Identitäre Bewegung

Mit direkter Aktion gegen Links und Migration

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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Anfang Januar erreichte die Autorin eine Email eines Freunds aus Schweden, der sich als Aktivist und Friedensforscher vorrangig mit zivilem Widerstand beschäftigt. Er schrieb: “In einer jüngeren Ausgabe der New York Times hat die extreme Rechte in Deutschland und Österreich (die 'Identitäre Bewegung') dem Journalisten mitgeteilt, dass sie Sharp und andere mit großem Interesse lesen. … Ein Foto eines ihrer Anführer zeigt ihn, wie der das Buch über Gewaltfreie Aktion von Stellan Vinthagen aus dem Regal nimmt“, und fragte, ob es Ratschläge gebe, wie sie reagieren sollten.

Auch wenn es angesichts des bekannten aktivistischen Profils der „Identitären“ nicht wirklich überraschend ist – beim Betrachten der Fotos in der New York Times (NYT) stellt sich das Gefühl ein, das sich einstellen mag, wenn man in der Sensationspresse öffentliche Bilder von Missbrauchsopfern sieht. Und danach die Frage: Handelt sich hier um ein neues Beispiel einer Querfront, wie wir sie in der deutschen Friedensbewegung leider erleben mussten, diesmal mit gewaltfreien AktivistInnen als AkteurInnen? Nein. Das trifft zumindest nicht zu. Die Identitäre Bewegung ist durch und durch rechts. Wikipedia definiert sie als „aktionistische, völkisch orientierte Gruppierungen, die ethnopluralistisch-kulturrassistische Konzepte vertreten“ und „von einer geschlossenen ‚europäischen Kultur‘ aus[gehen], deren ‚Identität‘ vor allem von einer Islamisierung bedroht sei“. (1) Was der gewaltfreien Bewegung und jenen, die zivilen Widerstand studieren, bestenfalls vorgeworfen werden kann, ist, dass sie zu überzeugend bewiesen haben, dass gewaltfreie Aktion effektiv und erfolgreich sein kann. Aber von Anfang an: Wer sind denn eigentlich die Identitären?

Die Identitäre Bewegung
Es handelt sich bei ihnen um eine paneuropäische Gruppierung, die ca. 2012 in Frankreich entstanden und u.a. von der 2003 in Italien gegründeten neofaschistischen CasaPound-Bewegung und in Deutschland von Thilo Sarrazin beeinflusst ist. Die Zahl der Identitären in Deutschland wird vom Geheimdienst auf lediglich 400-500 geschätzt.  In ganz Europa haben sie ein paar Tausend. Allerdings soll die Zahl ihrer SympathisantInnen wesentlich höher sein. Der Kern ihrer Ideen, der auch auf ihrer deutschen Website (2) nachgelesen werden kann: Es gebe eine „ethnokulturelle Identität“ jedes „Staatsvolks“, das „als Kultur-, Abstammungs- und Solidargemeinschaft“ definiert wird. Diese Identität werde durch „Massenmigration, Globalisierung und One-World-Propaganda“ bedroht, die zu einem „Bevölkerungsaustausch“ führten. Man brauche „endlich wieder ein gesundes Verhältnis zu Patriotismus und Heimatliebe sowie echte Meinungsfreiheit“.

Die NYT schreibt: „Besser angezogen, gebildeter, weniger wütend als die Skinheads früher – zumindest in der Öffentlichkeit – sehen sie sich selbst in erster Reihe einer Gegenrevolution, die von einem lockeren, aber immer besser vernetzten Netz von Akteuren aus Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Wirtschaft getragen wird, das sich als die „Neue Rechte“ bezeichnet. Ihr Ziel: Den Sturz des Liberalismus und die Befreiung Europas von nicht-europäischen Immigranten.“ (3)

Anfänglich gab es bei BeobachterInnen der rechten Szene Unsicherheit darüber, wie die Bewegung einzustufen sei, und ob es sich überhaupt um eine Bewegung handele. (4) Inzwischen gibt es diesbezüglich wohl keine Frage mehr. Nochmal Wikipedia: „Eine Studie der Berliner Senatsverwaltung für Inneres kam 2015 zu dem Schluss, es gebe eine Aktionseinheit gegen Flüchtlinge von Bürgerbewegung Pro Deutschland, HoGeSa Berlin, Identitärer Bewegung und Berliner NP. … Es bestehen weiter enge personelle und finanzielle Verflechtungen mit dem von Jürgen Elsässer geführten Magazin Compact. … In Österreich sprechen Medien von einem 'Netzwerk der Identitären mit der FPÖ'. Sie seien über Staatsgrenzen hinweg 'exzellent' mit rechtspopulistischen bis rechtsextremen Gruppierungen verbunden. Hervorgehoben werden vor allem 'ungarische und polnische Neonazis'.“ Auch die Verbindungen zur deutschen AfD sind deutlich, wenngleich die Partei Mitte 2018 offiziell einen Nichtvereinbarkeitsbeschluss gefällt hat (4):

  • Transparente der Identitären tauchen auf Demos und Veranstaltungen der AfD auf, wie u.a. Fotos auf Wikipedia belegen. (5)
  • Identitäre bezeichneten gegenüber die NYT die AfD als “ihre Partei“ im Parlament.
  • Franziska Schreiber, die die AfD 2017 verließ und über sie ein Buch schrieb, schätzt lt. NYT, dass „mindestens die Hälfte der AfD-Jugend AnhängerInnen der Identitären“ seien.

Ihre Aktionen
Die Identitäre Bewegung bedient sich des Instrumentenkasten der direkten Aktion und der Entwicklung eines alternativen Lebensstils, Dinge, die traditionell eher typisch für die Linken und die menschenfreundlichen Bewegungen sind, und sie vergleichen sich selbst mit Greenpeace. Ihre Aktionen reichen von Flashmobs (z.B. mit Schweineköpfen in einem arabischen Schnellimbiss in Frankreich) über Urban Gardening bis zu Aufsehen erregenden teuren Aktionen. Die NYT fasste zusammen: „Letztes Jahr charterten sie ein Boot im Mittelmeer, um zu verhindern, dass Flüchtlinge nach Europa kommen. Dieses Jahr mieteten sie Helikopter und schlossen vorübergehend einen Alpenpass in Frankreich. In Wien bedeckten sie eine Statue von Kaiserin Maria Theresia mit einer Burka. In Berlin kletterten sie auf das Brandenburger Tor und entfalteten dort ein Transparent mit der Aufschrift ‚Sichere Grenzen – sichere Zukunft.“

Die Identitäre Bewegung ist, sieht man die Kombination von direkten Aktionen, der Entwicklung eines alternativen Lebensstils und der festen Überzeugung moralischer Überlegenheit nach formalen Kriterien, durchaus vergleichbar mit linken oder gewaltfrei-anarchistischen Gruppen früherer Jahrzehnte, denen auch die Autorin angehörte. Aber da endet auch die Übereinstimmung: Die Identitäre Bewegung ist letztlich eine moderne Version dessen, was auch der Nationalsozialismus schon predigte, bei dem die Bedeutung des zweiten Teils seines Namens, „Sozialismus“, heute ebenso gerne vergessen wird wie die Tatsache, welche Rolle junge AktivistInnen in ihm spielten. Man ersetze bloß die fiktive „Kultur-, Abstammungs- und Solidargemeinschaft“ mit dem Begriff der „Rasse“, und mache sich klar, was die Forderung nach „Remigration“ letztlich bedeutet – nämlich massenhaften Tod der Menschen, die an unseren Grenzen abgewiesen werden –, und die Gefährlichkeit dieser Ideologie und Bewegung sind deutlich genug. Umso wichtiger, ihnen nicht das Feld zu überlassen! Sie können aus unseren Büchern lernen, wie man Aktionen organisiert, aber Gewaltfreie Aktion ist nicht wertfrei. Wenn sie die Bücher von Gene Sharp und Stellan Vinthagen wirklich verstanden hätten, würden sie das auch wissen.

Anmerkungen
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Identit%C3%A4re_Bewegung#cite_ref-RoSi_Zei...
2 https://www.identitaere-bewegung.de/category/politische-forderungen/
3 http://forschungsjournal.de/sites/default/files/fjsbplus/fjsb-plus_2014-...
4 https://www.nytimes.com/2018/12/27/world/europe/germany-far-right-genera...
5 https://afdkompakt.de/2018/08/30/zusammenfassung-der-aktuellen-beschluss...
6 Siehe auch diesen Artikel: https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2018/06/08/bundeskongress-junge-alt...

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.