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Die Geschichte einer mißlungenen gewaltfreien Intervention
Mir Sada - Frieden jetzt
vonUngefähr dreitausend Menschen aus Italien, Frankreich, den USA, Mexiko, Japan, Deutschland, England, Belgien, den Niederlanden, Polen, Griechenland, Schweden, Norwegen und der Tschechischen Republik beteiligten sich im August an der Aktion "Mir Sada - Frieden jetzt". Ziel dieser Aktion: die von der katholischen italienischen Gruppe "Beati i costruttori di pace" ("Seelig sind die Friedensstifter"") und der privaten französischen Hilfsorganisation Equilibre vorbereitet worden war, war es, einen Waffenstillstand für Sarajevo zu erreichen. Wäre Mir Sada gelungen, dann wäre sie nach dem eher symbolischen Solidaritätsbesuch in Sarajevo letzten Dezember, der ebenfalls von Beati organisiert worden war, eine der ersten direkten gewaltfreien Interventionen in einem Krieg gewesen und hätte damit auch die Debatte um Alternativen zu militärischen Einsätzen einen großen Schritt vorangebracht.
Aber um es kurz zu fassen: Die Aktion scheiterte praktisch in jeder Hinsicht. Nicht nur wurde das Ziel Sarajevo nicht erreicht, sondern schon nach wenigen Tagen waren Organisatorlnnen und Teilnehrnerlnnen hoffnungslos gespalten. Was blieb, waren einige kleinere Aktionen, u.a. zwei Demonstrationen in Split und eine einstündige Kundgebung in Mostar und die Erfahrung, die uns vielleicht lehrt, manche Fehler nicht zu wiederholen.
Probleme lagen auf verschiedenen Ebenen: in der Unklarheit über die sehr vollmundig formulierten Ziele der Aktion ("den Krieg stoppen") wie über die politischen Grundlagen. "Das multiethnische Zusammenleben unterstützen" z.B. hieß für die einen, eine Solidaritätserklärung mit der bosnischen Regierung abzugeben, für die anderen strikte Neutralität und Ausdruck der Solidarität mit den Opfern auf allen Seiten. Eben so wenig gab es einen Konsens über das Prinzip der Gewaltfreiheit, was sich zum Beispiel in unterschiedlichen Positionen zu der Frage einer Militärintervention in Bosnien oder zu der Frage eines bewaffneten Eskortenschutzes durch die UNPROFOR äußerte. Die Vorbereitung der TeilnehmerInnen war ein weiterer Punkt. Beati verlangte die Absolvierung eines Trainings, Equilibre und das internationale Sekretariat taten dies nicht. Je nachdem, ob sich die nationalen Vorbereitungskomitees eher auf das eine oder andere Büro bezogen, war daher der Vorbereitungsstand der Teilnehmerlnnen. Des Weiteren war die Organisations- und Entscheidungsstruktur des Projektes recht unglücklich. Beati hatte, wie im letzten Dezember, auf die Gründung von Bezugsgruppen gedrungen und es gelang ihnen auch, die ohne Bezugsgruppen angereisten französischen TeilnehmerInnen dazu zu bewegen, solche Gruppen zu gründen. Aber der Sprecherlnnenrat arbeitete ohne imperatives Mandat der Sprecherlnnen, und über dieser basisdemokratischen Struktur lagerte als zweite die Struktur der Vorbereiter, die die eigentlichen Entscheidungen fällten. Eine Reihe weiterer Probleme lassen sich unter dem Stichwort "Kommunikation". zusammenfassen. Neben Sprachproblemen fehlte eine effektive Kontrolle von Gedichten und manche Fragen - zum Beispiel, was sich eigentlich während der Mir Sada Periode in Sarajevo abspielte, ist heute nicht bekannt. Schwerwiegend waren die FehIer, die in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht wurden. Hier ist Equilibre ein Großteil der Verantwortung anzulasten: Diese Organisation rief nämlich unter der Nennung phantastisch überhöhter Zahlen auf, ursprünglich sprachen sie von 100.000 Menschen, die nach Sarajevo kommen sollten. Bei dem ersten internationalen Koordinierungstreffen redeten sie noch von 20.000, mit denen sie sicher rechneten; zwei Wochen vor dem Beginn von Mir Sada war noch von 7.000 die Rede. Am Schluß kamen aus Frankreich ca. 300!
Wie hätte es anders gemacht werden können? In ersten Diskussionen wurden verschiedene Elemente genannt:
- Das Ziel oder die Ziele der Aktion eindeutig formulieren und darauf achten, daß diese Ziele realistisch sind;
- gemeinsame Grundlagen, wie z.B. das Verständnis von Gewaltfreiheit im Vorfeld abklären;
- dafür sorgen, daß sich alle des Risikos einer solchen Aktion bewußt sind;
- nur solche Teilnehmerlnnen bei der Aktion zulassen, die Ziel und Grundlagen teilen;
- möglichst viele problematische Situationen vorher durchsprechen und Verhaltensweisen besprechen, z.B.: was tun im Falle heftiger Kämpfe (wer kehrt um, wer fährt weiter), was tun, wenn man an einem Checkpoint gestoppt wird, mögliche Alternativaktionen, falls der ursprüngliche Plan undurchführbar wird;
- eine basisdemokratische Struktur schaffen, in der alle alle notwendigen Informationen erhalten und alle gleichermaßen verantwortlich für die Gesamtaktion sind. Besondere Rollen festlegen, wo nötig (z.B. können nicht alle mit Kommandanten oder an Checkpoints verhandeln), aber ähnlich wie bei Polizeisprecherlnnen in gewaltfreien Aktionen vorher Grenzen der Kompetenzen klarstellen. UnterstützerInnengruppen bilden, die sich um die Informationsarbeit, Infrastruktur etc. vor und während der Aktion kümmern.
- Kontrolle der Teilnehmerinnen über die Transportmittel und die Logistik;
- Klarheit über die Beziehungen zu den lokalen Friedensgruppen schaffen.
Selbstverständlich können die genannten Punkte, die im Übrigen stark ergänzungsbedürftig sind, keine Garantie für das Gelingen einer Aktion sein. Aber sie beruhen nicht nur auf dem Mißerfolg von Mir Sada, sondern auf Erfahrungen mit anderen gewaltfreien Aktionen, von den Atomteststoppaktionen in Nevada bis zu den Internationalen gewaltfreien Märschen für Entmilitarisierung und dem Fulda Gap. So viel anders ist auch eine direkte Intervention in ein Kriegsgebiet nicht unbedingt, wenn die Schwelle vor einer solchen Aktion einmal überschritten ist. Daß sie überschritten werden kann, daß hat auch Mir Sada bewiesen - immerhin waren dort dreitausend Menschen zusammengekommen, die bereit waren, ihr Leben für Frieden, nicht für Krieg zu riskieren,
Das Mißlingen von Mir Sada war - auch wenn es manche Kritikerlnnen gerne so hätten - kein Beweis dafür, daß Pazifistlnnen hilflos sind, wenn es einmal zum Krieg gekommen ist, und mensch das Eingreifen im Kriegsfall besser dem Militär überlassen sollte. Auch wenn es paradox klingt: Eine solche Folgerung kann nicht gezogen werden, weil Mir Sada so schlecht organisiert war. Daß militärische Aktionen scheitern, dafür gibt es genügend Beispiele. PazifistInnen bleiben auch nach Mir Sada den Beweis noch schuldig, daß wir eine Alternative besitzen. Wir haben uns in Split mit der Gewißheit voneinander verabschiedet, daß wir uns wiedersehen - besser vorbereitet und all die Fehler vermeidend, die wir dieses Mal gemacht haben.