurzfristige Rüstungsembargo gegen die Türkei im Mittelpunkt stand, erklärt Helmut Kohl, warum Menschenrechtsverletzungen, die blutige Verfolgung von Minderheiten und Krieg keine Hindernisse für Rüstungslieferungen sind:

"... die Türkei war in der Vergangenheit auf Grund ihrer exponierten Lage an der Südostflanke der NATO ein Eckpfeiler auch unserer Sicherheit. Heute und für die Zukunft nimmt ihre Bedeutung angesichts der Entwicklung im Süden der früheren Sowjetunion sowie in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens weiter zu. Eine demokratische und in sich gefestigte Türkei kann und muß eine stabilisierende und zukunftsweisende Rolle für das Verhältnis dieser Region zu Europa einnehmen. (...) Diese Rüstungshilfe  erfolgte in der Kontinuität auch der früheren Bundesregierungen und vor allem auch im Interesse der Atlantischen Allianz."

Der türkische Außenminister Ayaz bestätigt das in einem Interview mit der Zeitschrift Wehrtechnik im August 1992:

"Mit seiner bedeutenden geopolitischen Position an der NATO-Südflanke ist die Türkei seitdem ein loyales Mitglied und erfüllt seine Verantwortlichkeiten innerhalb der Allianz."

Die Türkei als Kontrollinstanz zwischen Europa und den islamischen Staaten bzw. den neu entstandenen Staaten im Kaukasus  und in Zentralasien, das ist der Kern deutscher Außenpolitik gegenüber der Türkei. So haben es bisher alle Bundesregierungen gehalten: ob Folter, Krieg gegen die Kurden oder Militärputsch. Das alles löste vielleicht ab und zu vorsichtige diplomatische Kritik aus, hielt aber keineswegs von Rüstungslieferungen ab und das hat Kontinuität seit 1964.

Als eine von mehreren Organisationen, die sich gegen das Geschäft mit dem Tod einsetzt, haben wir, die Kampagne gegen Rüstungsexport, die Bundesregierung wegen Beihilfe zum Völkermord in Kurdistan angezeigt. Der Völkermordtatbestand des §22a Strafgesetzbuch liegt angesichts des grausamen und gezielten Folterns und Tötens unzweifelhaft vor. Die Beihilfehandlung staatlicher deutscher Stellen und der Verantwortlichen der betroffenen Rüstungsbetriebe liegt in der Lieferung von Waffen aller Art, getarnt als sogenannte NATO Ausrüstungshilfe, wonach die Waffen dann gemäß Artikel 6 des NATO-Vertrags nur zu NATO-Zwecken verwendet werden sollen. Gehört der BTR  60 Panzer, der den Kurden Mesüt Dündar hinter sich her schleift, die Zerstörung der Stadt Lice, die deutschen Granaten auf Sirnak auch zu Artikel 6 des NATO-Vertrags?

Der türkische Außenminister Ayaz verwies im vergangenen November ausdrücklich - wie auch schon Außenminister Cetin in seinem Briefwechsel mit Bundesaußenminister Kinkel - auf den §13 des 1991 in Rom beschlossenen NATO-Konzeptes, wonach die Sicherheit eines Landes auch durch "Terror-und Sabotageakte" gefährdet werden kann. Aus dem NATO-Konzept: "Die Sicherung des Bündnisses muß jeden auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken berührt werden, einschließlich der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen,  der Unterbrechung lebenswichtiger Ressourcen sowie von Terror- und Sabotageakten."

Diese Aussage bildet den politischen Hintergrund  für den Drahtseilakt der Bundesregierung bezüglich der Türkei. Damit begründet die türkische Regierung ihre Militäreinsätze in Nordkurdistan bzw. ihre Festnahmen, Auslieferungen in die türkischen Folterstätten. Vor diesem Hintergrund verbietet die Bundesregierung die PKK, bzw. schließt die 35 kurdische  Kulturvereine, die kurdische Nachrichtenagentur KURD-HA und den Verlag Berxwedan. Sie erweist sicherlich der Türkei einen Gefallen, aber sie will auch ihre, Hilfe beim Morden und Hinrichten des kurdischen Volkes scheinlegitimieren, da der Mord an sogenannten Terroristen schließlich leichter zu begründen ist und damit es nicht mehr zu Mißverständnissen kommt...

Wehrtechnik-Interview nach dem kurzfristigen Rüstungsembargo gegen die Türkei von März bis Juni 1992:

WT: Gab es aus politischen Gründen für die Türkei Probleme bei der Verteidigungsmaterialhilfe seitens anderer  NATO-Staaten Und dürfen wir Sie bitten, in diesem Zusammenhang auch das Mißverständnis zwischen der Türkei und Deutschland zu kommentieren?

AYAZ: Unglücklicherweise tauchen solche Probleme hin und wieder auf. Da wir erkannt haben, daß die Basis hierfür in der Regel Mißverständnisse und falsche politische Annahmen sind, haben wir Maßnahmen zu deren Lösung ergriffen. Ich hoffe, daß solche falschen und fehlerhaften Annahmen sich nicht wiederholen und die Türkei dadurch auch nicht gezwungen ist, sich nach anderen politischen und militärischen Alternativen umzusehen.

Die Türkei ist seit Jahren einer der größten Abnehmer des inzwischen drittgrößten Rüstungsexporteurs der Welt, der Bundesrepublik Deutschland.

Rüstungslieferungen der Bundesregierung

Bei den von der Bundesregierung genehmigten Rüstungslieferungen ist in 3 Kategorien zu unterscheiden:

1. NATO- Verteidigungshilfe, die direkt aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes kommt (jährliche Beiträge = 86,66 Mio. DM)

2. Ausstattungs- und Ausbildungshilfe: "Die Lieferung von Material an die Sicherheitskräfte des Empfängerlandes, um ihnen die Durchführung ihrer Aufgaben zu erleichtern."

3. Rüstungssonderhilfen,  die von der Bundesregierung seit dem Militärputsch 1980 vergeben werden. Es handelt sich um Materiallieferungen, Lizenzen und Know-How.

Im Rahmen der Verteidigungs- und Rüstungssonderhilfe wurden nach Regierungsangaben allein zwischen 1985 und 1991 Rüstungsgüter aller Art im Wert von über 3,6 Milliarden DM an die Türkei geliefert  und zwar geschenkt. Darunter befanden sich G3- und MG3- Gewehre der Fa. Heckler und Koch, Munition, U- und Schnellboote, Leopard 1- Panzer aus Rüstungssonderhilfen im Wert von 580 Mio. DM.

Aus ehemaligen NVA-Beständen werden 1991 im Rahmen des NATO-Abkommens weitere Rüstungsmaterialien geliefert. Ohne das Parlament in Kenntnis zu setzen, wird eine "ganze Armeeausrüstung" an die Türkei weitergegeben, die kurze Zeit später in Nordkurdistan zum Kampf gegen die dortige Bevölkerung zum Einsatz kommt.

Dazu gehören Radpanzer, 450 Millionen Stück Munition, 100.000 Panzerfäuste, 5.000 Maschinengewehre und 250.000 Kalaschnikow-Maschinenpistolen. Alles in allem Rüstungslieferungen aus NVA Beständen im Wert von 1,5 Mrd. DM, die für einen Bürgerkrieg bestens  geeignet sind.

Herbst 1992: neu genehmigte Rüstungslieferungen über zwei Fregatten für 800 Mio. DM, 88 Flakgeschütze, 20 Pionierpanzer, für 600 Mio. DM Stinger-Luftabwehrsysteme der Fa. Dornier und unter Beteiligung von Diehl, AEG. Leitz und 46 Phantom-Flugzeuge, von denen 13 schon in der Türkei sind. Die restlichen 33 werden noch von der „Deutschen Aerospace" in Manching instandgesetzt.

Die DASA faßt die rüstungsrelevanten Bereiche der zum Daimler-Benz-Konzern gehörenden Firmen AEG, Dornier, MBB und MTU zusammen.

Im Rahmen der sogenannten CFE Kaskade wurden 131 Panzerhaubitzen geliefert: Aufgrund des Vertrags zur Verringerung der konventionellen Streitkräfte in Europa (CFE) beschloß die NATO ein Ausrüstungstransfer- und Modernisierungsprogramm, durch das überzähliges Material der moderner ausgerüsteten Armeen an weniger gut ausgestattete Verbündete geliefert und so der vertraglich vereinbarten Zerstörung entzogen wird.

Weitere Lieferungen im Rahmen von CFE: 500 Schützenpanzer M113 und 100 Leopard-Kampfpanzer.

Davon gehören 15 Leopard Panzer, die in der Münchner Waffenschmiede Kraus Maffai speziell für die Türkei umgerüstet wurden, zu gesperrten Mitteln der Rüstungshilfe an die Türkei. "Ein Versäumnis im Beamtenapparat", meint ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Mit diesen Großwaffensystemen versorgt die Bundesregierung die Türkei, damit diese auch ihre vorgesehene Rolle als "Ordnungshüter" im Mittleren Osten bestens wahrnehmen kann. Daß die Leos auch in Kurdistan eingesetzt wurden, bezeugen Mitarbeiter von medico, die Mitte August 1992 deutsche Granaten aus Leopard Panzern nach der Zerstörung der kurdischen Stadt Sirnak gefunden haben.

Ein Skandal zumindest in der linksliberalen Öffentlichkeit war im November letzten Jahres die Exportgenehmigung von 18.000 Artelleriegranaten des Typs M483 der Fa. Eurometaal, die von Firmenmitarbeitern als besonders geeignet für den Bürgerkrieg und als Massenvernichtungswaffen bezeichnet wurden. In der Werbung heißt es: Sprenggranaten zur "Vernichtung weicher, halbfester und fester Ziele".

Soweit ein Auszug aus der Liste der von der Bundesregierung gelieferten Rüstungsexporte. Auf die kommerziellen Lieferungen Soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Kooperation mit der Polizei

Bereits einige Tage nach dem Militärputsch 1980, der "zufällig" während eines. NATO-Manövers stattfand, spendierte die Bundesregierung erstmal 1 Mio. Ausrüstungshilfe für die türkische Polizei. Die türkischen Grenz- und Polizeistationen sind mit Computerzubehör der Firma Siemens bestückt. Sogar die Schäferhunde der türkischen Polizei kommen aus Deutschland. 600t Stacheldraht lieferte die Firma Graepel zum Schutz der Grenzen.

Im Juni 1985 hielt sich die gesamte Spitze der türkischen Polizei auf Einladung der Bundesregierung zum mehrtägigen Besuch in der BRD auf. Auf dem Programm stand ein Besuch beim BKA, ein Treffen beim Bonner Innenministerium und ein Besuch bei der GSG9. Im selben Jahr stellt die Türkei Elitetruppe zusammen, die heute ca. 3000 Mann stark ist, die sog. "schwarzen Käfer" (in der Türkei werden sie als Rambos bezeichnet), deren Ausbildung für 2 Kommandoeinheiten zur Bekämpfung kurdischer Separatisten bei der GSG9 in der Bundesrepublik stattfand. Das bestätigte der GSG9 Offizier Anselm Weygold 1987 in einem Interview mit der türkischen Tageszeitung Tercüman.

Aus einer Zeitungsnotiz: " ... beim Einsatzbefehl geht ein Schlag durch den Körper der todesmutigen bärenstarken Männer ... Ihre automatischen Wunderwaffen treffen immer. Unsere Helden werden, auch wenn die letzten Magazine leergeschossen sind, nicht ruhen, bis sie auch dem letzten Verbrecher die tödliche Lektion erteilt haben. Neben der Polizei gibt es in Kurdistan noch ca. 40.000 Dorfschützer, größtenteils bewaffnet mit G3-Gewehren der Firma Heckler & Koch.

Die Bundesregierung bleibt dabei, deutsche Waffen werden in innerstaatlichen Konflikten der Türkei nicht eingesetzt. Eine objektiv widerlegte Behauptung.

Die Menschenrechtsfrage war und ist kein Thema

Verhandlungslösungen werden z.Z. sowohl von der Türkei als auch von der Bundesrepublik ausgeschlossen. Das Waffenstillstandsangebot der PKK, das sie einseitig 3 Monate einhielt, wurde von türkischem Militär ignoriert. Die  Redakteure der Zeitung "Özgür Gündem" werden kriminalisiert. Die einzig legale Vertretung der Kurden und Kurdinnen, die Kurdische Arbeitspartei des Volkes (HEP) und ihre wenigen Sprecherinnen im Parlament wurden verboten. Die Bundesregierung verbietet die PKK und schließt die kurdischen Kulturvereine.

Daß sie mit Illegalen über die Interessen der in Kurdistan lebenden Menschen sprechen werden, ist nicht zu erwarten.

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Ulla Frey ist Politologin und Geschäftsführerin der Kampagne "Produzieren für das Leben-Rüstungsexporte stoppen"